28.03.2017

Nach „Zufallsfund“ durch Videoüberwachung: Rauswurf

Klassischer Fall von „dumm gelaufen“: Ein Supermarktbetreiber installiert eine Videoanlage, um Zigarettendiebstähle aufzuklären. Stattdessen zeigen die Aufnahmen eine Kassiererin, wie sie einen Pfandbon im Wert von 3,25 € unterschlägt. Ein solcher „Zufallsfund“ rechtfertigt eine fristlose Kündigung, meint das BAG.

Nadel im Heuhaufen

Worum geht es?

Arbeitsrecht. Eine Arbeitnehmerin war über 15 Jahre lang in einem Supermarkt beschäftigt und wurde überwiegend an der Kasse eingesetzt. Zuletzt fungierte sie als stellvertretende Filialleiterin. Im Oktober 2013 stellte der Arbeitgeber in den Warengruppen „Tabak/Zigaretten“ und „Nonfood“ einen satten Inventurverlust im Vergleich zur Inventur aus dem Vorjahr fest. Der Supermarktbetreiber ging davon aus, dass es in der Belegschaft einen Zigarettendieb gibt. Um diesen zu überführen, installierte er mit Zustimmung des Betriebsrats eine Videoanlage im Kassenbereich, um eine verdeckte Überwachung durchzuführen. Doch statt den vermeintlichen Zigarettendieb auf frischer Tat zu ertappen, wurde die stellvertretende Filialleiterin dabei gefilmt, wie sie eine an der Kasse befindliche „Musterpfandflasche“ mehrmals über den Scanner zog und sich das Leergutpfand in Höhe von 3,25 € in die eigene Tasche steckte. Der Arbeitgeber kündigte ihr daraufhin fristlos wegen Unterschlagung, weil sie einen regulären Kassiervorgang manipuliert und sich auf diese Weise persönlich bereichert habe. Die Beschäftigte reagierte mit einer Kündigungsschutzklage gegen ihren Rauswurf.

Das sagt das Gericht

Die Klage blieb erfolglos. Das BAG begründete sein Urteil wie folgt: Zwar habe es sich hier nur um einen relativ geringen Schaden in Höhe von 3,25 € gehandelt und die Beschäftigte könne eine 15-jährige beanstandungslose Betriebszugehörigkeit aufweisen. Sie habe jedoch gezielt Kassenvorgänge manipuliert. Der daraus resultierende Vertrauensbruch wiege bei einer stellvertretenden Filialleiterin und Kassiererin besonders schwer. Die verdeckten Videoaufnahmen seien zwar allein aufgrund eines vermuteten Zigarettendiebstahls durchgeführt worden. Zeigten die Videosequenzen jedoch „Zufallsfunde“ anderer Straftaten, dürften auch diese grundsätzlich verwertet werden. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Kassiererin durch die Videoüberwachung sei hier wegen überwiegender Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt gewesen. BAG, Urteil vom 22.09.2016, Az.: 2 AZR 848/15

Das bedeutet für Sie als Betriebsrat

Die Verwertung eines „Zufallsfundes“ aus einer gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) gerechtfertigten verdeckten Videoüberwachung kann nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig sein. Das bedeutet im Klartext: Wird in einem Betrieb wegen des Verdachts einer bestimmten Straftat eine verdeckte Videoüberwachung durchgeführt, so können auch andere auf diese Weise entdeckte Straftaten geahndet und die Aufnahmen als Beweismittel verwertet werden.

Hinweis: Höhe des Schadens unerheblich

Die Bundesrichter stellten in ihren Urteilsgründen klar, dass auch eine Straftat, die nur einen relativ geringen finanziellen Schaden beim Arbeitgeber verursacht, den Job kosten kann. Danach kommen Eigentums- oder Vermögensdelikte zum Schaden des Arbeitgebers typischerweise als Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB in Betracht. Das gilt unabhängig von der Höhe des Schadens. Entscheidend ist vielmehr der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch.

Verdeckte Videoaufnahmen können als Beweismittel zulässig sein

Die verdeckte Videoüberwachung bedeutet in der Regel einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten. Dementsprechend streng sind die Anforderungen der Rechtsprechung an die gerichtliche Verwertbarkeit der heimlichen Videoaufnahmen. Als Beweismittel zulässig sind diese nur, wenn

  • seitens des Arbeitgebers der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schwerwiegenden Pflichtverletzung zulasten des Betriebes besteht,
  • weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind,
  • die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und
  • sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist.

Keine Videoüberwachung ohne Einverständnis des Betriebsrats

Der Betriebsrat bestimmt bei der Einführung und Anwendung einer Videoanlage im Betrieb mit, soweit keine gesetzliche oder tarifliche Regelung besteht. Zum einen ist eine Videoüberwachungsanlage eine technische Einrichtung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, die dazu bestimmt ist, das Verhalten und die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Und zum anderen berührt die Beobachtung von Betriebsräumen durch Videotechnik Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Beschäftigten nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.

Autor*in: Redaktion Mitbestimmung