15.06.2023

EU verlängert Importverbot für Getreide aus Ukraine

Der Schwarzmeer-Hafen Odessa ist vermint. Ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse kann die Ukraine hierüber nicht exportieren. Man wich auf den Landweg durch die EU aus. Vorübergehend untersagte die EU dies zum Schutz der dortigen Erzeuger. Dieses Verbot verlängerte sie nun.

Getreide aus Ukraine

Weizen, Mais, Raps, Sonnenblumenkerne

Im Mittelpunkt des Konflikts stehen:

  • Weizen,
  • Mais,
  • Raps und
  • Sonnenblumenkerne.

Aus dem Verkauf dieser Produkte bezieht die Ukraine wichtige Devisen. Doch bis Mitte September darf nichts mehr davon in die Europäische Union importiert werden. Das habe die EU-Kommission in Brüssel entschieden, trotz deren Beteuerungen, man wolle die Ukraine im Krieg gegen Russland unterstützen und entgegen ihren anders lautenden Planungen.

Befristete Präventivmaßnahmen

Die Kommission hat Anfang Mai 2023 außerordentliche und befristete Präventivmaßnahmen, sprich: ein Verbot für die Einfuhr von Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumenkerne aus der Ukraine beschlossen. Diesen Schritt bezeichnete eine Pressemitteilung der Kommission als notwendig, da schwerwiegende logistische Engpässe aufgetreten seien in:

  • Bulgarien,
  • Ungarn,
  • Polen,
  • Rumänien und
  • Slowakei.

Ursprünglich begrenzt bis Anfang Juni

Die Maßnahmen sollten eigentlich nur bis zum 5. Juni 2023 gelten, begrenzt auf diese EU-Staaten, in allen anderen EU-Staaten könnten die ukrainischen Agrarprodukte weiterhin in den zollrechtlich freien Verkehr gebracht werden. Die Erzeugnisse könnten in Zukunft im Rahmen eines gemeinsamen zollrechtlichen Versandverfahrens in oder durch diese fünf Mitgliedstaaten befördert oder in ein Land oder Gebiet außerhalb der EU verbracht werden. Parallel dazu hätten sich Bulgarien, Polen, Slowakei und Ungarn verpflichtet, ihre unilateralen Maßnahmen in Bezug auf Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumenkerne sowie auf alle anderen Erzeugnisse aus der Ukraine aufzuheben.

Getreide für Ernährung anderer Länder

Seit Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine habe die EU daran gearbeitet, dass die Ukraine ihr Getreide für die Ernährung in anderen Ländern ausführen kann. Die nunmehr ergriffenen Maßnahmen seien Teil eines Pakets, um die Ukraine weiterhin zu unterstützen und gleichzeitig den Anliegen angrenzender EU-Mitgliedstaaten bezüglich Logistik und Handel Rechnung zu tragen. Russland und Ukraine lieferten vor dem Krieg fast ein Viertel der Getreideexporte weltweit. Die Schwarzmeer-Getreide-Initiative vom Juli 2022 durch Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei erlaubte kontrollierte Getreideausfuhren aus den Schwarzmeerhäfen Odessa, Tschornomorsk und Juschny.

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Als Reaktion auf die Blockade des Schwarzen Meers hatte die EU auch den Ausbau von alternativen Handelsrouten vorangetrieben. „Ich freue mich, sagen zu können, dass wir mit diesem Paket weiterhin einen gemeinsamen EU-Ansatz verfolgen, statt mit unilateralen Maßnahmen das normale Funktionieren unseres Binnenmarkts zu beeinträchtigen“, so Valdis Dombrovskis, Exekutiv-Vizepräsident und Kommissar für Handel. Die Maßnahmen wurden im Rahmen der besonderen Schutzbestimmungen der Verordnung über autonome Handelsmaßnahmen erlassen.

Bedenken der Landwirte

Die Maßnahmen tragen, so die EU-Kommission, den Anliegen der Landwirte in den an die Ukraine angrenzenden Mitgliedstaaten Rechnung. Sie sollen zudem das Engagement der EU bekräftigen, die Ukraine zu unterstützen. Sie wolle dafür sorgen, dass sie das Land sein Getreide angesichts der enormen Herausforderungen durch den Krieg weiterhin ausführen könne.

Diese Maßnahmen seien Teil des von der Kommission vorgelegten allgemeinen Unterstützungspakets. Sie sind begleitet durch eine finanzielle Unterstützung für Landwirte in den fünf Mitgliedstaaten und weitere Maßnahmen zur Erleichterung der Durchfuhr ukrainischer Getreideausfuhren über Korridore in andere Mitgliedstaaten und Drittländer ergänzt.

Fortsetzung der Maßnahmen während Ausnahmesituation

Die Kommission sei bereit, nach dem Auslaufen der geltenden Verordnung über autonome Handelsmaßnahmen am 5. Juni 2023 Präventivmaßnahmen wieder einzuführen, solange die Ausnahmesituation anhält. Außerdem wolle man im Rahmen des beschleunigten Schutzklauselverfahrens des Vorschlags der Kommission für die neue Verordnung über autonome Handelsmaßnahmen eine Bewertung der Lage anderer sensibler Erzeugnisse auf dem Unionsmarkt in die Wege leiten, sobald diese Verordnung in Kraft getreten sei. Vor acht Jahren, nach Entsendung von Soldaten durch Russland auf die Krim, erlaubte Brüssel die zollfreie Einfuhr vieler ukrainischer Produkte. Ausgenommen davon waren Abgaben auf landwirtschaftliche Erzeugnisse. Sie wurden nach wie vor zu Schutz europäischer Bauern fällig.

Özdemir: Abstimmung erforderlich

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hatte sich mehrfach für einen freien Handel mit der Ukraine ausgesprochen. Anlässlich der Entscheidung der EU-Kommission, die Handelsbeschränkungen für Getreideimporte aus der Ukraine bis zum 15. September aufrechtzuerhalten, sagte der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem

Özdemir: „Wir müssen dringend zu einem abgestimmten und geeinten Vorgehen von Kommission und Mitgliedstaaten zurückkehren und so für einen funktionierenden EU-Binnenmarkt sorgen.“

Dass die Kommission jetzt die EU-Schutzklauseln verlängert hat, zahle nicht auf die europäische Solidarität mit der Ukraine ein, sondern spiele dem russischen Präsidenten Putin in die Hände. Özdemir: „Seit Beginn des Krieges lässt der russische Herrscher nichts unversucht, um die internationale Staatengemeinschaft zu spalten und der Ukraine wirtschaftlich zu schaden. Herausforderungen bewältigen wir aber nur gemeinsam – und das heißt: Wir stehen als Europa an der Seite der Ukraine und bringen auf Grundlage von Regeln und Fakten Hilfen für die Mitgliedstaaten auf den Weg, deren Märkte unter den Folgen von Putins Wahnsinn leiden. Nationale Alleingänge schaden am Ende uns allen.“

Klagen östlicher EU-Staaten

Medien berichteten über seit Monaten lauten Klagen östlicher EU-Staaten über die Folgen des Angebots günstigen ukrainischen Getreides für ihre Landwirte. Einige Länder wie Polen, Ungarn und Slowakei handelten eigenständig, wodurch wichtige Exportwege für ukrainische Agrargüter eingeschränkt nutzbar wurden. In den EU-Nachbarstaaten der Ukraine Polen, Ungarn, Slowakei und Rumänien wird in dem günstigen Getreide aus der Ukraine eine unverhältnismäßige Konkurrenz für heimische Produkte gesehen. Zum Preisverfall trägt in Teilen mutmaßlich weit verbreiteter Betrug bei. Polnische Medien berichten von schnell eingerichteten Firmen, die sogenanntes „technisches Getreide“ aus der Ukraine kaufen, das zur Herstellung von Bio-Treibstoff gedacht ist. Die Ware werde dann als Lebensmittel umdeklariert und an Mühlen verkauft.

Slowakei verbietet ukrainischen Weizenverkauf

Die Slowakei hatte im April den Verkauf von ukrainischem Weizen als Lebensmittel und Tierfutter untersagt. Der Transit in andere Länder soll nicht betroffen sein. Kurz darauf hatten Polen und Ungarn Einfuhr von Getreide aus der Ukraine verboten. Begründet wurden Verbote damit, dass Pestizidrückstände gefunden worden seien. „Es wird jede Getreidelieferung aus der Ukraine, sei es auf der Straße oder auf der Schiene, kontrolliert, und nur Fahrzeuge im Transit werden ins Land gelassen“, so Marton Nobilis, Staatssekretär im ungarischen Agrarministerium.

Vier Millionen Tonnen Getreide in Polen

In Polen lagern laut Landwirtschaftsminister Robert Telus gegenwärtig vier Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine. Nach Auskunft der polnischen Getreidehandelskammer hängen die Einschränkungen mit der Infrastruktur und der Kapazität polnischer Häfen zusammen. Die Leistungsfähigkeit der Häfen liege bei maximal 750.000 Tonnen monatlich, sagte eine Sprecherin der DPA. Zwar habe das Landwirtschaftsministerium im vergangenen Sommer angekündigt, dass ein neues Terminal im Hafen von Danzig (Gdansk) bald seinen Betrieb aufnehmen werde – dies sei aber nicht geschehen. Kontrollen, die etwa verhindern sollen, dass Schädlinge in die EU eingeschleppt werden, seien in der aktuellen Menge nicht zu bewältigen. Aus EU-Kreisen hieß es, dass der Transport über den Landweg den Preis des ukrainischen Getreides steigere, wodurch sich ein Verkauf in ärmeren Ländern nicht so sehr rentiere.

Der ukrainische Landwirtschaftsminister Mykola Solskyj versuchte nach der Verkündung der polnischen Blockade den Eindruck zu vermitteln, dass die Lage unter Kontrolle sei. „Offensichtlich werden wir in den nächsten Monaten schwere Gespräche führen müssen“, sagte er laut DPA im ukrainischen Fernsehen. Kiew sei mit Warschau in ständigen Verhandlungen.

Deutsche Bauern noch wenig betroffen

Auswirkungen auf die deutsche Landwirtschaft seien derzeit überschaubar. DPA zitiert Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes: „Der starke Preisdruck konzentriert sich vor allem auf die Anliegerstaaten, unter anderem weil dort die Import- und Transitabwicklung für ukrainisches Getreide nicht funktioniert.“ Dieser Druck wirke zwar in den europäischen Markt hinein, aber in abgeschwächter Form.

Sonstige Probleme des Landtransportes

Früher kam Getreide aus der Ukraine nur selten per Bahn nach Ungarn. Aus diesem Grund wurde die Kapazität zum Transport solcher Getreidemengen, einschließlich der Mittel zum Verladen und Lagern von Ernten, nicht errichtet. Darüber hinaus führen die derzeitigen Instandhaltungsarbeiten an der ungarischen Eisenbahninfrastruktur dazu, dass die Durchsatzkapazität der Strecke begrenzt ist. Der Zuwachs der ukrainischen Getreideverkehre startete schon im November 2021, da wegen der hohen ungarischen Ankaufspreise die Händler ihre heimischen Vorräte aufgefüllt haben. Die Kriegssituation beschleunigte das Versandtempo, und das Volumen der Ernte nahm ebenfalls zu.

Die Rail Cargo Group in Ungarn arbeitet an der Umsetzung von umfassenden Bahn- und Logistiklösungen, um die erhöhte Anfrage erfüllen zu können. Unterschiedliche Spurbreiten sind nur eins der Probleme, die den Bahntransport zwischen Ukraine und Ungarn erschweren, so Beobachter. Schiffe für Beladung in Ungarn und Weitertransport auf der Donau seien demnach nicht verfügbar aufgrund der bestehenden Kapazitätsgrenzen. Vor den Häfen an der Donaumündung stauen sich mittlerweile die Schiffe zu hunderten, die sonst ukrainische Schwarzmeer-Häfen anlaufen würden (mehr dazu in dem Beitrag „Getreide aus der Ukraine in der Sackgasse“).

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)