10.01.2023

Lkw-Winterreifen: Pflicht oder Kür?

Benötigen Lkw im Winter Winterreifen? Wer schon mal im Winter auf der Autobahn in den Kasseler Bergen im Stau wegen liegen gebliebener Lkw gestanden hat, wird dies mit Ja beantworten. Nicht jeder hat dergleichen offenbar erlebt. Die Fachverbände haben deswegen ein FAQ aufgelegt.

Lkw-Winterreifen Pflicht

Inhaltsverzeichnis

Fachverbände beantworten Fragen zum Winterverkehr

Der nächste Winter kommt bestimmt. Das war einmal. Der Winter 2022/2023 macht schon jetzt – Anfang Januar 2023 – als der Winter, der ein Sommer war, Geschichte. Doch bleibt das so? Noch sind laut Kalender zwei oder drei Monate zu überstehen, in denen sich der Winter zurückmelden kann.

Der kluge Lkw-Fahrer baut hier vor und rüstet sein Gefährt mit wintergerechter Bereifung aus. Doch was heißt hier wintergerecht? Häufig gestellte Fragen (Frequently asked questions, FAQ) zu Lkw-Winterreifen beantworten die Fachverbände für Logistik, Reifenhandel und Reifenherstellern Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V., Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. (BRV) und Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie e.V. (wdk).

Was ist die gesetzliche Grundlage für die Winterreifenpflicht?

  • Die Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) vom 1. Dezember 2010, gültig ab 4. Dezember 2010 (vgl. BGBL Jahrgang 2010 Teil I Nr. 60, vom 3. Dezember 2010)
  • Zurzeit die 52. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (StVO und StVZO) vom 18. Mai 2017, gültig ab 1. Juni 2017 (vgl. BGBL Jahrgang 2017 Teil I Nr. 31, vom 31. Mai 2017).

Gilt die Winterreifenpflicht innerhalb eine bestimmten Zeit, z.B. von Oktober bis Ostern?

Nein. Es handelt sich um eine „situative Winterreifenpflicht“.

Was bedeutet „situative Winterreifenpflicht“?

Nur wer bei winterlichen Straßenverhältnissen am öffentlichen Straßenverkehr im Geltungsbereich der Straßenverkehrsordnung (StVO) und der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) teilnehmen will, stattet sein Kraftfahrzeug mit Winterreifen aus. Im Umkehrschluss dürfen nicht auf Winterreifen umgerüstete Kraftfahrzeuge nur bei winterlichen Straßenverhältnissen nicht am Straßenverkehr teilnehmen, ansonsten schon.

Der Gesetzgeber erwartet allerdings, dass in den Wintermonaten – also nach der Faustregel Oktober bis April oder eben Ostern – bei längeren Fahrten das Fahrzeug auch dann mit einer geeigneten Bereifung ausgerüstet ist, wenn winterliche Straßenverhältnisse zu erwarten waren. Die Ausrede „als ich losfuhr schien die Sonne, und es war trocken“ zählt dann nicht, wenn beispielsweise die Polizei Sie als Verkehrsteilnehmer bei winterlichen Straßenverhältnissen ohne Winterreifen antrifft.

Was sind winterliche Straßenverhältnisse?

Nach § 2 Abs. 3a der StVO sind winterliche Straßenverhältnisse:

  • Glatteis
  • Schneeglätte
  • Schneematsch
  • Eisglätte
  • Reifglätte

Welche Kraftfahrzeuge betrifft die „situative Winterreifenpflicht“?

Kraftfahrzeuge der Klassen M1:

  • PKW
  • SUV
  • Van
  • Geländefahrzeuge
  • Wohnmobile
  • Busse mit bis zu acht Sitzplätzen

Kraftfahrzeuge der Klasse M2:

  • Busse mit mehr als acht Sitzplätzen und bis zu fünf Tonnen zulässiger Gesamtmasse
  • Wohnmobile

Kraftfahrzeuge der Klasse M3:

  • Busse mit mehr als acht Sitzplätzen und über fünf Tonnen zulässiger Gesamtmasse

Kraftfahrzeuge der Klasse N1:

  • Fahrzeuge zur Güterbeförderung – (Lkw) mit bis zu 3,5 t zulässiger Gesamtmasse

Kraftfahrzeuge der Klasse N2:

  • Fahrzeuge zur Güterbeförderung (Lkw) mit über 3,5 t und bis zu 12 t zulässiger Gesamtmasse

Kraftfahrzeuge der Klasse N3:

  • Fahrzeuge zur Güterbeförderung (Lkw) von mehr als 12 t zulässiger Gesamtmasse

Welche Kraftfahrzeuge sind ausgenommen?

  • Nutzfahrzeuge der Land- und Forstwirtschaft
  • Einspurige Kraftfahrzeuge
  • Stapler im Sinne § 2 Nummer 18 der StVZO
  • Motorisierte Krankenfahrstühle im Sinne § 2 Nummer 13 der StVZO
  • soweit für diese Fahrzeuge keine Winterreifen verfügbar sind Einsatzfahrzeuge der in § 35 Abs. 1 genannten Organisationen: Bundeswehr, Bundespolizei, Feuerwehr, Katastrophenschutz, Polizei und Zolldienst,
  • Spezialfahrzeuge, für die bauartbedingt keine Reifen der Kategorien C1 „PKW-Reifen“, C2 „Leicht- Lkw Reifen“ oder C3 „Lkw -Reifen“ verfügbar sind
  • Spezialfahrzeuge, die mit Reifen für schwere Mobilkräne, mit Reifen mit der Kennzeichnung POR (Professional Off-Road) oder mit Reifen der Kennzeichnung MPT (Multi-Purpose Tire) ausgestattet sind oder betrieben werden (Vkbl. 21/2018, S. 758, vom 15.11.2018)
  • Anhänger sind im Sinne des Gesetzgebers keine Kraftfahrzeuge und somit von der Winterreifenpflicht ausgenommen!

Was sind Winterreifen im Sinne der StVO und StVZO?

Pkw- und Lkw -Neureifen einschließlich Ganzjahresreifen, runderneuerte oder gebrauchte mit Produktionsdatum bis 31. Dezember 2017 (DOT 5217) mit M+S- (oder M&S oder M.S.) Kennzeichnung nach ECE-R 30, 54 in Verbindung mit der ECE-R 117 bzw. 108/109. Diese M+S-Reifen – mit Herstellungsdatum bis DOT 5217, s.o. – sind bis 30. September 2024 an Kraftfahrzeugen im Sinne der situativen Winterreifenpflicht als Winterreifen zulässig.

Pkw- und Lkw-Neureifen einschließlich Ganzjahresreifen) runderneuerte oder gebrauchte ab Produktionsdatum bis 1. Januar 2018 (DOT 0118) müssen zusätzlich mit dem Schneeflockensymbol (3PMSF/Alpine-Symbol/Bergpiktogramm mit Schneeflocke) nach ECE-R 30, 54 in Verbindung mit der ECE-R 117 bzw. ECE-R 108/109 gekennzeichnet sein.

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Sind Reifen nur mit M+S-Kennzeichnung, aber aufgrund einer Herstellerbescheinigung Anforderungen des Schneeflockensymbol genügend zulässig?

Nein. Laut Bundesministerium für Digitales und Verkehr (früher BMVI) erfüllen Reifen ohne eine Kennzeichnung mit dem Alpine-Symbol (Bergpiktogramm mit Schneeflocke) nicht die Anforderungen des § 36 Abs. 4 StVZO für Winterreifen. Sie sind somit nicht als Winterreifen im Sinne der situativen Winterreifenpflicht einsetzbar. Von einem Reifenhersteller ausgestellte Bescheinigungen können die fehlende Reifenkennzeichnung nicht ersetzen.

Welche Achspositionen müssen mit Winterreifen bestückt sein?

Kraftfahrzeuge der Klassen M1 und M1G (PKW, SUV, Van, Geländefahrzeuge, Wohnmobile und Busse mit bis zu 8 Sitzplätzen) und N1 (Fahrzeuge zur Güterbeförderung (Lkw) mit bis zu 3,5 t zulässiger Gesamtmasse) sind auf allen Achspositionen mit Winterreifen zu bestücken.

Kraftfahrzeuge der Klassen M2, M3, Lkw N2 und N3 sind mindestens auf den permanent angetriebenen Achsen und den vorderen Lenkachsen mit Winterreifen zu bestücken. Die Regelung für vordere Lenkachsen gilt erst seit 1. Juli 2020.

Anhänger sind im Sinne des Gesetzgebers keine Kraftfahrzeuge und somit von der Winterreifenpflicht ausgenommen.

Wer ist für die ordnungsgemäße Bereifung mit Winterreifen verantwortlich?

Neben dem Fahrzeugführer der Fahrzeughalter.

Ist die Mindestprofiltiefe für Winterreifen neu geregelt?

Nein, die gesetzlich vorgeschriebene Mindestprofiltiefe beträgt nach wie vor 1,6 mm. Im Übrigen verweisen die Fachverbände auf die Empfehlung der jeweiligen Reifenhersteller.

Gilt die Winterreifenpflicht für ausländische Kraftfahrzeuge?

Ja. Alle Kraftfahrzeuge, die am öffentlichen Straßenverkehr in der Bundesrepublik Deutschland teilnehmen, unterliegen der situativen Winterreifenpflicht und müssen bei winterlichen Straßenverhältnissen ebenfalls mit entsprechenden Winterreifen ausgestattet sein.

Mit welchen Bußgeldern ist bei Verstößen zu rechnen?

Gemäß der Neufassung des Bußgeld-Kataloges seit dem 1. Juni 2017:

  • Als Fahrer eines Fahrzeuges mit unzulässiger Bereifung bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eisglätte oder Reifglätte mit 60 Euro
  • mit Behinderung 80 Euro
  • mit Gefährdung 100 Euro
  • mit Unfallfolge 120 Euro und einem Punkt in Flensburg.

Wenn Sie als Fahrzeughalter das Fahren mit unzulässiger Bereifung bei winterlichen Straßenverhältnissen anordnen oder zulassen, mit 75 Euro und ebenfalls einem Punkt in Flensburg. Siehe auch www.bussgeldkatalog.org/reifen/

Darüber hinaus droht Ihnen als Fahrzeughalter der Verlust des Versicherungsschutzes.

Warum bleiben zumal bei Schneefall Lkw an Steigungen hängen?

Weil bei Eis- und Schneeglätte an Steigungen selbst die besten Winterreifen ab einem bestimmten Zustand der Straßenverhältnisse keinen ausreichenden Kraftschluss zwischen Reifen und Fahrbahn mehr herstellen können. Die Antriebsräder drehen dann durch. Das Fahrverhalten eines Lkw ist ganz anders als dasjenige eines Pkw. Drehen die Antriebsräder eines PKW bei winterlichen Straßenverhältnissen durch, genügt oft schon eine einzelne Person, die mit ihrem Gewicht die Antriebsachse belastet, um den notwendigen Kraftschluss zwischen Fahrzeug und Fahrbahn wiederherzustellen. Ein Pkw ist voll beladen nur etwa ein Viertel bis ein Drittel schwerer als im Leerzustand. Ein voll beladener Lkw dagegen kann zweieinhalbmal so schwer sein, wie ein leerer Lkw (40 Tonnen statt etwa 16 Tonnen). Beim Lkw gibt es aufgrund der großen Gewichtsunterschiede zwischen leeren, teilweise beladenen und voll beladenen Fahrzeugen große Unterschiede in der Traktion.

Können Sie als Lkw -Fahrer an Steigungen nicht Schneeketten aufziehen?

Dazu müssten Sie anhalten, was auf Autobahnen – weil zu gefährlich – verboten ist und zu schweren Unfällen führen könnte. Für das Aufziehen der Ketten müssen Sie sichere Autobahnrast- oder -parkplätze anfahren. Diese sind jedoch bereits bei normalem Wetter in der Regel überfüllt und bei starken Schneefällen nicht zu befahren, weil die Schneeräumfahrzeuge sich zuerst um die Räumung der Autobahnfahrspuren kümmern. Zudem zeigt die Praxis, dass Schneeketten an vereisten Steigungen oftmals nicht die erhoffte Wirkung haben.

Könnten Sie als Lkw -Fahrer dann nicht schon vorher Schneeketten aufziehen?

Nein. Schneeketten erhöhen auf Streckenabschnitten ohne geschlossene Schneedecke das Sicherheitsrisiko und beschädigen die Fahrbahn. Zudem dürfen Lkw mit Schneeketten maximal 50 km/h fahren, was ebenfalls zu Staus und Auffahrunfällen führen könnte.

Was kann konkret getan werden, um die Situation auf winterlichen Straßen zu verbessern?

Die Räumfrequenz erhöhen. In der Vergangenheit wurden nach einer Reihe schneearmer Jahre nicht nur die Streusalzbestände, sondern auch die Anzahl der vorgehaltenen Streu- und Räumfahrzeuge massiv abgebaut. Hieraus ergab sich zwangsläufig eine stark herabgesetzte Räumfrequenz. Diese muss wieder deutlich erhöht werden, damit die Straßen stets rechtzeitig genug geräumt werden, bevor der Schnee zu hoch auf den Fahrbahnen liegt. Den Fachverbänden liegen allerdings auch Meldungen vom Schneechaos im Februar 2021 vor, wonach sonntags aus Kostengründen (Sonntagszuschlag) viel zu wenige private Räumfahrzeuge beauftragt wurden.

Warum legen sich manche Lkw-Fahrer bei Streckensperrungen „…einfach schlafen und müssen erst mühsam geweckt werden, damit es weitergehen kann…“, wie man immer wieder in Polizeiberichten liest?

Wer bei einer Vollsperrung der Autobahn stundenlang im stehenden Fahrzeug festsitzt, der kann dabei einschlafen. Das gibt es auch bei PKW-Fahrern. Ein bisschen Rücksicht und Einsicht für einzelne betroffene Fahrer wäre ein Stück Menschlichkeit auf den Straßen. Jedenfalls ist den Fachverbänden nicht bekannt, dass einzelne eingeschlafene LKW- oder PKW-Fahrer die Auflösung eines Staus entscheidend behindert hätten, zumal die LKW in der Regel rechts stehen.

Gehen im Winter manche Streckensperrungen nicht auch auf das Fehlverhalten von Lkw-Fahrern zurück?

Lkw-Fahrer sind Menschen. Menschen machen manchmal Fehler. Genau wie alle anderen Fahrer. Nur dass man Fahrzeuge anderer Verkehrsteilnehmer meist schnell mal eben zur Seite schieben kann – einen Lkw nicht. Eine den Umständen angepasste, vorausschauende Fahrweise ist daher für Lkw-Fahrer besonders wichtig.

Warum fahren manche Lkw weiter, auch wenn die Verkehrsbehörden aufgrund winterlicher Straßenverhältnisse ein Lkw-Fahrverbot verkündet haben?

Es handelt sich oftmals um ein Kommunikationsproblem. Mittlerweile sind auf deutschen Straßen zu über 40 Prozent ausländische Lkw unterwegs. Immer mehr dieser Lkw sind mit z.B. ukrainischen, weißrussischen oder kasachischen Fahrern besetzt, die nur die kyrillische, aber keine Schilder in lateinischer Schrift lesen können und demzufolge auch keine deutschen Verkehrsdurchsagen verstehen können.

Enthält das EU-Reifenlabel Hinweise zu den Wintereigenschaften eines Lkw-Reifens?

Die aktuelle Reifenkennzeichnungs-Verordnung (EU) 2020/740 gibt vor, dass das 3PMSF/Alpine-Symbol/Bergpiktogramm mit Schneeflocke auf dem jeweiligen Reifenlabel ausgewiesen sein muss, sobald ein Reifen die entsprechenden Testbedingungen erfüllt. Das Eisgriff-Zeichen gibt es derzeit allerdings nur für C1 (Pkw/SUV)-Reifen.

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)