13.09.2022

BGL fordert Ausweitung der ArbStättV auf LKW-Fahrer

„Ich muss leider draußen bleiben“. Klagen so nur sprechende Hunde, die Herrchen nicht in den Lebensmittelladen folgen dürfen? Nein. Eine bestimmte Spezies von Menschen ist ebenfalls betroffen: LKW-Fahrer. Sie müssen an der Laderampe bleiben – zur Toilette dahinter dürfen sie nicht.

ArbStättV LKW-Fahrer

Situation an Laderampe „unbefriedigend“ …

Als „immer noch unbefriedigend“ bezeichnet der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) e.V. die Situation für LKW- Fahrer an vielen Laderampen. Zwar hätten gemeinsame Bemühungen und Best Practice-Beispiele mit Handel, Industrie und Politik Wirkung gezeigt, etwa bei der Konzeptionierung von Logistikneubauten. So galten die einst als Kapitäne der Landstraße verehrten Fahrer mittlerweile als Hilfswillige an der Laderampe. Auf der Straße der Stress gegen Stundenkontingente und Termine, an der Laderampe der mit der Ladung des LKW, wie eine Umfrage des Bundesamtes für Güterverkehr BAG unter Fahrern zum Be- und Entladen von LKW schon 2018 ergab (vergleiche unseren Bericht „Be- und Entladen von LKW durch den Fahrer“).

„… inakzeptabel und inhuman“

Aber immer noch hat sich an der LKW-Fahrern entgegengebrachten Haltung in den Be- und Entlade-Unternehmen kaum etwas geändert. In der täglichen Praxis verweigerten verantwortliche festangestellte Mitarbeiter dort dem Fahrpersonal vielfach eine humane Behandlung an der Laderampe wie den Zugang zu Sanitärräumen oder zu betrieblichen Pausen- und Aufenthaltsräumen. Dies hält der BGL besonders während langer Wartezeiten bei der Abfertigung in einer Pressemitteilung „schlichtweg für inakzeptabel und inhuman“. „Ein per Gesetz verbindlich geregelter Zugang zu Sanitär- und Pausenräumen für alle LKW-Fahrerinnen und -Fahrer an den Rampen ist nicht zuletzt angesichts des akuten Fahrermangels unumgänglich“, so BGL-Vorstandsprecher Prof. Dr. Dirk Engelhardt.

Zugang zur Toilette sichern

Der BGL fordert daher:

  • eine verbindliche Sicherstellung des Zugangs zu Sanitär- und Sozialräumen für alle LKW-Fahrer an den Be- und Ladestellen der Warenempfänger und -versender.
  • Änderung der Verordnung über Arbeitsstätten
  • verbindliche Festlegung, dass die dortigen Bestimmungen zu Sanitär- und Sozialräumen die Mitbenutzung durch Fremdpersonal einschließen. Die Arbeitsstättenverordnung enthält beispielsweise keine Definition des Begriffes „Beschäftigte“.

Nicht zuletzt mit dem Hinweis auf den akuten Fahrermangel dürfte Engelhardt einen Punkt machen. Allein in Deutschland fehlen einem Bericht des „Focus“ zufolge derzeit bis zu 100.000 LKW-Fahrer, international noch mehr. LKW-Fahrer sei schon seit langer Zeit kein Traumberuf. Doch erst jetzt zeige sich der Mangel an Nachwuchs in der Branche immer offensichtlicher:

  • In Großbritannien fehlte es vergangenen Herbst so sehr an Brummifahrern, dass Supermarkt-Regale leer blieben.
  • In USA, Peru, Argentinien und Südafrika protestierten LKW-Fahrer in diesem Jahr auf der Straße gegen miese Arbeitsbedingungen.
  • In Deutschland komme bereits mehr als die Hälfte der hierzulande angestellten Fahrer aus dem meist osteuropäischen Ausland.

Ein Drittel sei älter als 55 Jahre, viele ohne den eigentlich fälligen Mindestlohn und allenfalls gegen niedrige Löhne. Den durchschnittlichen Einstiegslohn beziffert das Magazin auf weniger als 1900 Euro brutto im Monat und bezieht sich dabei auf Angaben der Gewerkschaft Ver.di.

Stress durch Chefs und Parkplatzmangel

Hinzukomme Stress: Viele Chefs zwängen ihre LKW-Fahrer, Arbeitsschutzgesetze wie maximale Fahrzeiten oder vorgeschriebene Ruhezeiten zu missachten. Und wenn die Chefs es nicht tun, dann die beklagenswerte Parkplatzsituation auf Autobahnen und Landstraßen. „Die Gesellschaft erkennt uns nicht an“, zitiert „Focus“ einen Berufskraftfahrer aus einem Interview mit dem ARD-Morgenmagazin; sie würden behandelt, „als ob wir Arbeitssklaven sind“, polnische Fahrer vor einem Logistikzentrum von Amazon bei Mönchengladbach aus einem Bericht der „Tagesschau“ über die Bedingungen.

Mangel an LKW-Fahrern weltweit

Die Zustände sorgen dafür, dass es an LKW-Fahrern mangelt:

  • 30,000 gehen jedes Jahr in Deutschland laut BGL in Rente,
  • nur 17.000 neue Fahrer rücken nach.
  • ein Defizit von bis zu 80.000 Fahrern.
  • In acht Jahren könnten es 185.000 sein.

Und das sind nur die Zahlen für Deutschland. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) schätzt, dass europaweit derzeit 400.000 Fahrer eingestellt werden müssten – rund 14 Prozent aller Stellen in der Branche. Die American Truck Drivers Association schätzt laut „Focus“ das Defizit in den USA ebenfalls auf 80.000 und bis Ende der Dekade auf 160.000 Fahrer.

DIHK fordert mehr Parkraum

Der tägliche Frust an der Laderampe lässt sich nach Einschätzung der Kammern mit dem guten Willen aller Beteiligten zumindest zu einem großen Teil beseitigen. Bei der Suche nach Lösungen hat der DIHK deshalb nicht nur die Logistikbranche, sondern vor allem auch beispielsweise den Handel eingebunden. Unter dem Motto „Parkraum bereitstellen, Zeitfenster einhalten, Zuständigkeiten regeln“ hat der DIHK „Goldene Rampenregeln“ aufgestellt, von denen er sich einen Beitrag erhofft, dass Empfang und Verladen von Waren effektiver vonstattengeht und nicht zuletzt der Beruf des LKW-Fahrers wieder attraktiver wird.

Goldene Rampenregeln

Aus den Vorschlägen und Anregungen von Betroffenen hat der Kammertag neun Rampenregeln entwickelt. Er wertet das Ergebnis als ein gutes Beispiel, wie die Wirtschaft gemeinsam unterschiedliche Branchen- und Unternehmensinteressen ausgleichen kann. Die in der Praxis aufgestellten Regeln nutzten allen Beteiligten:

  • den Verladern,
  • den Waren-Empfängern,
  • den Transportunternehmern,
  • den Fahrern und
  • der Umwelt.

Standzeiten ließen sich so:

  • verkürzen
  • Planungen für alle Seiten ebenso wie
  • Arbeitszeiten und Personaleinsatz verbessern durch Verkürzung zum des von Fahrern oft als frustrierend empfundenen Leerlaufs.

Darüber hinaus gehe es um wechselseitige Anerkennung. Auch Fahrer und nicht nur die von ihnen gelieferten Waren sollten an der Rampe willkommen sein. So könnten die „Goldenen Rampenregeln“ letztlich mit dazu beitragen, die Attraktivität des Fahrerberufs wieder zu erhöhen. Die Attraktivität der Berufe in der Logistik erhöhen und einen Beitrag zur Linderung des Fahrermangels leisten sollen die folgenden Rampenregeln:

  • Regel 1: Ausreichende Kapazitäten an den Laderampen sicherstellen: An den Laderampen sollten ausreichende Kapazitäten vorgehalten werden. Dies betrifft die Rampenzone, das Lager, das Personal und die Ladehilfsmittel gleichermaßen. Auch sollten bauliche Voraussetzungen für reibungslose Umschlagevorgänge geschaffen werden. Dazu gehören insbesondere geeignete Maße für Rampen, Vordächer und so weiter sowie Unterraum an der Rampe für Fahrzeuge mit Hebebühne.
  • Regel 2: Ausreichend Parkraum für Wartezeit und Vorabfertigung bereithalten: Für den Hofverkehr einschließlich Park- und Wartezonen sollte ausreichend Fläche vorhanden sein. Mit Blick auf den Mangel an LKW-Parkplätzen sollte der Fahrer dort möglichst auch seine Ruhezeiten vor oder nach der Beladung verbringen können. Werden wartenden Fahrern Funkmeldeempfänger ausgehändigt, können Fahrzeuge jederzeit zügig abgerufen und unnötige Wege in das Abfertigungsbüro vermieden werden.
  • Regel 3: Ausreichende Rampenöffnungszeiten gewährleisten: Die Rampenöffnungszeiten sollten ausreichend lang sein und den Transportunternehmen die Möglichkeit geben, Touren ohne Leerlauf zu planen. Bei Restriktionen von Kommunen sollte geprüft werden, inwieweit Lockerungen unter Wahrung der Interessen Dritter (Lärmschutz für Anlieger) möglich sind. Insbesondere in Saisonhochzeiten und vor verkaufsstarken Feiertagen sollten Rampenöffnungszeiten dem gesteigerten Anliefervolumen angepasst werden.
  • Regel 4: Vereinbarte Zeitfenster einhalten: Vereinbarte Zeitfenster sollten von Verladern, Transporteuren und Empfängern gleichermaßen als verbindlich angesehen werden. Es sollte bedacht werden, dass die Nichteinhaltung von Zeitfenstern bei Transportunternehmen, Handel und Gewerbe gleichermaßen zu erhöhten Kosten führt. Bei Verzögerungen beispielsweise durch Stau sollten Informationen schneller fließen, damit Zeitfenster flexibel gehandhabt werden können und auch für Fahrzeuge, die zu früh oder zu spät kommen, die Wartezeit möglichst gering bleibt. Attraktive Zeitfenster sollten nicht verkauft werden.
  • Regel 5: Informationsfluss verbessern: Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Big Data sollten dazu genutzt werden, die Partner möglichst frühzeitig über Veränderungen oder Störungen zu informieren und den Datenfluss über Ladezeiten und Waren zu verbessern. Hierzu gehören beispielsweise Zeitfenstermanagementsysteme, Avisierungsverfahren, LKW-Abrufsysteme, eine digitalisierte Fahrzeugabfertigung und die beleglose Wareneingangsprüfung. Der Königsweg wäre die Verarbeitung von Telematikdaten in Echtzeit.
  • Regel 6: Vorhaltung von Tauschpaletten sicherstellen: Tauschpaletten sollten in ausreichender Zahl und in angemessener Qualität an den Laderampen zur Verfügung stehen und übergeben werden.
  • Regel 7: Zuständigkeit für Be- und Entladung klar regeln: Be- und Entladung sowie begleitende Prozesse wie das Entfernen von Folien oder die Vereinzelung von Sandwichpaletten fallen nicht in die Zuständigkeit des Fahrers. Die Unsicherheit hierüber führt zu Konflikten und Missverständnissen. Prozesse sollten verbindlich geregelt werden. Klargestellt werden sollte auch die Verantwortung für eine betriebs- und beförderungssichere Verladung.
  • Regel 8: Persönlichen Umgang verbessern: Fahrer und Personal an den Laderampen sind mit der gebotenen Wertschätzung zu behandeln. Fahrern sollte der Zugang zu Sanitäreinrichtungen und Sozialräumen möglich sein. Diese sollten in ausreichender Anzahl und Qualität verfügbar sein. Die Fahrer ihrerseits bemühen sich darum, diese Anlagen angemessen zu nutzen.
  • Regel 9: Sprachkompetenz von Fahrern und Ladepersonal verbessern: Fehlende Sprachkenntnisse führen zu Missverständnissen, Verzögerungen und Gefahren an den Ladezonen. Alle Beteiligten bemühen sich darum, die Sprachkompetenz der an der Laderampe tätigen Personen zu verbessern. Eine Verständigung auf Deutsch – zumindest aber auf Englisch – sollte möglich sein. Unterstützend können auch Piktogramme eingesetzt werden.
Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)