10.05.2016

Neue Rechtsprechung zu Flüchtlingsunterkünften

„Wir nehmen gern Flüchtlinge auf und helfen ihnen – aber auf keinen Fall in meiner Nachbarschaft“. Es häufen sich die Urteile zu der Frage, ob Flüchtlingsunterkünfte in Wohn- und Gewerbegebieten bereitgestellt und betrieben werden dürfen. Wir geben einen Überblick über die aktuelle Rechtsprechung.

Austausch von Flüchtlingsdatgen

Interesse der Allgemeinheit werden nicht nur bei Kindergärten oder Freizeiteinrichtungen sichtbar, sondern neuerdings auch bei Einrichtungen zum Unterbringen von Flüchtlingen.

Zum Bewältigen der stark angestiegenen Zuwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland hat der Bund mit den neuen Absätzen 10 bis 17 des § 246 BauGB Vorschriften erlassen, die es bis 31.12.2019 ermöglichen, für Flüchtlingsunterkünfte Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans auszusprechen.

Nicht in reinem Wohngebiet

VG Hamburg, Beschl. vom 12.02.2016, Az. 7 E 6816/15

  • Die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in einem reinen Wohngebiet verletzt die Anwohner in ihrem Gebietserhaltungsanspruch.
  • Der Gebietserhaltungsanspruch steht nur den Grundstückseigentümern und sonstig dinglich Berechtigten innerhalb eines durch Bebauungsplan festgesetzten oder faktischen Baugebiets zu, da nur in diesem Fall die Nachbarn denselben rechtlichen Bindungen unterliegen.
  • Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG und des OVG Hamburg hat die Festsetzung von Baugebieten im Sinne der Art der baulichen Nutzung durch einen Bebauungsplan nachbarschützende Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet.
  • Das Vorhaben zielt auf eine gebietsfremde Nutzung. Zulässig nach Art der baulichen Nutzung sind in reinen Wohngebieten gem. § 3 Abs. 2 BauNVO regelhaft Wohngebäude sowie Anlagen zur Kinderbetreuung, die den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienen. Ausnahmsweise können neben den hier nicht relevanten gewerblichen Anlagen i.S.v. § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO gem. § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO sonstige Anlagen für soziale Zwecke (sowie den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienende Anlagen für kulturelle, gesundheitliche oder sportliche Zwecke) zugelassen werden. Eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge stellt keine Wohnnutzung dar. Sie ist auch nicht als soziale Einrichtung in einem reinen Wohngebiet zulässig. Ihre bauplanungsrechtliche Zulässigkeit folgt schließlich nicht aus der nach § 246 Abs. 12 BauGB erteilten Befreiung von den Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung.

Doch in reinem Wohngebiet

VGH München, Beschl. vom 21.03.2016, Az. 2 ZB 14.1201

  • Die Nutzungsänderung eines Gebäudes von einem Schullandheim (als Anlage für kulturelle Zwecke) in eine Asylbewerberunterkunft (als Anlage für soziale Zwecke) in einem Wohngebiet ist zulässig.
  • Liegt das Vorhaben im Innenbereich, so ist es gemäß § 246 Abs. 11 BauGB genehmigungsfähig. Auch in einem reinen Wohngebiet nach § 3 BauNVO ist eine Asylbewerberunterkunft regelmäßig zulässig.
  • Liegt das Vorhaben im Außenbereich, so ist es entweder gemäß § 246 Abs. 9 BauGB oder nach § 246 Abs. 13 Satz 1 Nr. 2 BauGB zuzulassen. Dann gilt die Rechtsfolge des § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB entsprechend.
  • Dem Vorhaben darf nicht entgegengehalten werden, dass es Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widerspricht, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt.

Und in einem Sondergebiet

VG Karlsruhe, Beschl. vom 11.03.2016, Az. 11 K 494/46

  • Einem Anwohner steht vorläufiger Rechtsschutz gegen die Nutzungsänderung eines benachbarten ehemaligen Hotels in eine Asylbewerberunterkunft zu.
  • Sowohl der Anwohner als auch das ehemalige Hotel liegen in etwa 265 m Entfernung zueinander im Geltungsbereich eines Bebauungsplans. Der Bebauungsplan weist im nördlichen Teil, in dem sich der Anwohner befindet, ein Sondergebiet 1 aus. Dort sind Kliniken, Sanatorien u.Ä. einschließlich der dazugehörigen Nebenanlagen zulässig.
  • Das ehemalige Hotel liegt südlich davon im Sondergebiet 2, in dem Einrichtungen für den Fremdenverkehr wie Gästezimmer, Ferienwohnungen einschließlich der zugehörigen Nebeneinrichtungen sowie Schank- und Speisewirtschaften zulässig sind. Ausnahmsweise können im Sondergebiet 2 auch Wohngebäude, private Krankenanstalten und Kurkliniken zugelassen werden.
  • Das Vorhaben zur Nutzungsänderung verstößt gegen nachbarschützende Vorschriften des Bebauungsplans. Bei der geplanten Asylbewerberunterkunft handelt es sich nicht um eine dort zugelassene Fremdenverkehrseinrichtung. Sie fällt auch nicht unter die nach dem Bebauungsplan ausnahmsweise zulässige Wohnnutzung. Denn die Bewohner könnten aufgrund der Gemeinschaftsunterkunft ihre Haushaltsführung nicht – wie bei einer Wohnnutzung erforderlich – selbst gestalten. Deshalb ist das Vorhaben als eine im Plangebiet nicht zulässige soziale Einrichtung einzuordnen. Eine Befreiung kann nicht erteilt werden.
  • 246 Abs. 14 BauGB lässt es u.a. bei Gemeinschaftsunterkünften bis zum 31.12.2019 zu, unter bestimmten Voraussetzungen von Bebauungsplanvorschriften abzuweichen. Diese Voraussetzungen sind aber tatbestandlich nicht erfüllt. Zum einen muss eine strenge Prüfung der Erforderlichkeit vorgenommen werden, zum anderen ist es nicht zulässig, dass die zur Genehmigung gestellte Kapazität der geplanten Unterkunft die nach der Abweichungsvorschrift zulässige Bedarfsdeckung überschreitet. Das ehemalige Hotel war auf maximal 56 Gäste ausgelegt. Sollen nun 120 Flüchtlinge untergebracht werden, überschreitet die Nutzungsänderung den rechtlich zugelassenen Umfang.
Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)