05.05.2022

Plastiksteuer: Großbritannien geht voran

Eine Steuer, bei der es nicht aufs Geld ankommt – das versprechen die Initiatoren von der neuen Plastiksteuer. Sie führt als erstes Land jetzt Großbritannien ein. Ihr Zweck: Investitionen in die Kreislaufwirtschaft anregen. Ihr voraussichtliches Ergebnis: Veränderung der Lieferketten.

Plastiksteuer

Steuer auf Kunststoffverpackungen

Das Vereinigte Königreich führte im April 2022 als erstes Land eine Steuer auf Plastik-Verpackung ein, die „UK Plastic Packaging Tax” (UK PPT). Das teilt die britische Regierung mit. Betroffen sind von ihr britische:

  • Hersteller von Kunststoffverpackungen
  • Importeure von Kunststoffverpackungen
  • Geschäftskunden von Herstellern
  • Importeure von Kunststoffverpackungen
  • Verbraucher, die Kunststoffverpackungen oder Waren in Kunststoffverpackungen in Großbritannien kaufen.‎

Um den im Vergleich zur Steuerschuld für die wahrscheinlich Betroffenen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand zu mindern, werde es für Hersteller und Importeure eine Befreiung von weniger als zehn Tonnen Kunststoffverpackungen pro Jahr geben.‎

Kunststoffverpackungen in Großbritannien

Wie die Regierung ihrer Majestät weiter mitteilt, gelte dieses neue Steuer für Kunststoffverpackungen, die:

  • in Großbritannien hergestellt oder
  • nach Großbritannien importiert werden und
  • nicht mindestens 30 Prozent recycelten Kunststoff enthalten.

Kunststoffverpackungen sind demzufolge Verpackungen, die überwiegend aus Kunststoff bestehen.‎ ‎Importierte Kunststoffverpackungen unterliegen der Steuer, unabhängig davon, ob die Verpackung ungefüllt oder abgefüllt ist.‎

‎Ziel der Steuer sei die Schaffung eines wirtschaftlichen Anreizes für Unternehmen, recycelten Kunststoff bei der Herstellung von Kunststoffverpackungen zu verwenden. Die britische Regierung erhofft sich davon eine größere Nachfrage nach diesem Material. Dies wiederum soll zu einem erhöhten Recycling- und Sammelaufwand für Kunststoffabfälle führen und ihn von Deponierung oder Verbrennung ablenken.‎

Langjährige Beratung zur Plastiksteuer

Im Haushalt 2017 hatte die Regierung einen Aufruf zur Einreichung von Belegen für die Verwendung des Steuersystems oder der Gebühren zur Bekämpfung von Einwegkunststoffabfällen gestartet. 162.000 Antworten wurden daraufhin eingereicht. ‎Im Haushalt 2018 wurde die neue Steuer auf Kunststoffverpackungen mit weniger als 30 Prozent recyceltem Kunststoff angekündigt. Im Februar 2019 leitete die Regierung eine Vorschlagsrunde ein für erste Vorschläge zur Gestaltung der Steuer. Die Ergebnisse veröffentlichte die Regierung im Juli 2019. ‎Im Haushalt 2020 kündigte sie ihre Entscheidungen zu der Steuer an. 2020 veröffentlichte die Regierung den Entwurf für ein Gesetz für die technische Beratung. Änderung fanden in den Gesetzesentwurf Eingang, der 2021 in das Finanzgesetz aufgenommen wurde und am 10. Juni 2021 die königliche Zustimmung erhielt. ‎Die am 3. März 2021 veröffentlichten Steuerinformationen und Folgenabschätzungen zur Steuer ersetzte die im April 2022 erfolgte Mitteilung.

Angeblich kein Interesse an Steuereinnahmen

London erhofft sich von 2022 bis 2026 jährliche Mehreinnahmen für die Staatskasse von im Schnitt 220 Millionen Pfund (rund 260 Millionen Euro). Man erwarte aber nicht, dass diese Maßnahme bedeutsame volkswirtschaftliche Auswirkungen haben wird. Sie soll Unternehmen einen wirtschaftlichen Anreiz bieten, recyceltes Kunststoffmaterial in Kunststoffverpackungen zu verwenden. Das soll zu einer größeren Nachfrage nach diesem Material führen und wiederum ein erhöhtes Recycling- und Sammelvolumen von Kunststoffabfällen anregen.

Stephen Jamieson, Chef des Bereiches Circular Economy Solutions bei Softwarehersteller SAP, sieht in der Plastiksteuer den Anfang einer Bewegung nach dem Verursacherprinzip und der erweiterten Herstellerverantwortung. „Die Regierung schafft einen Anreiz für den Einsatz nachhaltiger Materialien und gleichzeitig erhöht sie den Marktwert von recycelbarem Kunststoff“, so Jamieson. Dadurch fördere sie eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft mit weltweiten Auswirkungen.

Marktforscher hätten weniger Greenwashing unter B2C-Marketingexperten und mutigere Entscheidungen unter ESG-Aspekten (Environmental, Social and Governance, Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) prognostiziert. Seit 2021 sei die Zahl der CEOs, die ökologische Nachhaltigkeit als eine der wichtigsten Unternehmensprioritäten aufführen, um 303 Prozent gestiegen. 60 Prozent der „Forbes-Global-2000“-Unternehmen wollten bis 2023 ökologische Nachhaltigkeit als Vorgabe in ihre Geschäftskennzahlen einbinden.

Andere Länder wollen dem britischen Beispiel folgen

Die Erhebung von Steuern als rein finanzielles Instrument zur Durchsetzung bestimmter Interessen ist auch sonst nicht unbekannt. In Europa werden laut SAP-Autorin Susan Galer ähnliche Rechtsvorschriften erwartet. Länder wie Italien und Spanien hätten ebenfalls eine Steuer auf Kunststoffverpackungen beschlossen. Die UK PPT unterscheide sich von diesen darin, dass sie nicht auf ein bestimmtes Material zu einem gewissen Zeitpunkt abziele. Die Unternehmen müssten dokumentieren:

  • Woher stammt das Material?
  • Wo landet es, lange nachdem es die Produktion verlassen hat?
  • Wo und wie wurden sie hergestellt und vertrieben?
  • Was passiert mit diesem Produkt, wenn es in der gesamten Lieferkette verkauft wird und nachdem der Endkunde es verwendet hat?

Für Jamieson sind dies die kritischen Fragen, die Mitarbeiter beantworten müssten, wenn sie Steuerrisiken in Betracht ziehen. Jamieson: „Das erfordert Einblicke in die gesamte Lieferkette.“

Kreislaufwirtschaft verändert Geschäftsverhalten

Galer geht davon aus, dass die Steuerspezialisten, diese Vorschriften einmal in Kraft, mit Führungskräften aller Unternehmensbereiche zusammenarbeiten, zum Beispiel:

  • Produktdesign,
  • Beschaffung,
  • Betrieb,
  • Supply Chain Management
  • Nachhaltigkeit.

Um die Verantwortung des Unternehmens zu verstehen und das Risiko zu verringern, kämen sie nicht umhin zu kooperieren. „Wir beobachten bereits Verhaltensänderungen hin zu einer verstärkten unternehmensweiten Zusammenarbeit“, zitiert die SAP-Autorin Jamieson. Zunächst würden Unternehmen ihre Berechnungen transparent machen, um die Vorschriften im Rahmen der neuen Plastiksteuer einzuhalten. Wie Unternehmen sich aufstellen, um diese steuerliche Mehrbelastung möglichst gering zu halten, werde künftig ein wichtiges Erfolgskriterium sein.

Nachhaltigkeit Teil des Designprozesses

Führungskräfte sähen in der Plastiksteuer auf vorhandene Produkte eine wichtige Aufgabe. Deshalb verfolgten sie unmittelbar und langfristig eine Neuausrichtung von:

  • Design
  • Produktion
  • Lieferpläne.

Um beispielsweise die Steuerpflicht für ein einzelnes Produkt zu berechnen, stelle dies Teams vor weitreichende Herausforderungen:

  • Unternehmensweites Wissen um jede Kunststoffkomponente der Verpackung
  • Auswirkungen recycelten Materials auf die Steuer
  • Berücksichtigung interner und externer Lieferketten
  • Vorausschauende Berücksichtigung weiterer Vorschriften.

„Wir haben die Lösung SAP Responsible Design and Production entwickelt, um Unternehmen dabei zu unterstützen, die Informationen in ihren ERP-Systemen zu verknüpfen, um gesetzliche Anforderungen und freiwillige Standards rund um das Thema Nachhaltigkeit zu erfüllen“, erläuterte Jamieson. Sie könnten ihre Leistung überwachen und die Entwicklung von Verpackungs- und Produktionsstrategien vorausschauend planen – „von der Fabrik über die Verbraucher bis hin zur Gesellschaft im allgemeinen, um den sich wandelnden länderspezifischen Vorgaben gerecht zu werden“, so der SAP-Experte.

Nicht nur Lebensmittel und Getränkeflaschen betroffen

Viele Unternehmen, mit denen Jamieson Gespräche führe, seien nicht unbedingt im Vereinigten Königreich ansässig, aber sie verkaufen Waren in diese Länder. Die Steuer betreffe den Lebensmittel- und Getränkesektor genauso wie das produzierende Gewerbe – von Automobil und Hightech bis hin zu Mode und anderen Konsumgütern.

SAP Mitglied der Ellen MacArthur Foundation

Um Kunden, nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) und Partnern zu helfen, regenerative Geschäftsmodelle aufzubauen und ihre kreislaufwirtschaftlichen Ziele zu erreichen, ist SAP Mitglied im Netzwerk der Ellen MacArthur Foundation geworden. Im Fokus der Partnerschaft stehen die Themen:

  • Förderung eines Designs mit Blick auf die Wiederverwendung
  • Umsetzung der erweiterten Herstellerverantwortung
  • Realisierung regenerativer Geschäftsmodelle durch digitale Lösungen

Da nur neun Prozent der 400 Millionen Tonnen Kunststoff, die jedes Jahr produziert werden, recycelt würden, wird den Kooperationspartnern zufolge bei Plastik der dringende Handlungsbedarf weltweit auf höchster politischer Ebene anerkannt. Erst kürzlich hätten sich die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auf das Vorhaben eines verbindlichen multilateralen Abkommens zur Plastikvermeidung geeinigt. Es soll ausdrücklich den gesamten Lebenszyklus der Plastikverschmutzung abdecken – von der Produktion bis zu Kunststoffabfällen. Die Partnerschaft von SAP und Ellen MacArthur steht für die gemeinsame Verpflichtung, den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen. Dabei stehen im Mittelpunkt:

  • Abfall und Umweltverschmutzung vermeiden
  • Produkte und Materialien im Gebrauch halten
  • durch innovative Geschäftsmodelle und Veränderungen auf Systemebene natürliche Systeme regenerieren

Wandel zur Kreislaufwirtschaft

Die Vereinten Nationen haben ein Dekret für ein globales Plastikmüll-Abkommen erlassen. Sie rufen Verantwortliche aus dem öffentlichen und privaten Sektor zum Umdenken auf bei:

  • Design
  • Produktion
  • Gebrauch von Plastikprodukten.

Nachhaltige Verhaltensänderung sei ein wesentlicher Bestandteil dieses Mandats. Jamieson sah Möglichkeiten für führende Unternehmen, den sich wandelnden Anforderungen der Verbraucher an Nachhaltigkeit gerecht zu werden und so die Kreislaufwirtschaft zu stärken. „Vielleicht müssen Unternehmen irgendwann die Plastiksteuerpflicht eines Produkts auf der Rechnung des Kunden angeben“, sagt Jamieson. Solch ein Maß an Kostentransparenz würde das Verbraucherbewusstsein für nachhaltige Produkte erhöhen und so die Geschäftspraktiken im Laufe der Zeit fördern. 40 Prozent der Unternehmen würden verantwortungsvolle und nachhaltige Beschaffungsrichtlinien festlegen und Lösungen für Revision und Rechenschaftspflicht einführen. Das hätten Umfragen gezeigt. Diese erforderten einen Nachweis der Beachtung, um bis zum nächsten Jahr Vertrauen zwischen Verbrauchern und Stakeholdern aufzubauen. Angesichts der weltweiten Bewegung, eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren, könne dies nicht schnell genug gehen, so Galer.

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)