06.07.2021

Verstößt das Lieferkettengesetz teilweise gegen WTO-Regeln?

Das Lieferkettengesetz ist beschlossen. Ab 2023 sollen deutsche Firmen entlang der gesamten Lieferkette Verantwortung übernehmen. Doch erheben sich zunehmend Zweifel gegen die Regeltreue zu internationalen Vereinbarungen, u.a. gegen WTO-Regeln.

Lieferkettengesetz WTO

Diskriminierungsverbot der Welthandelsorganisation

Wie die „WirtschaftsWoche“ schreibt, verstößt das Lieferkettengesetz u.a. gegen das Diskriminierungsverbot der Welthandelsorganisation (World Trade Organisation, WTO). Danach verbieten diese Regeln grundsätzlich die extraterritoriale Anwendung von nationalen Gesetzen und damit Handelsbeschränkungen, wenn den heimischen Konsumenten keine Gefahr beim Verbrauch von importierten Gütern entsteht.

Sie setzten Produkte aus unterschiedlichen Produktionsweisen gleich, sofern diese physisch gleich sind: das like product-Prinzip. Man habe es in der Vergangenheit durch Streitschlichtungsverfahren modifiziert. Gleichwohl sei es immer noch eine wichtige Grundlage für die Einhaltung des Diskriminierungsverbotes.

Dilemma zwischen Nachhaltigkeit und Bevormundung

Damit bleibt das Dilemma zwischen:

  • mehr Nachhaltigkeit in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen zum Schutz von Mensch und Umwelt und
  • keine Bevormundung armer Länder durch reiche Länder.

Bislang versuchte man, über das Nutznießerprinzip (victim’s pay principle) aus der Zwickmühle herauszukommen. Dieses Prinzip besagt: wer geschädigt ist oder sich geschädigt fühlt, bezahlt den Verursacher dafür, dass er die tatsächliche oder vermeintliche Schädigung unterlässt. Vom Lieferkettengesetz geschädigt können nur Staaten in Vertretung ihrer Bürger sein oder sich fühlen, die aufgrund dessen keine Aufträge mehr bekommen. Ihren Willen müssen die Regierungen der Staaten umsetzen. Entsprechend müssen sie diese Zahlung an die Verursacherstaaten, die Liefergesetze erlassen, leisten, nicht Unternehmen.

Das Prinzip der Erpressung

Staaten in reichen Ländern hätten bislang dieses Prinzip bisweilen als Erpressung verstanden. Sie lehnten dann regelmäßig ab, wenn beispielsweise Regierungen armer Länder als Preis für den Verzicht auf wirtschaftliche Nutzung wertvoller Ökosysteme eine Entschädigung verlangten.

Rolf Langhammer von der „WirtschaftsWoche“: „Diese Haltung führt nicht weiter.“
Arme Länder bräuchten viel mehr materielle Hilfen von außen als bisher, um die Anforderungen reicher Länder zu erfüllen. Unternehmen würden schon aus eigenem Interesse zum Nachweis größerer Nachhaltigkeit ihrer Produkte als ein Aktivposten Hilfen in Form von Technologietransfer und Marktanbindung innerhalb ihrer Geschäftsbeziehungen leisten. Was sie nicht leisten könnten, sei an Stelle von Regierungen öffentliche Güter wie Umweltschutz oder Garantie von Menschenrechten sicher zu stellen.

Klimaschutz und Menschenrechte

Global tätige Unternehmen mit Sitz in Industrieländern sehen sich zunehmendem politischen Druck und rechtlichen Zwängen ausgesetzt, ihre Produktion an gesellschaftlichen Zielen auszurichten. Langhammer nennt als Beispiel neben dem Lieferkettengesetz Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Klimaschutz. Deutsche Unternehmen werden durch das künftige Lieferkettengesetz verpflichtet, internationale Richtlinien zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt in ihrem Geschäftsbereich zu kontrollieren.

Grobe Verstöße können Haftungsansprüche entlang der gesamten Lieferkette begründen. Die EU plant eine noch weitergehende Richtlinie für gute Regierungsführung in Lieferländern. US-Unternehmen nimmt laut „WirtschaftsWoche“ der dortige Frank-Dodd-Act entsprechend in die Pflicht, die aus Konflikt- und Risikoländern wie den afrikanischen Anrainerstaaten entlang der großen Seen (Ostkongo, Ruanda, Burundi) mineralische Rohstoffe beziehen, ohne die Zertifizierungsauflagen der amerikanischen Regierung für den Kleinbergbau zu beachten.

Menschenrechte gegen Handlungssouveränität

Gemeinsam ist diesen Gesetzen dreierlei:

  • Präferenzen der Industrieländer:
    • Nachhaltigkeit
    • Menschenrechte
    • Umweltschutz.
  • Beschränkung der Handlungssouveränität der Regierungen ärmerer Länder und Nichtbeachtung der dortigen Präferenzen und von deren Bevölkerung. Sie bewerten das eigene Wohl in unmittelbarer Zukunft höher als die Ideale in den Industrieländern in einer ungewissen Zukunft.
  • Vernachlässigung von Zweitrundeneffekten aus Reaktionen der betroffenen Unternehmen. Sie könnten auffällige Unternehmensbereiche in Länder verlagern, die es mit den Idealen der Industrienationen nicht so genau nehmen.

Mögliche Folgen:

  • Zum Schutz ihrer Bürger setzen betroffene ärmere Länder international eingegangene Verpflichtungen nicht um.
  • Beschäftigte nehmen sogar schwierige Arbeitsbedingungen innerhalb internationaler Lieferketten in Kauf. Sie sind immer noch besser als die Bedingungen auf informellen Arbeitsmärkten außerhalb der Reichweite der Gesetze der Industriestaaten.

Whataboutism zu Nord Stream 2 und Iran

Langhammer zieht einen durchaus statthaften Vergleich, auch wenn derlei immer häufiger mit dem Totschlagargument des „Whataboutism“ als rhetorisches Ablenkungsmanöver abgetan wird. Er verweist auf die EU, die die extraterritoriale Anwendung von nationalen Gesetzen beklage, wenn sich die USA ihr gegenüber so verhält wie bei der deutsch-russischen Gas-Pipeline durch die Ostsee „Nord Stream 2“ oder den Sanktionen gegen den Iran.

Langhammer: „Sie würde sich auch dagegen verwahren, sollte ein Land beispielsweise das Konsumverhalten in der EU als unvereinbar mit eigenen ethischen Normen ansehen und dagegen einschreiten.“
Wenn es aber um die extraterritoriale Anwendung von eigenen Gesetzen gegenüber armen Ländern gehe, sei die EU blind – „auf ihrem eigenen Auge“, so Langhammer.

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)