20.04.2022

Logistik leidet unter Auswirkungen des Ukraine-Krieges

In Deutschland beginnt der diesjährige „Tag der Logistik“. Unter schlechten Begleiterscheinungen. Der Ukraine-Krieg wirkt sich auf die Branche zunehmend aus. Vor Belarus kommt es zu kilometerlangen Staus der LKW. Sie haben ein EU-Ultimatum zur Ausreise nicht geschafft.

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Logistik – vor allem für junge Leute

Am 21. April 2022 ist es soweit: Der Wirtschaftsbereich Logistik will wieder zeigen, wie vielseitig und leistungsfähig er ist, und vor allem junge Leute für einen Beruf interessieren. Bereits zum 15. Mal öffnen Unternehmen, Organisationen und Institute – vor Ort und online – ihre Tore für die Öffentlichkeit und bieten interessierten Bürgern bei kostenfreien Betriebsbesichtigungen, Planspielen, Vorträgen, Webinaren und vielem mehr die Möglichkeit, Logistik zu erleben, wie es in einer Mitteilung der Bundesvereinigung Logistik (BVL) heißt.

Jedes Jahr am dritten Donnerstag im April

Der Tag der Logistik findet jährlich am dritten Donnerstag im April statt und wurde im Jahr 2008 von der BVL initiiert. Die Website www.tag-der-logistik.de sowie die verknüpften Social-Media-Kanäle fungieren als zentrale Kommunikationskanäle in Richtung Öffentlichkeit. Die teilnehmenden Unternehmen tragen ihre Veranstaltungen und weitere Informationen dort selbst kostenfrei ein. Die Teilnahme an den Veranstaltungen ist ebenfalls kostenlos. In den vergangenen zwei Jahren hat die Logistik in allen Teilen von Wirtschaft und Gesellschaft deutlich gezeigt, wie wichtig funktionierende Lieferketten sind. Der Tag der Logistik bietet der breiten Öffentlichkeit die Möglichkeit, einen Blick hinter die Kulissen der facettenreichen Abläufe in Produktionsunternehmen und bei Logistikdienstleistern zu werfen.

Logistik so vielfältig darstellen, wie sie ist

Die Logistik bietet in vielen Bereichen spannende Tätigkeiten. Der „Tag der Logistik“ ist für Unternehmen die Gelegenheit, die vielfältigen Karriereperspektiven vorzustellen und so Menschen jeden Alters für die Logistik zu begeistern. Dies ist nicht nur eine gute Möglichkeit, dem herrschenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sondern auch, das Image des gesamten Wirtschaftsbereiches Logistik zu verbessern. Am Aktionstag können Unternehmen und Organisationen kostenfreie Veranstaltungen live vor Ort oder auf digitalen Kanälen anbieten. Unternehmensbesichtigungen, Rundgänge, Vorträge, Webinare, Videokonferenzen, Live-Streams, Vlogs, Blogs und vieles mehr werden im April wieder auf dem Programm stehen. Zusätzlich können Unternehmen mittels verstärkter PR sowohl ihre Veranstaltung als auch den Aktionstag insgesamt ins Licht der Öffentlichkeit rücken. Interessierte Unternehmen und Institutionen können ab sofort ihre Veranstaltungen kostenlos unter www.tag-der-logistik.de registrieren. Fast 50 Events stehen bereits zur Auswahl.

Tag der Logistik unter neuer Regie

2022 wird der „Tag der Logistik“ zum ersten Mal nicht von der Bundesvereinigung Logistik koordiniert, sondern steht unter der Leitung der Agenturen Mainblick und Team Tosse, die sowohl die Website www.tag-der-logistik.de betreuen als auch den Großteil der Kommunikation rund um den Aktionstag übernehmen. Die BVL hatte sich im Zuge einer Neuausrichtung ihres Portfolios entschlossen, den kosten- und ressourcenintensiven Aktionstag in gute Hände abzugeben, bleibt aber als ideeller Partner engagiert und beteiligt sich aktiv an der Kommunikation. „Es ist nicht unser Ziel, mit dem Tag der Logistik Geld zu verdienen“, sagt Mainblick-Geschäftsführer Uwe Berndt. Ziel des Aktionstags soll es bleiben, die Bedeutung von Logistik und Supply Chain-Management sowie die Vielfalt logistischer Leistungen einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Die beiden Agenturen sind auch an der Logistik-Initiative „Die Wirtschaftsmacher“ beteiligt.

Auswirkungen des Krieges in der Ukraine

Das erste Quartal 2022 ist stark von den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine beeinflusst. Die Stimmung in der Wirtschaft ist laut dem „Transportbarometer“ des IT- und Datenspezialisten Timocom europaweit eingebrochen. Der Transportbedarf ist demnach weiterhin hoch. Doch die gestiegenen Energiepreise wirken sich massiv auf den Straßengüterverkehr aus. Die Branche steht vor immensen Herausforderungen.

Nachfrage an Laderaum europaweit

Nachdem die Stimmung in der Wirtschaft zu Beginn des Jahres neuen Auftrieb bekam, seien die Erwartungen durch die jüngsten Entwicklungen im Zusammenhang mit dem russischen Krieg in der Ukraine zurückgegangen. Die ökonomischen Effekte wirkten sich auch auf den Transportmarkt aus. Insgesamt ist die Anzahl der Frachtangebote in Europa im ersten Quartal im Vergleich zum Vorquartal um vier Prozent gesunken. Grund sind hier rückläufige Frachteingaben im Januar (-8 Prozent) und Februar (-12 Prozent).

Im März nahmen den Angaben zufolge die Frachteingaben und damit die Nachfrage nach Transportkapazitäten europaweit wieder um 42 Prozent zu. Denn das Laderaumangebot habe sich durch die wirtschaftlichen Auswirkungen – allen voran die gestiegenen Energiepreise – reduziert. Die Nachfrage nach Transportraum im ersten Quartal 2022 sei europaweit deutlich höher als das Angebot. Im Schnitt liege das Verhältnis von Fracht- zu Laderaumangeboten bei etwa 70:30.

Unterschiede in den Länderrelationen

Einzelne Relationen zeigen dem Bericht zufolge allerdings ein komplett anderes Verhältnis:

  • Das Angebot an Laderaum von Deutschland nach Italien entwickelte sich im ersten Quartal nach einem anfänglich ausgeglichenen Verhältnis zu einem deutlichen Laderaumplus von meist über 70 Prozent. „Bei der Relation Deutschland – Italien wirkten sich vermutlich die anhaltenden Produktionsengpässe der deutschen Wirtschaft aus,“ analysiert Gunnar Gburek von Timocom, die Entwicklung mit Blick auf die gesunkenen Exportzahlen.
  • In umgekehrter Richtung beobachten die Marktexperten, dass das Verhältnis von Fracht und Laderaum vor Kriegsbeginn und den beschlossenen Sanktionen zunächst ebenfalls auf einem ausgeglichenen Niveau zwischen 60:40 und 40:60 Prozent lag. Dann aber sei im März das Laderaumangebot eingebrochen und die Nachfrage habe das Angebot außerordentlich überstiegen mit etwa 75 Prozent Frachtangebote gegenüber einem Laderaumangebot von 25 Prozent. Und dass obwohl die stark steigenden Energiekosten ebenfalls viele wichtige Sektoren der italienischen Wirtschaft hart trafen.
  • Insbesondere die Stahlindustrie sei übermäßig auf Rohstoffreserven aus der Ukraine angewiesen, sodass fast alle Stahlwerke ihre Produktion reduziert oder in einigen Fällen sogar eingestellt haben. Offenbar konnten andere Branchen ihre Exporte nach Deutschland aufrechterhalten oder steigern und so für die anhaltend hohe Nachfrage nach Laderaum sorgen.

Weniger Transportkapazitäten

Die gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise hätten länderübergreifend großen Einfluss auf die Transport- und Logistikbranche. Vor allem der Dieselpreis kannte nur noch eine Richtung: nach oben. Das unterschiedliche Preisniveau in Europa schade zusätzlich den meist kleinen Transportunternehmen und der Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Straßengüterverkehr. Dass der Anteil an Frachtangeboten im Transportbarometer europaweit nach wie vor so hoch ist, begründet Timocom unter anderem mit den verringerten Laderaumkapazitäten. Aufgrund der stark gestiegenen Energiepreise und dem anhaltenden Fahrermangel haben zahlreiche Transportunternehmen LKW verkauft oder vorübergehend stillgelegt.

EU-Ultimatum zur Ausreise

Dabei werden die Auswirkungen des Ukraine-Krieges zunehmend spürbar. An vielen Grenzübergängen zwischen EU-Staaten und Belarus gleichen sich die Bilder. Tausende LKW-Fahrerinnen und -Fahrer in Diensten russischer und belarussischer Unternehmen haben vergeblich versucht, vor dem Ablauf eines Ultimatums in der Nacht zu diesem Sonntag die EU zu verlassen. Im polnischen Koroszczyn bildete sich laut „Welt“ die mit 80 Kilometern längste Warteschlange. Der Ort liegt auf der vielbefahrenen Achse zwischen Berlin und Moskau. Nicht nur wegen der Fahrzeugdichte kam es zu Behinderungen. Auch umfangreiche Grenzkontrollen im Rahmen der EU-Wirtschaftssanktionen tragen ihren Teil dazu bei. In die EU ein- oder ausreisen dürfen Trucks belarussischer und russischer Firmen nur noch, wenn sie Lebensmittel, Postsendungen, Medikamente oder Energieträger transportieren. Ladungen werden Medienberichten zufolge penibel überprüft. Die Transportbranche geht dem Bericht zufolge davon aus, dass auch nach Ablauf der Deadline noch rund 10.000 LKW in Diensten russischer oder belarussischer Firmen in der EU unterwegs sind. Der Krieg in der Ukraine sowie der Fahrermangel in Europa verschärften den Energiepreisanstieg bei Diesel und Gas weiter. Zahlreiche ukrainische Berufskraftfahrer seien dem EU-Ultimatum noch entkommen und in ihr Land zurückgekehrt. Sie fehlen vor allem den baltischen und polnischen Speditionen und Transportunternehmen.

Krieg in der Ukraine und der Transportmarkt

In Polen in unmittelbarer Nachbarschaft zur Ukraine seien die Auswirkungen deutlich zu spüren. Hier waren viele ukrainische Fahrer tätig. Einige der Transportunternehmen verloren bis zu einem Drittel ihres Personals und mussten Teile ihrer Flotte stilllegen. Nachdem das Gros der europäischen Unternehmen ihre Zusammenarbeit mit russischen Partnern abgebrochen hat, ist die Nachfrage nach Transportleistungen zusätzlich zurückgegangen. Ein weiterer Grund für die schwache Auftragslage ist, dass ein Teil der ukrainischen Unternehmen ihren Betrieb eingestellt hat, also keine Komponenten mehr bestellt oder Waren versendet. Dies gilt insbesondere im Automobilbereich.

Transporte aus Europa nach Russland sind fast zum Erliegen gekommen. Seit Mitte März sind kaum noch Transportanfragen Richtung Russland im System von Timocom vorgekommen. Die Frachtangebote von Europa nach Russland sind im März um 85 Prozent eingebrochen. Dies ändere sich auf absehbare Zeit voraussichtlich nicht. Aufgrund der Sanktionslisten werden nur noch wenige Produkte nach Russland geliefert und die Wege ins Land sind umständlich und sehr zeitaufwendig.

Weniger Frachteingaben

Nach Kriegsbeginn sind die Frachteingaben bei Timocom merklich zurückgegangen und insgesamt um 50 Prozent eingebrochen. Im März nahmen sie kurzzeitig jedoch wieder leicht zu. „Wir sehen, dass nach Ausbruch des Krieges hier unter anderem Hilfsgütertransporte in unserem System angefragt und eingestellt wurden“, so Gburek. Im Westen der Ukraine werde weiterhin produziert. Im Smart Logistics System von Timocom sind nach wie vor Transportanfragen Richtung Westen, wenn auch bei weitem nicht so viele wie vor dem Kriegsbeginn. Die Frachteingaben aus der Ukraine sind im März insgesamt über 80 Prozent gegenüber dem Vormonat zurückgegangen.

Die Situationen mit all ihren Herausforderungen betrifft laut Timocom jedes Land in Europa. „Europa steht zusammen und bewältigt gemeinsam die Herausforderungen der Wirtschaft und der Transportbranche. Die Länder leisten darüber hinaus auch humanitäre Hilfe für die Menschen in der Ukraine“, so Gburek. Dieses Maß an Solidarität hätte kaum einer vorhergesagt.

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)