01.09.2022

Bagatelldelikte: Das sollten Sie als Betriebsrat wissen

Sogenannte Bagatellkündigungen sind zwar gerade etwas aus den Medien verschwunden, haben aber von ihrer Brisanz nichts verloren. Immer wieder kündigen Arbeitgeber fristlos, weil die Beschäftigten zum Beispiel ihr Handy im Büro aufgeladen, Essen mitgenommen haben, das sonst weggeschmissen worden wäre, oder einen Pfandbon im Wert von weniger als einem Euro unterschlagen haben („Emmely“-Entscheidung).

Außerordentliche Kündigung Bagatelldelikt

Arbeitsrecht. In der Öffentlichkeit wurde an der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte heftige Kritik geäußert. Immerhin wurden hier Kündigungen von Arbeitgebern für zulässig erachtet, bei denen der Schaden für die Betriebe nur wenige Euro oder gar wenige Cent betrug. Das Bundesarbeitsgericht als höchstes deutsches Arbeitsgericht hat aber regelmäßig dem Wert der „gestohlenen“ Sache keine Bedeutung beigemessen. Es hat den Kündigungsgrund vielmehr darin gesehen, dass das Vertrauen in den Arbeitnehmer durch die Tat als solche zerstört sei. Mit der „Emmely“-Entscheidung (BAG, Urteil vom 10.06.2010, Az.: 2 AZR 541/09) hat das Bundesarbeitsgericht – für viele überraschend – der dortigen Klägerin recht gegeben. Ihre Kündigungsschutzklage war erfolgreich: Die Unterschlagung rechtfertigte keine Entlassung. Zum Glück sind mittlerweile auch andere Gerichte dem Umdenken des BAG gefolgt, so etwa das LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 18.12.2013, Az.: 6 Sa 203/13).

Fristlose Kündigung: Der Betriebsrat prüft in zwei Stufen

Eine verhaltensbedingte, fristlose Kündigung ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in zwei Stufen zu prüfen.

  1. Auf der ersten Stufe muss festgestellt werden, dass das arbeitsvertragliche Fehlverhalten des Arbeitnehmers „an sich“ geeignet ist, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Kommt das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis, dass der Kündigungsgrund schon „an sich“ nicht geeignet ist, das Arbeitsverhältnis fristlos aufzulösen, so endet die Prüfung. Dann wird festgestellt, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam ist. Hier ein Beispiel: Eine Straftat zulasten des Arbeitgebers stellt grundsätzlich einen „an sich“ geeigneten, fristlosen Kündigungsgrund dar. Die Verletzung der Nachweispflicht bei der Arbeitsunfähigkeit – also das Übersenden einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – ist grundsätzlich nicht geeignet, das Arbeitsverhältnis fristlos aufzulösen.
  2. Kommen die Gerichte zu dem Ergebnis, dass ein an sich geeigneter fristloser Kündigungsgrund vorliegt, wird in einer zweiten Stufe geprüft, ob unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls es dem Arbeitgeber unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen.

Hinweis: Langjährige Mitarbeiter sind schwer zu kündigen

Wegen eines Bagatelldelikts können Arbeitgeber nach heutiger Rechtsprechung langjährig beschäftigte Arbeitnehmer praktisch nicht mehr wirksam fristlos kündigen. Dabei spielt es übrigens keine Rolle, ob die Kündigung als Tatkündigung, d. h. wegen der aus Arbeitgebersicht erwiesenen Tat, oder als Verdachtskündigung, d. h. wegen des dringenden Tatverdachts, ausgesprochen wird.

Hinweis: Die meisten Kündigungen scheitern

Mittlerweile scheitern die meisten fristlosen Kündigungen, die Arbeitgeber wegen eines Bagatelldelikts aussprechen, an der Interessenabwägung. Denn die Gerichte legen den Schwerpunkt auf die langjährige Vertrauensbeziehung während des bestehenden Arbeitsverhältnisses.

Interessenabwägung oft zugunsten des Beschäftigten

So richtig spannend wird es auf der zweiten Stufe, das heißt bei der Abwägung des Arbeitgeberinteresses an einer sofortigen Entlassung des „Übeltäters“ und des Arbeitnehmerinteresses an der Beachtung seiner Kündigungsfristen. Hier sprechen für den Arbeitnehmer:

  • ein geringer Schadensumfang („Bagatelle“),
  • ein langer Bestand des Arbeitsverhältnisses,
  • eine offene Vorgehensweise, d. h. keine Verheimlichung des Geschehens durch den Arbeitnehmer,
  • eine aufrichtige Entschuldigung nach Bekanntwerden des Vorfalls.
Autor*in: Silke Rohde (Silke Rohde ist Rechtsanwältin & Journalistin sowie Chefredakteurin von "Betriebsrat kompakt".)