02.11.2020

Pflicht zur Zeiterfassung mit Fingerabdruck?

Kann der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer gegen dessen Willen verpflichten, bei der Erfassung der Arbeitszeit seinen Fingerabdruck scannen zu lassen? Ein Arbeitnehmer wollte dabei nicht mitspielen. Deshalb kassierte er zwei Abmahnungen. Um sie geht es in einem Rechtsstreit durch zwei Instanzen.

Zeiterfassung Fingerabdruck

Bisherige Zeiterfassung

Der Kläger ist in einer radiologischen Praxis als Medizinisch-Technischer Radiologie-Assistent (MTRA) beschäftigt. In der Vergangenheit erfasste die Arbeitgeberin die Arbeitszeiten in der Praxis in folgender Weise:

  • Die Arbeitgeberin druckte für die Mitarbeiter Dienstpläne aus.
  • Dort trugen die Mitarbeiter ihre geleisteten Arbeitszeiten von Hand ein.
  • Gelegentlich meldeten die Arbeitnehmer abweichende Dienstzeiten mündlich nach.

Neu: das Zeiterfassungs-System ZEUS

Zum 1. August 2018 führte die Arbeitgeberin das EDV-System „ZEUS“ ein. Es dient der Zeiterfassung und der Personal-Einsatzplanung. Zum Zeiterfassungs-System gehört ein Terminal mit der Bezeichnung „IT 8200 FP“. Die Arbeitgeberin wies die Beschäftigten an, ihre Arbeitszeiten ab dem 1. August 2018 ausschließlich über dieses System erfassen.

Fingerabdruck als Zahlencode

Bevor er Daten eingibt, muss sich der Mitarbeiter durch seinen Fingerabdruck identifizieren. Ein Bild des vollständigen Fingerabdrucks speichert das System dabei nicht. Vielmehr speichert es die sogenannten „Minutien“. Das sind die Verzweigungen der Hautrillen auf einer Fingerkuppe.

Gemäß der Produktbeschreibung wandelt das System diese Minutien in einen Zahlencode um. Angeblich – so die Arbeitgeberin – lassen sich aus diesem Zahlencode weder die Minutien noch der vollständige Fingerabdruck reproduzieren.

Kläger bekommt erste Abmahnung

Der Kläger benutzte das Zeiterfassungs-System weder im August 2018 noch im September 2018. Seine Arbeitszeiten erfasste er weiter handschriftlich. Darauf mahnte ihn die Arbeitgeberin am 5. Oktober 2018 zum ersten Mal ab. In der Abmahnung führte sie aus, der Kläger sei verpflichtet, das Zeiterfassungs-System zu benutzen. Tue er dies nicht, verletze er seine Pflichten.

Die zweite Abmahnung

Der Kläger benutzte das Zeiterfassungs-System weiterhin nicht, sondern erfasste seine Arbeitszeiten  handschriftlich. Daraufhin mahnte ihn die Arbeitgeberin am 26. März 2019 zum zweiten Mal ab.

In der Abmahnung forderte sie ihn auf, dass Zeiterfassungs-System künftig ordnungsgemäß zu nutzen. Es handle sich um eine letztmalige Abmahnung. Bei weiteren Verstößen  sei eine sofortige Kündigung möglich.

Mitarbeiter klagt gegen beide Abmahnungen

Der Kläger hält beide Abmahnung für unwirksam. Er sei nicht verpflichtet, die Arbeitszeiten per Fingerabdruck zu erfassen. Hierfür gebe es keine Rechtsgrundlage.

Die Argumente der Arbeitgeberin für Zeiterfassung per Fingerabdruck

Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, sie könne sich auf eine gesetzliche „datenschutzrechtliche Erlaubnis“ berufen. Die Erfüllung des Arbeitsvertrags hänge ganz wesentlich davon ab, ob ein Mitarbeiter die vereinbarten Arbeitszeiten einhalte.

Die Arztpraxis gehöre zu einem größeren Konzern. Die Erfahrung der Muttergesellschaft an mehreren Standorten hätte gezeigt, dass das System ZEUS die erforderlichen Daten (Arbeitsbeginn und Arbeitsende) manipulationssicher erfasse. Alle anderen Erfassungsmethoden wie handschriftliche Vermerke, Eingabe von Kenn-Nummern oder elektronische Chipkarten seien mit geringem Aufwand manipulierbar.

Kläger hat Erfolg in der ersten Instanz

Beim Arbeitsgericht Berlin als erster Instanz hatte der Kläger mit seiner Argumentation Erfolg. Die Argumente der Arbeitgeberin überzeugten dagegen nicht. Das Gericht verurteilte die Arbeitgeberin dazu, die Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen. Der Kläger habe keine Pflichtverletzung begangen. Er sei nicht verpflichtet, das Zeiterfassungs-System unter Verwendung seines Fingerabdrucks zu benutzen.

Wesentlich Überlegungen des Arbeitsgerichts

Dabei stützte sich das Arbeitsgericht im Wesentlichen auf folgende Überlegungen:

  • Der Datensatz mit den Minutien besteht aus biometrischen Daten im Sinn von Art. 9 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Es handelt sich dabei um eine besondere Kategorie personenbezogener Daten im Sinn von § 26 Abs. 3 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Diese Vorschrift füllt Art. 9 Abs. 1 DSGVO näher aus.
  • Art. 9 Abs. 1 DSGVO verbietet grundsätzlich, biometrische Daten zu verarbeiten. Einer der Ausnahmetatbestände von Art. 9 Abs. 2 DSGVO in Verbindung mit § 26 Abs. 3 BDSG liegt nicht vor. Eine Einwilligung hat der Kläger nicht erteilt. Die Verarbeitung der biometrischen Daten ist auch nicht für die Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich.

Erfolg auch in der zweiten Instanz

Gegen diese Entscheidung des Arbeitsgerichts legte die Arbeitgeberin Berufung zum Landesarbeitsgericht Berlin ein. Das Landesarbeitsgericht Berlin bestätigte das Urteil der ersten Instanz. Es ist ebenfalls der Auffassung, dass die beiden Abmahnungen zu Unrecht erfolgt sind.

In der Begründung seiner Entscheidung zerpflückt es die Argumente der Arbeitgeberin regelrecht:

„Minutien“ als biometrische Daten

Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin sind „Minutien“ von Fingerabdrücken sehr wohl biometrische Daten im Sinn von Art. 4 Nr. 14 DSGVO. Es handelt sich bei ihnen um physische (körperliche) Merkmale einer natürlichen Person, die es ermöglichen, diese Person eindeutig zu identifizieren. Auch sind sie mit Hilfe von speziellen technischen Verfahren gewonnen.

Grundsatz: Verbot, biometrische Daten zu verarbeiten

Die DSGVO verbietet grundsätzlich, biometrische Daten zu verarbeiten, um eine natürliche Person eindeutig zu identifizieren (Art. 9 Abs. 1 DSGVO).

Ausnahme: Ausübung von Rechten aus dem Arbeitsvertrag

Dieser Grundsatz lässt nur die Ausnahmen zu, die Art. 9 Abs. 2 DSGVO abschließend aufzählt.

Im vorliegenden Fall kommt ausschließlich die Ausnahme gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchstabe b DSGVO in Betracht. Sie läge vor, wenn die Verarbeitung der Daten erforderlich wäre, damit die Arbeitgeberin ihre Rechte aus dem Arbeitsvertrag ausüben kann.

Recht und Pflicht, die Arbeitszeit zu erfassen

Das EU-Recht schreibt vor, dass Arbeitgeber ein System einrichten, das die täglich geleistete Arbeitszeit jedes Arbeitnehmers misst. Das schützt die Arbeitnehmer.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um diesen Anforderungen zu entsprechen. Dazu gehören Aufzeichnungen in Papierform und Aufzeichnungen durch Computerprogramme. Beides gilt als „System“.

Verarbeitung von Fingerabdruck-Daten nicht erforderlich

  • Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Arbeitgeber biometrische Daten verarbeiten müssen, um die Arbeitszeit objektiv und zuverlässig aufzuzeichnen. Biometrische Daten zu verarbeiten, ist für diesen Zweck nicht erforderlich.
  • Das ergibt sich schon daraus, dass es für das Zeiterfassungs-System ZEUS neben dem Terminal IT 8200 FP auch noch ein Terminal IT 8200 gibt. Dies hat die Arbeitgeberin in ihrer Berufungs-Begründung selbst beiläufig erwähnt. Während das Terminal IT 8200 FP an die Nutzung biometrischer Daten anknüpft, ist dies beim Terminal IT 8200 nicht der Fall.
  • Beim Terminal IT 8200 handelt es sich um ein Ausweisleser-System, das mit Chipkarten, Transponder und anderen lesbaren Ausweisen zu betreiben ist. Damit ist es nicht erforderlich, die Variante IT 8200 FP des Zeiterfassungs-Systems einzusetzen, das biometrische Daten benötigt.

Gegenargumente der Arbeitgeberin

Ausführlich befasst sich das Gericht mit den Argumenten, die die Arbeitgeberin gegen diese Sicht der Dinge vorbringt.

Einheitliche Zeiterfassung im Konzern

Die Arbeitgeberin hatte argumentiert, die Konzernmutter wünsche, die Anwesenheitszeiten einheitlich zu erfassen. Der Personaleinsatz werde nämlich durch die Personalabteilung der Konzernmutter zentral für den Gesamtkonzern gesteuert.

Diesen Wunsch akzeptiert das Gericht. Es weist jedoch darauf hin, dass eine solche einheitliche Vorgehensweise im Konzern auch mit dem Terminal IT 8200 möglich ist. Dieses Terminal kommt ohne biometrische Daten aus.

Kosten sparen

Die Arbeitgeberin hatte behauptet, dass die Zeiterfassung mittels Fingerabdruck-Scanner auf Dauer preiswerter sei, als ein Chipkartensystem zu pflegen.

Dazu das Gericht: Dies hat die Arbeitgeberin lediglich pauschal behauptet. Berechnungen dazu hat sie nicht vorgetragen. Damit kann das Gericht dieses Argument von vornherein nicht berücksichtigen. Ob es letztlich Bedeutung gehabt hätte, bleibt deshalb offen.

Rolle der „Erfassung von Hand“

Als Einwand gegen eine Zeiterfassung mit Chipkarten hatte die Arbeitgeberin argumentiert, dass die Mitarbeiter ihre Chipkarten vergessen oder verlieren könnten. Das sei bei einem Fingerabdruck-Scanner nicht möglich.

Bei diesem Argument hatte die Arbeitgeberin wohl etwas den Überblick verloren. Der Kläger konnte nämlich eine Mail der Arbeitgeberin an alle Mitarbeiter vorlegen. Dort hatte sie zum Fingerabdruck-Scanner geschrieben: „Sollte die Zeiterfassung mal nicht funktionieren, schreibt Euch bitte die Arbeitszeiten auf. Diese werden dann nachträglich im System eingepflegt. Doreen wird sich um diese Aufgabe kümmern.“

Das kam beim Gericht gar nicht gut an. Es will nämlich nicht einsehen, warum „bei einem technischen Versagen des Systems die händische Aufzeichnung ausreichen soll, bei einem menschlichen Versagen [= Vergessen der Chipkarte] aber nicht.“

Gesundheitsdaten schützen

Die Arbeitgeberin hatte ausgeführt, dass sie in ihren Praxisräumen sensible Gesundheitsdaten aufbewahren würde. Deshalb müsse sie fälschungssicher feststellen können, welche Mitarbeiter sich zu welcher Zeit in den Praxisräumen aufgehalten hätten.

Zu diesem Argument schüttelt das Gericht nur den Kopf. Es sei davon auszugehen, dass Patientendaten nicht offen in den Praxisräumen aufbewahrt würden, sondern dass die Arbeitgeberin sie gegen unberechtigte Zugriffe auch innerhalb der Praxisräume absichere. Abgesehen davon wäre allenfalls ein Zugangskontroll-System geeignet, um das Betreten der Praxisräume zu dokumentieren, nicht dagegen ein Zeiterfassungs-System wie ZEUS.

Arbeitszeitbetrug verhindern

Schließlich befasst sich das Gericht noch mit dem Argument der Arbeitgeberin, sie wolle jegliche Manipulation bei der Zeiterfassung ausschließen. Das ist nach Auffassung der Arbeitgeberin nur mit einem Fingerabdruck-System zu erreichen.

Bei Systemen, die mit Chipkarten oder Transponder arbeiten, könnten Beschäftigte ihre Anwesenheit vortäuschen, ohne tatsächlich anwesend zu sein. Dazu müsste lediglich jemand anders die Chipkarte oder den Transponder des Beschäftigten an das Zeiterfassungs-Terminal halten.

Das Gericht bezweifelt nicht, dass so etwas denkbar wäre. Allerdings weist es darauf hin, dass ein solches Verhalten einen Arbeitszeitbetrug darstellen würde. Der Arbeitgeber könnte es als Straftat anzeigen.

Schranken des Datenschutzrechts

Außerdem greift das Gericht noch zu einem datenschutzrechtlichen Argument. § 26 Abs.1 Satz 2 BDSG sieht enge Grenzen vor, wenn Arbeitgeber Daten von Beschäftigten verarbeiten möchten, um Straftaten aufzudecken. Das ist nur dann zulässig, wenn „zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte“ den Verdacht begründen, dass ein Mitarbeiter solche Straftaten begangen hat.

Diese rechtliche Schranke gilt für alle Arten von Arbeitnehmerdaten. Im vorliegenden Fall sollen jedoch besonders geschützte biometrische Daten von Beschäftigten verarbeitet werden. Das soll ständig geschehen und ohne dass irgendein Anhaltspunkt für einen Arbeitszeitbetrug vorliegt.

Würde man dieses Vorgehen akzeptieren, wären biometrische Daten weniger geschützt als sonstige Daten von Arbeitnehmern. Daher kann der allgemeine Wunsch, einen theoretisch möglichen Arbeitszeitbezug zu verhindern, die Verarbeitung von Fingerabdrücken nicht rechtfertigen.

Gericht hat große Geduld mit der Arbeitgeberin

An der Entscheidung wundert vor allem, wie geduldig das Gericht mit den Ausführungen zu den „Minutien“ umgegangen ist. Daten von Fingerabdrücken werden in der Praxis nahezu ausschließlich in der Form verarbeitet, dass bestimmte Merkmale eines Fingerabdrucks nach einem einheitlichen Schema als Zahlenformel dargestellt werden.

Es ist geradezu dreist, diese Zahlenformel nicht als biometrisches Datum ansehen zu wollen. Denn selbstverständlich lässt sich durch den Vergleich der Zahlenformeln zweier Fingerabdrücke exakt feststellen, ob diese Fingerabdrücke von derselben Person stammen. Das ist gerade der Zweck dieses Vorgehens. Anders ergäbe die Zeiterfassung mit Fingerabdrücken auch keinen Sinn.

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 10.6.2020 trägt das Aktenzeichen 10 Sa 2130/19. Es ist abrufbar unter http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/279b/bs/10/page/sammlung.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=JURE200011045&doc.part=L&doc.price=0.0#focuspoint.

Autor*in: Dr. Eugen Ehmann (Dr. Ehmann ist Regierungsvizepräsident von Mittelfranken und ist seit Jahren im Datenschutz aktiv.)