30.04.2018

Antworten im Examen als personenbezogene Daten

Ein Examensteilnehmer schreibt eine Klausur und fällt durch. Er verlangt Einsicht in seine Bearbeitung und in die Bemerkungen der Prüfer. Das Prüfungsamt verweigert ihm dies: Weder die Bearbeitung der Klausur noch die Bemerkungen seien personenbezogene Daten, die den Prüfungskandidaten betreffen! Was sagt der EuGH dazu?

personenbezogene Daten Examen

Nicht weniger als drei Gerichtsinstanzen geben dem Prüfungsamt Recht. Erst die vierte Instanz bekommt Zweifel und fragt lieber einmal beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) nach.

Der EuGH stellt einiges klar, das eigentlich auch so auf der Hand liegen müsste. Außerdem liefert er ungefragt eine Überraschung mit, die alle Schulen und Hochschulen in Deutschland noch beschäftigen wird.

Die Entscheidung ist noch auf der Basis der EG-Datenschutzrichtlinie 95/46/EG aus dem Jahr 1995 ergangen. Diese wird am 25. Mai 2018 durch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) abgelöst.

Die Entscheidung bleibt dann weiterhin relevant. Die DSGVO regelt die maßgeblichen Punkte nämlich genauso wie die EG-Datenschutzrichtlinie.

Die Vorgeschichte:

Endgültig durchgefallen

Die Prüfung für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in Irland lief für den Kandidaten in einem einzigen Fach nicht gut. Nicht weniger als viermal hintereinander fiel er dort durch. Damit hatte er allerdings die gesamte Prüfung endgültig nicht bestanden, denn eine weitere Wiederholung erlaubt die Prüfungsordnung nicht.

Eine Beschwerde gegen die Entscheidung des Prüfungsamts hatte keinen Erfolg. Die Begründung dieser Beschwerde war für den erfolglosen Kandidaten nicht ganz leicht. Das Prüfungsamt verweigerte ihm nämlich die Einsicht in seine Prüfungsarbeit und in die Anmerkungen der Prüfer.

Auskunftsanspruch oder nicht?

Das wollte sich der Kandidat nicht gefallen lassen. Gestützt auf seinen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch verlangte er, ihm seine Prüfungsarbeit einschließlich der Anmerkungen der Prüfer zur Kenntnis zu geben.

Das Prüfungsamt weigerte sich. Seine Begründung: Die Bearbeitung enthalte keine personenbezogenen Daten im Sinne des Datenschutzrechts.

Untätigkeit der Datenschutzaufsicht

Das leuchtete dem Kandidaten nicht ein. Er wandte sich an die irische Datenschutz-Aufsichtsbehörde. Dies blieb erfolglos. Die Datenschutzaufsicht schloss sich nämlich der Auffassung des Prüfungsamts an.

Daraufhin beschritt der Kandidat den Weg zu den Gerichten. Dieser Weg entwickelte sich für ihn sehr steinig. Nicht weniger als drei Instanzen sahen den Sachverhalt genauso wie das Prüfungsamt und die Datenschutzaufsicht.

Auch diese drei Gerichte meinten, es handelt sich bei der Prüfungsarbeit nicht um personenbezogene Daten.

Zweifel des Irish Supreme Court

Erst der Oberste Gerichtshof von Irland (Irish Supreme Court) bekam Zweifel. Er hielt es zumindest für denkbar, dass die Bearbeitung einer Klausur durch den Prüfling unter den Begriff der personenbezogenen Daten fallen kann.

Deshalb legte er dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vor, ob es sich bei der Bearbeitung einer Prüfungsaufgabe und bei den Bemerkungen der Prüfer hierzu um personenbezogene Daten des Prüfungskandidaten handelt.

Identifizierbarkeit des Kandidaten

Der Europäische Gerichtshof zögerte nicht, diese Frage zu bejahen. Zur Begründung geht er zunächst darauf ein, ob die Bearbeitung einer Prüfungsaufgabe unter den Begriff der personenbezogenen Daten fällt:

  • Personenbezogene Daten sind alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person. Eine Person ist dann bestimmbar, wenn sie direkt oder indirekt identifiziert werden kann.
  • Es steht fest, dass ein Prüfling in einer berufsbezogenen Prüfung eine natürliche Person ist, die sich identifizieren lässt. Dies geschieht entweder direkt über den Namen, wenn dieser auf der Prüfungsarbeit angebracht ist, oder indirekt über eine Kenn-Nummer, die auf der Prüfungsarbeit oder auf einem Deckblatt der Prüfungsarbeit anstelle des Namens steht.
  • Es ist unerheblich, ob ein Prüfer den Prüfling bei der Korrektur der Prüfungsarbeit identifizieren kann oder nicht. Darauf kommt es nicht an. Entscheidend ist, dass das Prüfungsamt über die notwendigen Informationen verfügt, mit deren Hilfe sich feststellen lässt, welche Kennnummer zu welchem Kandidaten gehört. Diese Informationen liegen beim Prüfungsamt zweifelsfrei vor.

Informationen über eine Person

Keine Zweifel hat der Europäische Gerichtshof auch daran, dass die Bearbeitung einer Prüfungsaufgabe Informationen über die Person des Prüflings enthält:

  • Der Inhalt der Antworten spiegelt den Kenntnisstand und das Kompetenzniveau des Prüflings in einem bestimmten Bereich wieder.
  • Ferner ermöglichen die Antworten Aussagen über seine Gedankengänge, sein Urteilsvermögen und sein kritisches Denken.
  • Schließlich enthalten handschriftlich verfasste Antworten zudem Informationen über die Handschrift des Kandidaten.
  • Die Antworten haben den Zweck, die Fähigkeiten des Prüflings und damit ihm selbst zu beurteilen.
  • Die Antworten führen dazu, dass der Prüfling in der Prüfung entweder Erfolg hat oder scheitert. Dies wirkt sich auf seine Rechte und Interessen aus, etwa auf seine Chance, den gewünschten Beruf ergreifen zu können.

Anmerkungen der Prüfer

Sodann befasst sich der Europäische Gerichtshof mit der Frage, ob auch die Anmerkungen der Prüfer als personenbezogene Daten des Prüfungskandidaten anzusehen sind. Dies ist aus seiner Sicht eindeutig zu bejahen:

  • Die Anmerkungen der Prüfer enthalten Informationen über den Prüfling, insbesondere über seine Leistungsfähigkeit.
  • Die Dokumentation der Leistungsfähigkeit des Prüflings ist gerade der Zweck dieser Anmerkungen.
  • Es ist zwar richtig, dass diese Anmerkungen zugleich Informationen über den Prüfer darstellen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass es sich auch um Informationen über den Prüfungskandidaten handelt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein und dieselbe Information zugleich mehrere natürliche Personen betrifft. Sie ist dann hinsichtlich jeder dieser Personen ein personenbezogenes Datum.

Recht auf Auskunft und Berichtigung?

Damit kommt das Gericht zu der Frage, ob dem Prüfungskandidaten ein Recht auf Auskunft und Berichtigung hinsichtlich seiner Bearbeitung der Prüfung und hinsichtlich der Anmerkungen der Prüfer zusteht. Auch dies bejaht das Gericht im Ergebnis eindeutig. Im Einzelnen führt es dazu Folgendes aus:

  • Es gibt keinen Grund, das Recht auf Auskunft über den Inhalt der Bearbeitung und der Anmerkungen der Prüfer auszuschließen.
  • Der Prüfling kann auch einen Anspruch auf Berichtigung haben. Dabei geht es nicht darum, dass er inhaltlich falsche Antworten im Nachhinein durch richtige Antworten ersetzen könnte. Dies ist selbstverständlich ausgeschlossen. Seine Antworten spielen seinen Leistungsstand zum Zeitpunkt der Prüfung auch dann zutreffend wieder, wenn sie inhaltlich unrichtig sind.
  • Es sind jedoch Situationen denkbar, in denen ein Anspruch auf Berichtigung geboten ist. Dies wäre etwa der Fall, wenn Prüfungsarbeiten irrtümlich vertauscht wurden, sodass einem Prüfling fälschlicherweise die Antworten eines anderen Prüflings zugeordnet wurden. Auch könnte es sein, dass ein Teil der Blätter mit den Antworten verloren gegangen ist, sodass die Antworten nicht mehr vollständig sind.

Anspruch auf Löschung

Schließlich erörtert das Gericht die Frage, ob dem Prüfling ein Anspruch auf Löschung hinsichtlich der Prüfungsarbeit zustehen kann. Gefragt wurde danach eigentlich nicht. Aber mit der Antwort wird die Praxis trotzdem leben müssen.

Zunächst sagt das Gericht ganz klar, was Löschung in diesem Fall bedeuten würde: Die Arbeit (bestehend aus den Antworten des Kandidaten und der Anmerkungen der Prüfer dazu) wäre – so das Gericht wörtlich – „zu zerstören“.

Auch diesen Anspruch bejaht das Gericht und zwar kurz und knapp. Voraussetzung ist, dass das Prüfungsverfahren endgültig abgeschlossen und eine rechtliche Anfechtung des Ergebnisses nicht mehr möglich ist.

Unter dieser Voraussetzung haben die Antworten des Kandidaten und die Anmerkungen der Prüfer hierzu nach Auffassung des Gerichts jeden Beweiswert verloren. Damit gebe es keine Rechtfertigung mehr, die Prüfungsarbeiten länger aufzubewahren. Sie sind zu löschen, die Arbeit ist also zu vernichten.

Wenig Überraschung beim Thema „Personenbezug“

Aus deutscher Sicht ist die Entscheidung eher wenig überraschend. Der durchschnittliche deutsche Datenschützer hätte unter dem Eindruck der in Deutschland üblichen Rechtsprechung wohl ohne Weiteres bejaht, dass die Antworten eines Prüfungskandidaten und die Anmerkungen der Prüfer hierzu als personenbezogene Daten des Prüfungskandidaten anzusehen sind.

Der nächste Schritt, dass insoweit ein Anspruch auf Auskunft (und unter Umständen auch Berichtigung) besteht, ist dann nur konsequent und gar nicht mehr anders möglich.

Bemerkenswert erscheint, dass die irische Datenschutzaufsicht und offensichtlich auch die meisten irischen Gerichte den Begriff des Personenbezugs bisher deutlich enger ausgelegt haben. Der Eindruck, dies könnte allenfalls die wenigen Millionen Bewohner Irlands interessieren, täuscht völlig.

Irland ist der rechtliche Sitz aller wichtigen Internet-Unternehmen, die in der EU aktiv sind, wie etwa Facebook und Google.

Im Klartext: Diese Unternehmen werden von einer Behörde beaufsichtigt, die bisher einen Personenbezug von Daten selbst dort verneint hat, wo er schlicht und einfach auf der Hand liegt. Dies kann und sollte jeden der über 500 Millionen EU-Bürger vielleicht doch beunruhigen.

Handfeste Auswirkungen des Löschungsanspruchs

Die Entscheidung wird jedoch auch in Deutschland unmittelbare Auswirkungen haben.

Für die zahllosen Prüfungsarbeiten, die jedes Jahr in deutschen Schulen, Hochschulen, Universitäten und anderen Einrichtungen geschrieben werden, gibt es ein wildes Sammelsurium von Aufbewahrungsfristen ganz unterschiedlicher Länge. Damit wird es nun ein Ende haben.

Der Europäische Gerichtshof sagt ganz klar, dass Prüfungsarbeiten dann, wenn eine Anfechtung nicht mehr möglich ist, schlicht zu zerstören sind.

Alternativen kaum umsetzbar

Dazu wäre allenfalls noch als Alternative möglich, dem Prüfungskandidaten auf dessen Wunsch hin die von ihm erstellte Bearbeitung auszuhändigen. Dies führt dann jedoch zu dem Problem, dass an der Bearbeitung normalerweise auch Anmerkungen der Prüfer angebracht sind.

Die Prüfer wiederum müssen es sich nicht gefallen lassen, dass diese Daten weiter vorhanden sind, obwohl sie für den Zweck der Prüfung nicht mehr benötigt werden.

Im Ergebnis dürfte also seine eigene Bearbeitung den Kandidaten nur ausgehändigt werden, wenn dort entweder keinerlei Anmerkungen der Prüfer enthalten sind oder wenn die Prüfer ihre Einwilligung erklären. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass sich dies in der Praxis nicht umsetzen lässt.

Der Regelfall wird daher künftig die Vernichtung von Prüfungsarbeiten nach Ablauf der jeweiligen Anfechtungsfrist bezüglich des Prüfungsergebnisses sein.

Quelle: Urteil des EuGH vom 20.12.2017 – C-434/16.

Sehr gut lesbar ist die knappe Begründung zu den Schlussanträgen, welche die Generalanwältin Juliane Kokott beim EuGH gestellt hat. Sie bringt die Probleme ausgezeichnet auf den Punkt.

Autor*in: Dr. Eugen Ehmann (Dr. Ehmann ist Regierungsvizepräsident von Mittelfranken und ist seit Jahren im Datenschutz aktiv.)