17.05.2022

Transportwege für Getreide aus der Ukraine

Der Güterverkehr mit der Ukraine ist eingebrochen. Seit Kriegsausbruch hat das zuständige Bundesamt nur wenige Genehmigungen erteilt. Ukrainisches Getreide und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse kann Bestimmungsorte nicht mehr erreichen. Die EU will Abhilfe schaffen.

Transportwege Getreide Ukraine

Herausforderung für Infrastruktur

20 Millionen Tonnen Getreide müssen die Ukraine innerhalb von weniger als drei Monaten verlassen. Dies ist die Herausforderung, die auf jetzt von der EU-Kommission beschlossene Transportrouten wartet. Die derzeitige Lage aufgrund des Krieges in dem Land gefährde sonst die weltweite Ernährungssicherheit, heißt es in einer Mitteilung der EU-Kommission. Deshalb habe sie alternative Verkehrswege unter der Bezeichnung „Solidaritätskorridore“ vorgeschlagen. Über sie soll Getreide aus der Ukraine exportiert werden können. Zudem sollen sie den Transport von Gütern aus Drittstaaten – von der humanitären Hilfe bis hin zu Futter- und Düngemitteln – in das Land ermöglichen. Unter normalen Umständen werden 75 Prozent der Getreideproduktion der Ukraine exportiert, was rund 20 Prozent der nationalen jährlichen Ausfuhrerlöse entspricht. Vor dem Krieg entfielen 90 Prozent der Ausfuhren von Getreide und Ölsaaten auf ukrainische Schwarzmeerhäfen. Rund ein Drittel der Ausfuhren ist für Europa, China bzw. Afrika bestimmt.

Über die Transportwege Logistikketten koordinieren

EU-Verkehrskommissarin Adina Vălean will über die Transportwege die Logistikketten koordinieren und verbessert sehen. Dazu müsse man neue Routen einrichten und Engpässe so weit wie möglich vermeiden. Man befasse sich mit den Notfalllösungen, mittel- und langfristigen Maßnahmen zur besseren Verbindung und Integration der ukrainischen Infrastruktur mit der EU. Bei kurz- und langfristigen Lösungen zusammenarbeite man mit den ukrainischen Behörden und insbesondere mit den benachbarten Mitgliedstaaten zusammen.

Maßnahmen zur Beseitigung von Verkehrsengpässen

Trotz den direkten Bemühungen von EU und Mitgliedstaaten, die Grenzübergänge zwischen der Ukraine und der EU zu erleichtern, warten Tausende von Wagen und Lastkraftwagen auf ukrainischer Seite auf ihre Abfertigung. Die durchschnittliche Wartezeit für Güterwagen beträgt laut Angaben 16 Tage, an einigen Grenzen bis zu 30 Tage. Weiteres Getreide sei noch gelagert und werde in ukrainischen Silos zurückgehalten, die zur Ausfuhr bereitstünden. Zu den Herausforderungen gehören unterschiedliche Spurweiten:

  • Ukrainische Wagen sind mit dem größten Teil des EU-Eisenbahnnetzes nicht kompatibel
  • die meisten Güter auf Lastkraftwagen oder Güterwagen müssen umgeladen werden, die der EU-Standardspurweite entsprechen.
  • Dieser Prozess ist zeitaufwendig, die Umschlageinrichtungen entlang der Grenzen knapp.

Vorrangige Maßnahmen

Um diese Hindernisse zu beseitigen und alternative Exportwege einzurichten, bereitet sich die Kommission darauf vor, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und Interessenträgern kurzfristig an folgenden vorrangigen Maßnahmen zu arbeiten:

  • Zusätzliche Güterwagen, Schiffe und Lastkraftwagen: Die Kommission fordert die Marktteilnehmer in der EU auf, dringend zusätzliche Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen. Um Angebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen und die entsprechenden Kontakte herzustellen, wird die Kommission eine Logistikplattform für die Vermittlung von Kontakten einrichten und die Mitgliedstaaten auffordern, spezielle Kontaktstellen für „Solidaritätskorridore“ (zentrale Anlaufstelle) zu benennen.
  • Kapazität der Verkehrsnetze und Umschlagterminals:
    • Ukrainische landwirtschaftliche Ausfuhrsendungen sollten vorrangig behandelt werden.
    • Infrastrukturbetreiber sollten Schienenplätze für diese Ausfuhren zur Verfügung stellen.
    • mobile Getreideladegeräte: Die Kommission fordert die Marktteilnehmer auf, dringend mobile Getreideladegeräte an die entsprechenden Grenzterminals zu überstellen, um den Umschlag zu beschleunigen.
    • Straßenverkehrsabkommen mit der Ukraine: Es soll die Engpässe beseitigen. Um Verkehrsunternehmen aus der EU zu ermutigen, ihren Fahrzeugen die Einreise in die Ukraine zu gestatten, prüft die Kommission Optionen für zusätzliche finanzielle Garantien.
  • Zollvorgänge und sonstige Kontrollen: Die Kommission fordert die nationalen Behörden nachdrücklich auf, größtmögliche Flexibilität walten zu lassen und für eine angemessene Personalausstattung zu sorgen, um die Verfahren an den Grenzübergangsstellen zu beschleunigen.
  • Lagerung von Waren im Gebiet der EU: Die Kommission will die in der EU verfügbaren Lagerkapazitäten bewerten und sich mit den Mitgliedstaaten abstimmen, um mehr Kapazitäten für die vorübergehende Lagerung ukrainischer Ausfuhren zu sichern.

Mittelfristige Verbesserung der Konnektivität

Mittel- bis langfristig strebt die Kommission an, die Infrastrukturkapazität neuer Exportkorridore zu erhöhen und im Rahmen des Wiederaufbaus der Ukraine neue Infrastrukturverbindungen aufzubauen. Die nächste Runde der Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen im Rahmen der Fazilität „Connecting Europe“ soll es ermöglichen, Projekte zur Verbesserung der Verkehrsverbindungen mit der Ukraine, einschließlich Schienenverbindungen und Schienen-Straßen-Terminals, zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund hat die Kommission einen Beschluss zur Unterzeichnung einer Vereinbarung auf hoher Ebene mit der Ukraine angenommen, mit dem die Karten für das transeuropäische Verkehrsnetz (TEN-V) im Rahmen ihrer Politik zur Ausdehnung des TEN-V auf die Nachbarländer aktualisiert werden.

Fracht findet ihren Weg

„Fracht findet immer ihren Weg“, heißt eine Transporteurweisheit. Es gibt immer eine individuelle Lösungen abseits der großen Transportunternehmen. Von ihnen erfährt die Öffentlichkeit nur wenig. Das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) hatlaut „Welt“ für das Jahr 2022 bisher 309 bilaterale Genehmigungen für deutsche Unternehmen und Organisationen für Fahrten in die Ukraine erteilt. Auf Anfrage des Blattes nennt die Kölner Bundesbehörde 242 Transportgenehmigungen im Zeitraum vor Kriegsbeginn von Januar bis zum 24. Februar. Davon entfielen 161 Erlaubnisse auf den gewerblichen Güterverkehr und 77 Zusagen auf Hilfstransporte. Seit Kriegsausbruch habe die Behörde nur noch 67 Transportgenehmigungen für Fahrten in die Ukraine ausgegeben –sieben davon betrafen den gewerblichen Gütertransport. Der Rest waren Hilfslieferungen. Im Gesamtjahr 2021 hatte das BAG noch 528 Genehmigungen für Transportfahrten in die Ukraine vergeben.

Transporte mit ukrainischen Lkw-Fahrern

Unternehmen aus Deutschland äußern sich kaum zu ihren Transporten in die Ukraine, nach eigener Aussage, weil sie kein Risiko für die Fahrer eingehen wollten. Der „Welt“-Bericht geht auf einen der Spezialisten, die Spedition Transalex aus Nürnberg, näher ein. Das Unternehmen nehme derzeit Transportaufträge an. Die Spedition ist seit vielen Jahren auf dem internationalen Logistik- und Transportmarkt etabliert und bietet flexible Transporte aus Deutschland Richtung Osteuropa und Russland an. Zum Leistungsspektrum der Spedition gehören vielfältige Transportarten an, unter anderem:

  • Containertransporte
  • Massenguttransporte
  • Schwertransporte
  • Sperrguttransporte
  • Spezialtransporte
  • Büro- und Kontraktlogistik
  • Textillogistik
  • Möbeltransporte
  • Spezialtransporte
  • Umzugstransporte
  • Lagerservice
  • Verzollung für Import & Export
  • und vieles mehr

Die Spedition führt zudem regelmäßige Sammelguttransporte aus Nürnberg in die Ukraine durch. Ausgeführt würden die Aufträge ausschließlich von Fuhrunternehmern mit ukrainischen Lkw-Fahrern. Es sei möglich, ausreichend Fuhrunternehmer dafür zu finden, sagte der Sprecher. Die Transportnachfrage sei seit Kriegsausbruch auf weniger als die Hälfte eingebrochen. Darüber, welche Industriegüter Transalex transportiert, gebe es keine Angaben. „Wir fahren lediglich in die westlichen Gebiete der Ukraine“, zitiert „Welt“ einen Unternehmenssprecher.

Konzerne stellen Landtransport mit Ukraine ein

Konzerne wie Kühne + Nagel, DHL oder Schenker haben ihren Landtransport in die Ukraine eingestellt oder äußerten sich nicht dazu. In der Regel verfügen diese Unternehmen nicht über eine eigene Lkw-Flotte, sondern nutzen selbstständige Fuhrunternehmer. Zumal für diese oftmals kleinen Betriebe sei der Transport heikel, unter anderem weil sie keinen Versicherungsschutz mehr für derartige Touren bekämen. Kühne + Nagel wolle eine Niederlassung in Lemberg eröffnen.

Grenzen der Ukraine offen

Grundsätzlich möglich ist der Warenaustausch gleichwohl weiterhin. Die Grenzen der Ukraine zu Polen oder anderen Nachbarländern der Europäischen Union sind offen. Die Arbeit im wichtigen Drehkreuz für den Schienengütertransport in der polnischen Stadt Przemyśl in Richtung Lemberg laufe weiter. Zudem planten Ukraine und Polen die Gründung eines gemeinsamen Logistikunternehmens für den Schienentransport.

Auf der anderen Seite sei der Transportbedarf überaus groß. Agrarlager in der Ukraine seien in einigen Regionen gefüllt und warten auf den Export. Doch der Seeweg über Massengutfrachter ist wegen der geschlossenen Häfen und der verminten Seewege versperrt. „Bei uns herrscht nach wie vor ein Buchungsstopp für Transport in die Ukraine oder aus dem Land heraus“, kommt in dem Bericht ein Sprecher von Hapag-Lloyd zu Wort. Zwischen Deutschland und der Ukraine besteht ein Abkommen über den grenzüberschreitenden Straßenverkehr. Kontingente regeln, nach welchen Kriterien Genehmigungen erteilt werden. Bei Hilfslieferungen etwa von medizinischen Produkten muss zwar grundsätzlich kein Antrag gestellt werden. Dennoch werden diese Papiere von den Organisationen oftmals gewünscht, um mögliche Verzögerungen an der Grenze zu vermeiden.

Claas transportiert – und spendet

Aus der deutschen Industrie gibt es vereinzelte Informationen über Logistikverbindungen. „Wir liefern seit einigen Wochen vor allem Ersatzteile in die Ukraine“, heißt es bei dem Landmaschinenhersteller Claas aus Ostwestfalen. Dies geschieht per Lkw aus dem Zentrallager im westfälischen Hamm heraus. Das Unternehmen steht in Kontakt mit erfahrenen internationalen Hilfswerken, um einen Beitrag zur humanitären Hilfe zu leisten. In einem ersten Schritt gehen fast 25.000 Euro an die UNO Flüchtlingshilfe. Der Betrag kam im Januar im Rahmen des jährlichen Dreikönigstreffens zusammen, wobei damals noch niemand an den Krieg in der Ukraine dachte. Das Unternehmen verdoppelt die Summe und wird den zweiten Teil an das Internationale Rote Kreuz spenden. Darüber hinaus hat Claas eine internationale Spendenaktion im gesamten Unternehmen gestartet und sich an die über 11.900 Mitarbeitenden gewandt. Dabei soll es besonders um das Wohlergehen und die Gesundheit von 7,5 Millionen Kindern in der Ukraine gehen.

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)