04.10.2016

Erweiterter Bestandsschutz durch Fremdkörperfestsetzung (OVG Nordrhein-Westfalen, 19.05.2015 – 10 D 115/12)

Bauleitplanung: Urteile und Beschlüsse

Leitsatz

Eine Festsetzung nach § 1 Abs. 10 Satz 1 BauNVO (Fremdkörperfestsetzung) setzt voraus, dass die Anlagen, für die ein derart erweiterter Bestandsschutz zugelassen werden soll, im Bebauungsplan oder zumindest in der Planbegründung konkret benannt werden und dass sie innerhalb des jeweiligen Baugebiets keine zentrale Bedeutung oder eine die städtebauliche Situation beherrschende Größe aufweisen.

(OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.05.2015 – 10 D 115/12)

Sachverhalt

Gegenstand des Normenkontrollverfahrens war ein Bebauungsplan, der einen etwa 4 ha großen, zuvor unbeplanten Bereich als gegliedertes Gewerbegebiet festsetzt. Zum Schutz umliegender Wohngebiete wurden die meisten Betriebsarten im Sinne des Abstandserlasses des Landes NRW für unzulässig erklärt. Die Antragstellerin (Klägerin) betreibt im Plangebiet eine genehmigte Recyclinganlage für Altautos. Zu ihren Gunsten wurden Betriebsänderungen und -erneuerungen von den Beschränkungen ausgenommen unter der Bedingung, dass sie zu einer Verbesserung der Immissionssituation an den benachbarten Wohngrundstücken führen.

Aus den Gründen

Der Bebauungsplan leidet an einem zu seiner Unwirksamkeit führenden beachtlichen Mangel. Satz 2 der textlichen Festsetzung Nr. 1.2.6 ist unwirksam. Nach deren Satz 1 sind in dem Bereich GE 2 Betriebe der Abstandsklassen I bis VII der Abstandsliste 2007 unzulässig. Gemäß Satz 2 sind davon ausgenommen Änderungen (keine Nutzungsänderungen) an und Erneuerungen von Betrieben …

Kommentar der Herausgeber (Kunze/Welters)

Die Anwendung der Fremdkörperfestsetzung nach § 1 Abs. 10 BauNVO bei der Überplanung von Gemengelagen ist eine häufige Planungsaufgabe. Im vorliegenden Urteil sind dabei dem Planungsgeber gleich mehrere zentrale Fehler unterlaufen.

Das Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen stellt eindrücklich heraus, welche Voraussetzungen zur Anwendung dieser Ausnahmeregelung erfüllt sein müssen. Neben einer klaren Eingrenzung, auf welche Anlagen sich dieser Ausnahmetatbestand bezieht, muss sich diese Anlage auch im Hinblick auf die Größe und die Bedeutung (z.B. als Lärmemittent) deutlich unterordnen. Beide Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

Zudem muss präzise und nachvollziehbar definiert werden, unter welchen Voraussetzungen Änderungen und Erneuerungen der betreffenden Anlage(n) zulässig sein sollen. Im vorliegenden Fall wurde nicht deutlich, was unter einer allgemeinen Festsetzung „Verbesserung der Immissionssituation an den benachbarten Wohngrundstücken“ konkret gemeint ist.

Hinweis für die Praxis

Die Anwendung einer Fremdkörperfestsetzung nach § 1 Abs. 10 BauNVO setzt eine umfangreiche, konkrete anlagenbezogene Auseinandersetzung unter Betrachtung des städtebaulichen Umfelds im Einzelfall voraus. Allgemeine städtebauliche Ziel- und Wunschvorstellungen sind nicht ausreichend.

Autor*innen: Kunze , Hartmut Welters (Prof. Dipl.-Ing., Architekt und Stadtplaner. Mitinhaber des Architektur- und Stadtplanungsbüros Post-Welters, Dortmund/Köln. Professor für „Stadtbereichsplanung und Wohnbau" an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM Gießen).)

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