09.02.2023

Nachhaltigkeitsrisiken in Lieferketten digital identifizieren

Schlechte Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit, Umweltsünden und Bestechlichkeit: globale Lieferketten erlegen Unternehmen erhebliche Verantwortung auf. Um die Nachhaltigkeitsrisiken in den Griff zu bekommen, hoffen sie laut einer Studie zunehmend auf digitale Lösungen.

Nachhaltigkeitsrisiken in Lieferketten

Herausforderung LkSG

Am 1. Januar 2023 ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft getreten. Es zwingt Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit in ihren Lieferketten. Dabei scheint ihnen eines klar zu sein: mit analogen Bordmitteln werden sie der Risiken kaum Herr. Dazu bedarf es schlagkräftiger digitaler Lösungen. Mit ihnen befassen sich Unternehmen verstärkt in der Hoffnung auf:

  • einfachere Prozesse
  • kürzere Laufzeiten
  • geringere Kosten
  • Skalierbarkeit

Das zeigt eine aktuelle Studie, für die IntegrityNext, Spezialist für Ecological, Social Governance-Risikomanagement (ESG), 242 Mitglieder des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) zur Bedeutung von Nachhaltigkeit in der Lieferkette befragt hat.

Das LkSG soll helfen, nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Verhalten entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu gewährleisten. Es regelt die Sorgfaltspflichten der Unternehmen bezüglich ihrer Lieferkette. Dem Gesetz unterliegen Unternehmen mit Sitz in Deutschland und mehr als 3.000 im Inland Beschäftigten, ab 2024 ab 1.000 Mitarbeiter.

Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit

Die schriftliche Online-Umfrage wurde im Zeitraum von September bis Anfang November 2022 durchgeführt und richtete sich in erster Linie an die Mitgliedsunternehmen des BME e.V. Befragt wurden unter anderem Leitende Angestellte. Der Schwerpunkt der Studie lag auf Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe, die häufig besonders komplexe Lieferketten aufweisen. Über ein Drittel der teilnehmenden Firmen hat weniger als 1.000 Mitarbeiter – in dieser Studie als KMU definiert – und ist somit nicht direkt vom LkSG betroffen.

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Online-Version

Die Beweggründe, Nachhaltigkeit in der Lieferkette zu etablieren, sind bei den befragten Personen unterschiedlich und verteilen sich auf drei Kategorien folgendermaßen:

  • 56 Prozent Einhaltung von Gesetzen
  • 40 Prozent Überzeugung und gesellschaftliche Verantwortung
  • 34 Prozent Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit

Das Thema CO2-Emissionen scheint an Bedeutung gewonnen zu haben. Angesichts der Rolle von Lieferketten – diese können bis zu 90% des Gesamtfußabdrucks eines Unternehmens ausmachen – bewerten die Forscher dies positiv. In Zeiten zunehmender Ressourcenknappheit und Umweltverschmutzung findet allerdings die Kreislaufwirtschaft noch zu wenig Beachtung. Die drei wichtigsten Nachhaltigkeitsthemen sind

  • 87 Prozent Umweltschutz
  • 84 Prozent Menschen- und Arbeitsrechte
  • 68 Prozent Arbeitssicherheit

Nachhaltigkeitsrisiken in der Lieferkette

Grundvoraussetzung für die Identifizierung von Nachhaltigkeitsrisiken in der Lieferkette sowie den erfolgreichen Umgang damit sehen die Meinungsforscher in einem hohen Transparenzgrad. Unkenntnis oder mangelndes Bewusstsein für solche Risiken können enorme Reputationsschäden und/oder finanzielle Belastungen für Firmen zur Folge haben. Von den befragten Unternehmen haben eigenen Angaben zufolge:

  • elf Prozent eine vollständige Transparenz von Nachhaltigkeitsrisiken über ihre unmittelbaren Lieferanten
  • 65 Prozent teilweise Einblicke in ihre unmittelbaren Lieferketten
  • nur 16 Prozent keine Transparenz

Im Rahmen der Studie wurden die teilnehmenden Unternehmen zum neuen LkSG befragt. Insgesamt geben:

  • 38 Prozent der teilnehmenden Unternehmen an, ihre Lieferanten bereits heute auf der Basis von Nachhaltigkeitsparametern zu bewerten
  • 25 Prozent der Unternehmen mit weniger als 1.000 Mitarbeitenden
  • 47 Prozent bei größeren Firmen
  • 45 Prozent der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) lassen Bereitschaft erkennen, künftig eine solche Evaluierung vorzunehmen.

Gleiches gilt in Bezug auf die Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten:

  • Große Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden veröffentlichen in etwa 57 Prozent der Fälle einen Nachhaltigkeitsbericht,
  • während der Anteil bei Firmen mit weniger als 1.000 Beschäftigten mit etwa 15 Prozent niedriger ausfällt.

Unternehmen setzen auf technologische Lösungen

Ein Risikomanagementsystem kann Grundlage einer erfolgreichen Erfassung und Einschätzung von Nachhaltigkeitsaspekten in Lieferketten darstellen. Laut Studie wollen bereits ein Risikomanagementsystem implementiert haben oder dies derzeit planen, um Nachhaltigkeitsrisiken in der Lieferkette zu identifizieren:

  • 78 Prozent der Befragten
  • 33 Prozent der Befragten setzen beim Risikomanagement auf Technologie
  • 42 Prozent planen deren Einsatz, um Nachhaltigkeitsrisiken in ihrer Lieferkette zu identifizieren und zu analysieren.

Als Gründe für die Nutzung nennen die Unternehmen:

  • Vereinfachung von Prozessen (64 Prozent)
  • Zeitersparnis (63 Prozent)
  • Skalierbarkeit (38 Prozent)
  • Kostenersparnis (15 Prozent).

Herausforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes

Fast zwei Drittel der Umfrageteilnehmenden sind direkt vom LkSG betroffen. Für den Rest ergeben sich keine gesetzlichen Pflichten. Dennoch möchten 87 Prozent dieser Firmen die Anforderungen des LkSG trotzdem ganz (30 Prozent) oder zumindest teilweise (57 Prozent) umsetzen.

Die Gründe für KMU, ihre Lieferketten zu überwachen und zu kontrollieren, sind vielfältig:

  • wertegeleitete Gründe wie
    • soziale Verantwortung (61 Prozent)
    • Überzeugung (46 Prozent) spielen eine wichtige Rolle.
  • zunehmender Druck durch Kunden (51 Prozent)
  • Investoren und andere Stakeholder (15 Prozent).

Nicht zuletzt sieht die Hälfte der Befragten die Auseinandersetzung mit dem LkSG bereits als sinnvolle Vorbereitung für die geplante EU-Lieferkettenrichtlinie (54 Prozent), die für deutlich mehr Unternehmen gelten soll als das LkSG.

Compliance und juristische Fragen

Im Hinblick auf Compliance und juristische Fragen fühlt sich eine ziemlich große Zahl der befragten Unternehmen gut oder sehr gut aufgestellt (37 Prozent). Große Defizite bestehen nach wie vor hinsichtlich der technischen Umsetzung. 55 Prozent der Umfrageteilnehmenden schätzen ihre Ausgangslage hier als schlecht oder sehr schlecht ein. Ähnlich schwach fällt die Bilanz bezüglich der Einbettung relevanter Prozesse in bestehende organisatorische Strukturen und Abläufe aus – hier erkennen 51 Prozent Nachholbedarf in der eigenen Organisation.

Das LkSG enthält neun Kernanforderungen. Auch in Bezug auf diese bestehen laut Selbsteinschätzung für die Studienteilnehmer noch erhebliche Lücken. Ein Risikomanagementsystem sowie regelmäßige Risikoanalysen bilden das Herzstück des LkSG. Hier fühlen sich von den Unternehmen ausreichend gut aufgestellt:

  • 38 Prozent Risikomanagement
  • 29 Prozent Risikoanalysen

Mit Blick auf Präventions- und Abhilfemaßnahmen, Sorgfaltspflichten bei mittelbaren Zulieferern und die Berichterstattung tun sich viele Firmen ebenfalls schwer. Hinsichtlich der Umsetzung einmaliger Maßnahmen schneiden die Teilnehmer sehr gut bis eher gut ab:

  • Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit: 49 Prozent
  • Verabschiedung einer Grundsatzerklärung: 44 Prozent
  • Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens: 43 Prozent

Soziale Rahmenbedingungen und Umweltaspekte

„Es ist höchste Zeit für die deutsche Wirtschaft, zu handeln und die Einhaltung von Standards bei sozialen Rahmenbedingungen und Umweltaspekten entlang der globalen Wertschöpfungsketten noch aktiver anzugehen. Konkret geht es für die Unternehmen darum, ihre internationalen Wertschöpfungsketten auf den Prüfstand zu stellen“, betont BME-Hauptgeschäftsführerin Dr. Helena Melnikov. Damit sorgten sie für mehr Transparenz und Nachhaltigkeit. Dazu müssten sie sich aber intensiver denn je auseinandersetzen mit zentralen Themen wie:

  • Lieferanten-Monitoring
  • Risikomanagement
  • Supply Chain Visibility

Das Zeitfenster, um die im LkSG definierten menschenrechtlichen Sorgfalts- und Berichtspflichten in den Betrieben umzusetzen, beginne sich zu schließen. Es gelte darüber hinaus, wichtige Nachhaltigkeitsaspekte in der Lieferkette zu berücksichtigen. So habe sich eine Vielzahl von Firmen ehrgeizige Klimaziele gesetzt, in deren Zuge nun gehandelt werden müsse. „Die Supply Chain spielt auch hier zur Zielerreichung eine Schlüsselrolle“, so Melnikov.

Positiv vermerkt die BME-Chefin ferner, dass sich zahlreiche Studienteilnehmer intensiv mit den Eckpunkten des LkSG auseinandersetzen. Sie hätten verstanden, dass man damit nicht nur bei Kunden und Geschäftspartnern punkten, sondern auch klare Wettbewerbsvorteile erzielen könne.

Gleichzeitig ständen jedoch vor allem KMU hinsichtlich der konkreten Umsetzung der LkSG-Anforderungen noch vor großen Herausforderungen. Auch für sie nähmen die regulatorischen Vorgaben weiter zu. Hierzu zählt Melnikov die Nutzung intelligenter technologischer Tool-Lösungen sowie die Sicherstellung der notwendigen Datenqualität.

Melnikov: „Ich bin mir sicher, und auch das hat die Folgestudie von IntegrityNext und BME ergeben: Die erfolgreiche Umsetzung des LkSG wird für viele Unternehmen ein echter Multiplikator zur Optimierung ihres gesamten Lieferantennetzwerks sein.“

Melnikovs Tipp: Auch Unternehmen, die nicht direkt betroffen sind, sollten sich mit dem LkSG vertraut machen. Als mittelbare oder unmittelbare Lieferanten seien sie Teil der Lieferketten und somit ebenfalls im Fokus. Im Hinblick auf die kommende EU-Richtlinie zu Sorgfaltspflichten sei eine gute Vorbereitung Pflicht. „So werden beispielsweise im aktuellen Entwurf der EUKommission deutlich niedrigere Mitarbeiterschwellen genannt“, meint Melnikov.

Nick Heine, Mitgründer und COO von IntegrityNext: „Globale Lieferketten zu überwachen ist eine Mammutaufgabe.“ Sie könne langfristig nur mittels einer technologischen Lösung gelingen kann. Diese müsse

  • einerseits sicher und effizient sein und alle Eventualitäten abdecken, die in komplexen Lieferketten auftreten können,
  • andererseits mit wenig Aufwand und nahtlos in die bestehenden Systeme und Prozesse der Unternehmen einfügen lassen.

„Nur so können Unternehmen jeder Größe dem LkSG gerecht werden, ohne die eigene Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsposition aufs Spiel zu setzen“, so Heine.

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)