13.07.2012

Paradox: Obdachloser hat trotz Hausverbot Anspruch auf Notunterkunft

Ein unbefristetes und für sämtliche Notunterkünfte der Stadt geltendes Hausverbot ist rechtswidrig (VG Osnabrück, Beschluss vom 04.05.2012, Az. 6 B 44/12).

Bilder Akten

Mit Verfügung vom 26.03.2012 wies die Ordnungsbehörde ein Ehepaar für die Zeit bis zum 30.06.2012 aufgrund bestehender Obdachlosigkeit in eine Notunterkunft ein. Kurz nach der gemeinsamen Einweisung kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten, worauf die Ehefrau die Ordnungsbehörde bat, ihr ein eigenes Zimmer zu geben.

Die Ordnungsbehörde wies dem Ehemann (Kläger) vom 28. bis 29.03. eine benachbarte Notunterkunft zu.

Beim Umzug in Begleitung des Ordnungsdienstes brüllte und lärmte der Kläger, beleidigte und bedrohte die Mitarbeiter der Ordnungsbehörde und beging wiederholt Sachbeschädigungen. Daraufhin wurde ihm ein Hausverbot erteilt. Fluchend und drohend verließ der Kläger das Haus. Am nächsten Tag beschwerten sich mehrere Bewohner der Obdachlosenunterkünfte über den Kläger; sie hätten Angst um ihre körperliche Unversehrtheit. Sie beantragten, das Ehepaar nicht mehr in der Obdachlosenunterkunft unterzubringen.

Am gleichen Tag erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller wegen dieser Vorfälle unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ein unbefristetes, unter den Vorbehalt des Widerrufs gestelltes Hausverbot für die beiden von ihr zur Obdachlosenunterbringung genutzten Gebäude und deren Grundstücke. Mit Bescheid vom selben Tag widerrief die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller ihre Einweisungsverfügung. Mit weiterem Bescheid vom selben Tag widerrief sie ihre Einweisungsverfügung auch gegenüber der Ehefrau und wies diese zugleich in eine andere Räumlichkeit ihrer Obdachlosenunterkunft ein. Bei Aushändigung der Verfügungen an die gemeinsam erschienenen Eheleute erklärte der Antragsteller, dass er sich nunmehr zunächst ein Hotelzimmer nehmen werde.

Einen späteren Antrag auf erneute Unterbringung lehnte die Stadt ab, auch unter Hinweis auf die freiwillige Zurverfügungstellung einer Unterkunft in der Nachbarstadt, die der Kläger nicht angenommen hatte.

Daraufhin beantragte der Obdachlose gerichtliche Hilfe. Damit wollte er das Hausverbot vorläufig außer Kraft gesetzt wissen und darüber hinaus eine Notunterkunft in möglichst enger räumlicher Nähe zu seiner Ehefrau zugewiesen bekommen. Er führte aus, er habe sich bereits am Tag des Streits mit seiner Frau versöhnt. Aufgrund des Hausverbots könne er sie aber schon vier Wochen lang lediglich in der Öffentlichkeit treffen.

Das Verwaltungsgericht Osnabrück hob das Hausverbot auf und verpflichtete die Stadt, dem Kläger vorläufig eine Obdachlosenunterkunft zur Verfügung zu stellen.

Entscheidungsgründe:

  • Das Gericht geht davon aus, dass das Begehren des Antragstellers darauf gerichtet ist, unter vorläufiger Aussetzung des Hausverbots (erneut) in eine Obdachlosenunterkunft der Antragsgegnerin in möglichst großer räumlicher Nähe zu seiner Ehefrau eingewiesen zu werden.
  • Ermächtigungsgrundlage für das gegenüber dem Antragsteller ausgesprochene Hausverbot war das Hausrecht, das als notwendiger Annex zur öffentlich-rechtlichen Sachkompetenz einer Behörde von deren Leiter kraft der ihm zustehenden Organisationsgewalt zur Gewährleistung und Aufrechterhaltung eines geordneten Dienstbetriebs (hier als unselbstständige Anstalt) ausgeübt wird.Ein Hausverbot muss auf einer Tatsachengrundlage beruhen, die die Prognose trägt, dass künftig mit Störungen gerechnet werden muss, zu deren Verhinderung das Hausverbot notwendig ist. Dies erfordert, dass der Betroffene in der vorangegangenen Zeit den Hausfrieden gestört hat und einer zu erwartenden Wiederholung derartiger Störungen mit einem Hausverbot wirksam begegnet werden kann. Allerdings muss die Behörde/Einrichtung auch mit aus ihrer Sicht schwierigen Menschen zurechtkommen und diese ihr Anliegen verfolgen lassen und kann nicht sogleich auf ein Hausverbot zurückgreifen. Diese Möglichkeit ist regelmäßig erst eröffnet, wenn der Dienstbetrieb insbesondere durch beleidigendes, bedrohendes oder aggressives Verhalten nachhaltig gestört wird.
  • Die Antragsgegnerin war als die zur Gefahrenabwehr berufene Behörde sachlich und örtlich zuständig und hatte nach pflichtgemäßem Ermessen aufgrund des Gefahrenabwehrgesetzes die notwendigen Maßnahmen zu treffen.
  • Hier war eine unfreiwillige Obdachlosigkeit gegeben; diese Störung der öffentlichen Sicherheit unter Beachtung der Menschenwürde hatte die Behörde zu beseitigen.
  • Der Antragsteller hat zwar die Ordnung in der Obdachlosenunterkunft und deren Betrieb intensiv und nachhaltig gestört. Aber auch bei Berücksichtigung dieser Vorfälle fehlt es nach Würdigung des Gerichts noch nicht an einer Unterbringungsfähigkeit und -willigkeit des Antragstellers, auch wenn die im Übrigen hinsichtlich des Antragstellers bislang anzunehmenden Umstände, insbesondere seine Neigung zu Gewalt und Alkohol, seine Unterbringung in jedweder Wohnung aufgrund einer damit einhergehenden sozialen Unverträglichkeit und deshalb zu befürchtender sozialer Konflikte schwierig gestalten.
  • Es sind auch die Auswirkungen des Grundrechts der Eheleute aus Art. 6 Abs. 1 GG im Rahmen der gebotenen Abwägung zugunsten des Antragstellers in Betracht zu ziehen, ohne dass das vorliegende Verfahren dazu nötigte, Bedeutung und Reichweite dieses Grundrechts im Rahmen der ordnungsrechtlich determinierten Obdachlosenunterbringung auszuloten.
  • Im vorliegenden Verfahren ist davon auszugehen, dass es (noch) nicht an der Unterbringungsfähigkeit und -willigkeit des Antragstellers fehlt. Daher ist die Antragsgegnerin verpflichtet, die mit einer Obdachlosigkeit des Antragstellers verbundenen Gefahren durch Zuweisung einer menschenwürdigen Unterkunft zu beseitigen. Das unbeschränkte Hausverbot war unangemessen.

Hinweis:

Diese Rechtsprechung ist nach der Gesetzeslage wohl nicht anzuzweifeln. Trotzdem geht sie an den tatsächlichen Verhältnissen in der Praxis vorbei. Wie soll sich denn eine Ordnungsbehörde gegenüber derart gewalttätigen Menschen in einer Notunterkunft sonst verhalten? Wo soll die Grenze der Unterbringungsfähigkeit eines Obdachlosen liegen? Die Behörde kann doch nicht im Einzelfall für derartige Menschen separate Unterkünfte schaffen! Auch die Interessen anderer Bewohner der Notunterkünfte müssen gewahrt werden, und das ist in so einem Fall nur durch ein Hausverbot möglich.

Betrachtet man die Gefährdungslage, so kann doch einer Prognose über das weitere Verhalten des Klägers nicht mit einem vorläufigen Hausverbot begegnet werden. Unserer Meinung nach ist hier der Gesetzgeber gefragt.

Autor*in: WEKA Redaktion