25.10.2018

Billigflaggen gefährden zunehmend den weltweiten Handel

Wenn am Hungertuch nagende Somalis Handelsschiffe kapern, ist die Empörung groß. Wenn Promis Kapital in Bananenrepubliken bunkern, auch. Aber wenn Reedereien ihre Schiffe eben dorthin ausflaggen, schert das niemanden. Warum fahren manche unter Billigflaggen? Dagegen hat die deutsche Flagge einiges zu bieten.

Warum fahren so viele Schiffe unter Billigflaggen? Dies sind die Vorteile der deutschen Flagge.

Kein Schiff ohne Flagge wird auslaufen

„Aquarius“: Dieses Schiff der Bremer Reederei Jasmund Shipping machte unlängst Schlagzeilen. Es hatte im Auftrag der Seenotrettungsorganisation SOS Mediterranée Flüchtlinge in Seenot auf dem Mittelmeer aufgenommen. Wie der „Weser-Kurier“ berichtet, lief es unter der Flagge von Panama. Als es im Hafen von Marseille festgemacht hatte, durfte es nicht mehr auslaufen. Panama hatte dem Schiff die Flagge entzogen. Zuvor hatte bereits Gibraltar das Schiff aus seinem Register gestrichen.

Dass Panama das Rettungsschiff aus dem Register nehmen will, führt Reeder Christoph Hempel auf politischen Druck der italienischen Regierung zurück. Die habe gedroht, dass Schiffe mit Panama als Flaggenstaat keine europäischen Häfen mehr anfahren dürften.

„Das bedeutet die komplette Handlungsunfähigkeit. Ohne Flagge können wir nicht retten“,

sagte Sprecherin Jana Ciernioch bei einer Pressekonferenz in der Bremer Bürgerschaft. Ohne Flagge erlischt die Versicherung.

Billigflaggen und kapitalistische Globalisierung

Für Jörn Boewe, Autor der Wochenzeitschrift „Der Freitag“, stehen Billigflaggen für „kapitalistische Globalisierung par excellence“. Nach dem Ersten Weltkrieg gründeten mittelamerikanische Länder die ersten „offenen“ Schiffsregister. „Offen“ deswegen, weil die dort gemeldeten Schiffe keinerlei reale Verbindung mit dem Flaggenstaat haben mussten.

Anfang der 1920er flaggten US-Reeder Passagierschiffe nach Panama aus, um die heimischen Prohibitionsgesetze zu umgehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Ausflaggung dann, so Boewe, weltweit richtig Fahrt auf. Startschuss war 1947 die vom US-Außenministerium geförderte Gründung des liberianischen Registers. 20 Jahre später war es das größte Schiffsregister der Welt.

Whiskyausschank, Tarifverträge, Steuervermeidung

Längst geht es nicht mehr um den Whiskyausschank im Salon von Kreuzfahrtschiffen. Heute unterlaufen Reedereien durch die Ausflaggung ihrer Schiffe weltweit und systematisch Tarifverträge sowie Steuer- und Arbeitsschutzgesetze ihrer Heimatländer.

Boewe: „All das gibt es in den Billigflaggenstaaten praktisch nicht.“

Nur geringe Gebühren würden fällig:

„Peanuts für die Reeder, leicht verdientes Geld für die Registerstaaten der Briefkastenfirmen“, so Boewe.

Erst um die Jahrtausendwende gelang es der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF), den ersten weltweit gültigen Tarifvertrag für Billigflaggenschiffe zu schließen. Rund 300.000 der weltweit etwa 1,5 Millionen Seeleute fallen darunter. Bei 1.375 Dollar liegt der Einstiegslohn für einen „ordinary seaman“, Überstundenzuschläge eingerechnet. Ein aus westlicher Perspektive absurd niedriges Niveau.

Der Trick mit den Billigflaggen

Die meisten Seeleute haben zudem gar keinen Tarifvertrag und Stundenlöhne von zwei Dollar sind keine Seltenheit. 1950 lag der Anteil der Billigflaggen an der Welthandelsflotte bei knapp sieben Prozent, 1970 war er auf ein Viertel gestiegen. Heute sind es drei Viertel.

Doch in keinem der Billigflaggenstaaten, so Boewe, weder in Panama, Liberia noch den Marshallinseln, sitzen die großen Schiffseigner. Die haben ihren Sitz in Griechenland, China, Japan und Deutschland. Deutschland hat mittlerweile sogar ein eigenes internationales Schiffsregister geschaffen.

So will man von den Vorteilen der Ausflaggung zu profitieren, ohne das schmuddelige Image von Offshore-Briefkastenfirmen auf sich zu ziehen. Die Schiffsbesatzungen wiederum kommen überwiegend weder aus den Flaggen- noch den Eignerstaaten, sondern von den Philippinen, aus Indonesien, Russland oder der Ukraine.

Alternative: Fahrt unter Qualitätsflagge

Dabei sind die vermeintlichen Vorteile von Ausflaggungen langfristig zuweilen gar keine. Als Qualitätsflagge bietet die deutsche im Vergleich zu anderen Flaggen viele echte Vorteile für Reedereien und Seeleute. Darauf weist das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie hin. So werden Qualität und hohes Schiffssicherheitsniveau bei der deutschen Flagge großgeschrieben.

Bei den Leistungsvergleichen der Hafenstaatkontrollregime etwa fallen die Schiffe unter deutscher Flagge durch besonders wenig Mängel und Festhaltungen auf. Mit dem Neuen Inspektionsregime (NIR) profitierten Reeder direkt von den guten Leistungen der deutschen Flagge. Wer unter einer Qualitätsflagge fährt und sein Schiff in Schuss hält, wird mit selteneren Hafenstaatkontrollen belohnt.

Förderung der deutschen Flagge durch den Bund

Zudem fördert der Bund die deutsche Flagge im Einklang mit europäischem Recht mit erheblichen finanziellen Mitteln. Reeder deutschflaggiger Schiffe profitieren von:

  • Zuschüssen zur Senkung der Lohnnebenkosten
  • Zuschüssen zur Schaffung von Ausbildungsplätzen sowie
  • vollständigem Lohnsteuereinbehalt für Seeleute

Außerdem unterstützt die Stiftung „Schifffahrtsstandort Deutschland“ mit jährlich rund 20 Millionen Euro die Ausbildung von seemännischem Nachwuchs. Schließlich hat der Arbeitsschutz unter deutscher Flagge Tradition. Schon seit Ende des 19. Jahrhunderts sorgt die Berufsgenossenschaft für mehr Arbeitssicherheit an Bord. Fachkräfte für Arbeitssicherheit schaffen die Verbindung zwischen dem Schiffs- und dem Landbetrieb.

Den Reedereien stehe ein umfassender Beratungsservice zur Verfügung. Unfallverhütung und Prävention werden unter deutscher Flagge großgeschrieben.

„Aquarius“ unter deutscher Flagge?

Epilog: Da die „Aquarius“ nun im Hafen von Marseille liegt, ist die Entscheidung vorerst ausgesetzt, damit der Reeder einen neuen Flaggenstaat finden kann. Gespräche dafür laufen laut Hempel unter anderem mit der Schweiz, Luxemburg und Venezuela. Wie wäre es denn, wenn er mal in Deutschland anfragen würde? Nur so als Vorschlag.

Autor*in: Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)