14.06.2023

Ist der Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit rechtswidrig – dürfen Sie ihn ablehnen!

Weniger arbeiten müssen. Ein Arbeitnehmer kann das verlangen. Darauf hat er einen gesetzlichen Anspruch. Manch einer überspannt den Bogen und verlangt Teilzeit, um eine Schichteinteilung zu umgehen. Davor sei gewarnt. Ein solches Teilzeitverlangen kann rechtsmissbräuchlich sein.

Reduzierung der Arbeitszeit rechtswidrig

Wieso kann das rechtsmissbräuchlich sein?

So hat es das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) im Urteil vom 14.10.2021 (Az. 5 Sa 707/21) entschieden.

Worum ging es in dem Urteil?

Um eine Papierfabrik. Mit mehr als 15 Arbeitnehmern produziert sie an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr im laufenden Fünf-Schicht-Betrieb Spezialpapiere und Vliesstoffe. Das Unternehmen ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes der Nord- und Ostdeutschen Papierindustrie und wendet nach Maßgabe eines mit der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie abgeschlossenen Angleichungstarifvertrages das Tarifwerk der Papierindustrie an. Die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit beträgt 39 Stunden in der Woche, für Beschäftigte ab dem 55. Lebensjahr 36 Stunden in der Woche.

Welche Abmachungen gelten in dem Betrieb?

Im Betrieb die „Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit im Durchfahrbetrieb“ vom 20.11.2017. Die Beschäftigten werden einer der Schichten A bis E zugeordnet oder sind als Reserve-Operatoren an jeweils einer der Anlagen tätig. Einer der Arbeitnehmer arbeitet 39 Stunden in der Woche bei einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von zuletzt durchschnittlich 3.760,00 Euro. Er war gemäß dem betrieblichen Organisationskonzept und im Einklang mit der Betriebsvereinbarung 36 Wochenstunden der Schicht E an einer Festooning-Anlage mit insgesamt zwölf Arbeitsplätzen zugeordnet. Die restlichen drei Stunden seiner vertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit von 39 Stunden flossen in ein Arbeitszeitkonto ein und sollten in sogenannten Einbringschichten etwaig eintretende Personalausfälle abdecken.

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Wie sieht die Schichtverteilung an der Festooning-Anlage aus?

Die beklagte Firma geht davon aus, dass ihr die Beschäftigten unter Berücksichtigung des Jahresurlaubes und neun Prozent sonstiger Ausfallzeiten 1.596 Stunden im Jahr für Arbeitsleistungen zur Verfügung stehen, im Falle von mindestens 55 Jahre alten Beschäftigten 1.437 Stunden im Jahr. Drei der an der Festooning-Anlage tätigen Beschäftigten sind mindestens 55 Jahre alt. Ferner geht sie davon aus, dass der Durchfahrbetrieb an einer Anlage den Einsatz der Beschäftigten an jeweils 8.760 Personenstunden im Jahr bedingt und dass 60 weitere Stunden je Person für Fort- und Weiterbildung und Ähnliches benötigt werden. Für die Besetzung der Arbeitsplätze an der Festooning-Anlage werden im Durchfahrbetrieb deshalb 105.840 Personenstunden beziehungsweise 1.534 auf die 69 eingesetzten Beschäftigten jeweils verteilte Personenstunden benötigt, in jeder Schicht somit 18.407 Personenstunden. In der Schicht E stehen der Beklagten aufgrund der Arbeitszeiten der dieser Schicht zugeordneten Beschäftigten 18.675 Personenstunden zur Verfügung.

Was forderte der Arbeitnehmer?

Mit Schreiben vom 03.03.2021 beantragte er bei dem Arbeitgeber für die Zeit ab dem 01.07.2020 die Verkürzung seiner Wochenarbeitszeit auf 36 Stunden und deren ausschließliche Verteilung auf die Schicht E im Bereich Festooning. Für zusätzliche Einbringschichten wolle er nicht mehr zur Verfügung stehen. Mit Schreiben vom 04.03.2020 beantragte eine andere an der Festooning-Anlage beschäftigte Arbeitnehmerin die Verkürzung ihrer Wochenarbeitszeit von 36 auf 31 Stunden und ebenso deren ausschließliche Verteilung auf Schicht E an nicht auf einen Sonntag fallenden Tagen. Zwei weitere an Airlaid-Anlagen eingesetzte Beschäftigte stellten ähnliche Anträge am 03.03.2020. Nach einem Gespräch mit Arbeitgebervertretern lehnte die Firma den Antrag mit dem Kläger am 31.05.2020 übergebenem Schreiben vom 25.05.2020 ebenso wie die Anträge der anderen Beschäftigten ab. Gegen seine Ablehnung klagte der Arbeitnehmer.

Wie begründet der Arbeitnehmer seine Klage?

Vor dem  Arbeitsgericht hat er vorgetragen, ihm stünden bei unveränderter Arbeitszeit unter Abzug seiner in Schicht E verplanten und im Übrigen in den Sommerurlaub einzubringenden Arbeitsstunden im Jahr noch 184 Stunden im Jahr zur freien Verfügung. Hiermit und durch Springer, also nicht fest auf eine Schicht verplante, sondern zwischen Schichten springenden Arbeitnehmer könne das Unternehmen die aufgrund der angestrebten Arbeitszeitverringerung entfallenden Kapazitäten abdecken. Ferner könne es hierfür neue Arbeitskräfte oder Leihkräfte einstellen, die nach etwa vier Wochen Einarbeitung einsetzbar seien. Darum habe sich das Unternehmen, das grundsätzlich zu wenig Personal vorhalte, nicht bemüht. Auch Leihkräfte, die hohe Kosten verursachten, seien nicht zu finden gewesen.

Was entgegnete die beklagte Firma?

Dass es an der Festooning-Anlage in dieser Schicht zu einer Unterdeckung von 87 Personenstunden im Jahr käme. Sie sieht den Grund hierfür in den vom Kläger und einer weiteren Beschäftigten der Schicht E angestrebten Arbeitszeitverringerungen um 143 Personenstunden im Jahr beim Kläger und 212 Personenstunden im Jahr bei anderen Beschäftigte. Diese Unterdeckung könne sie weder durch Einsatz der voll ausgelasteten Reserve-Operatoren, durch Leihkräfte, noch durch Neu-Einstellungen ausgleichen. Um letztere habe sie sich ausweislich eines Schreibens der Agentur für Arbeit A vom 22.01.2021 vergeblich bemüht.

Zog die Begründung vor Gericht?

Nein, die Klage blieb beim Arbeitsgericht erfolglos, und vor dem LAG auch.

Nach Auffassung des Gerichts sei es rechtsmissbräuchlich, den Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit in einem Umfang von nicht einmal zehn Prozent allein deshalb geltend zu machen, damit zukünftig die Einteilung in eine bestimmte Schicht nicht mehr erfolge. Gemäß § 8 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) haben Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis seit mindestens sechs Monaten besteht und deren Arbeitgeber in der Regel mehr als 15 Arbeitnehmer beschäftigt, einen Anspruch auf Verringerung ihrer Arbeitszeit. Mit dem Antrag auf Reduzierung des Umfanges seiner Arbeitszeit kann ein Arbeitnehmer seine Wünsche zur Lage der verbleibenden Arbeitszeit geltend machen. Der Arbeitgeber muss grundsätzlich sowohl den Umfang der Verringerung als auch die gewünschte Lage der Arbeitszeit akzeptieren, es sei denn, den Wünschen des Arbeitnehmers stehen betriebliche Gründe entgegen.

8 TzBfG enthalte zwar keine Vorgaben hinsichtlich des Umfangs der Vertragsänderung und knüpfe den Anspruch auf Verkürzung der Arbeitszeit nicht an ein Mindestmaß mit der Folge, dass ein Arbeitnehmer grundsätzlich Anspruch auf eine verhältnismäßig geringfügige Verringerung seiner Arbeitszeit haben könne und für sich noch keinen Rechtsmissbrauch darstelle. Ließen allerdings im Einzelfall wie hier besondere Umstände darauf schließen, der Arbeitnehmer wolle diese ihm zustehenden Rechte zweckwidrig dazu nutzen, unter Inkaufnahme einer unwesentlichen Verringerung der Arbeitszeit und der Arbeitsvergütung eine bestimmte Verteilung der Arbeitszeit zu erreichen, auf die er ohne die Arbeitszeitreduzierung keinen Anspruch hätte, könne dies die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verlangens gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB rechtfertigen.

Dass er diese Verringerung auch nur deshalb anstrebe, weil er die Einbringstunden nicht mehr leisten möchte, schließt das LAG daraus, dass die Arbeitszeitverringerung mit drei Wochenstunden genau dem Umfang der auf die Wochenarbeitszeit entfallenden Einbringstunden entspräche. Damit lägen hier die besonderen Einzelfallumstände vor, die die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens rechtfertigten. Der Anspruch aus § 8 TzBfG umfasse nur zweitrangig die Neuverteilung der Arbeitszeit. Der Kläger dürfe ihn nicht dazu einsetzen, erstrangig und unter Hinnahme einer unwesentlichen Verringerung der Arbeitszeit und Vergütung die Entbindung von einer ungeliebten Schicht zu erreichen.

Hätten dem Verlangen des Arbeitnehmers betriebliche Belange entgegengestanden?

Nein, nicht nach Auffassung des LAG. Stehen einem solchen Verlangen keine entgegen, hat nach § 8 Absatz 4 Satz 1 TzBfG der Arbeitgeber einer Verkürzung der Arbeitszeit zuzustimmen.

Was wäre ein solcher entgegenstehender betrieblicher Grund?

Nach Satz 2 dieser Vorschrift insbesondere, wenn die Umsetzung des Arbeitszeitverlangens wesentlich beeinträchtigt:

  • die Organisation,
  • den Arbeitsablauf oder
  • die Sicherheit im Betrieb oder
  • unverhältnismäßig die Kostenseite.

Insoweit genüge es, wenn der Arbeitgeber vernünftig nachvollziehbare, hinreichend gewichtige Gründe hat, der Verringerung der Arbeitszeit nicht zuzustimmen.

Wie prüft man, ob solche Gründe entgegenstehen?

Regelmäßig in drei Stufen:

  • erste Stufe: Zunächst ist festzustellen, ob der vom Arbeitgeber als erforderlich angesehenen Arbeitszeitregelung überhaupt ein betriebliches Organisationskonzept zugrunde liegt und gegebenenfalls um welches Konzept es sich handelt.
  • zweite Stufe: dann, inwieweit die aus dem Organisationskonzept folgende Arbeitszeitregelung dem Arbeitszeitverlangen tatsächlich entgegensteht.
  • dritte Stufe: Schließlich ist das Gewicht der entgegenstehenden betrieblichen Gründe zu prüfen.

Dabei ist die Frage zu klären, ob das betriebliche Organisationskonzept oder die zugrundeliegende unternehmerische Aufgabenstellung durch die vom Arbeitnehmer gewünschte Abweichung wesentlich beeinträchtigt wird. Maßgeblich für das Vorliegen der betrieblichen Gründe ist der Zeitpunkt der Ablehnung des Arbeitszeitwunschs durch den Arbeitgeber, der die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen entgegenstehender betrieblicher Gründe trägt.

Wie fiel die Prüfung beim LAG aus?

Das Organisationskonzept des Arbeitgebers stehe dem Teilzeitverlangen entgegen, weil durch die gewünschte Arbeitszeitverringerung des Maschinenbedieners eine Kapazitätsunterdeckung vorliege, die nicht auszugleichen sei. Ausweislich einer Stellungnahme der Agentur für Arbeit seien keine Ersatzkräfte für den geringen Umfang des Arbeitsausfalles verfügbar und der Einsatz von Leiharbeitern sei nach dem Organisationskonzept nicht vorgesehen. Den Antrag auf Reduzierung der Arbeitszeit habe daher der Arbeitgeber zu Recht abgelehnt.

Was bedeutet das für Ihre Praxis als Arbeitgeber?

Kern des Anspruches auf Teilzeitverlangen ist die Verringerung der täglichen, wöchentlichen, jährlichen Arbeitszeit. Die Verteilung der Arbeitszeit gilt sozusagen nur als Anhängsel. Werden die Ansprüche auf Verkürzung und Verteilung der Arbeitszeit miteinander kombiniert, können Sie als Arbeitgeber dieses Vertragsangebot nur einheitlich annehmen oder ablehnen.

Ihr Arbeitnehmer kann keine geänderte Arbeitszeitverteilung beantragen, ohne zugleich eine Reduzierung der Arbeitszeit zu verlangen. Einen Mindestumfang hinsichtlich der Verringerung gibt es nicht. Verlangt er aber eine Zeitverkürzung in einem sehr geringen Umfang und verfolgt er damit eigentlich das Ziel, eine Änderung der Lage der Arbeitszeit zu erreichen, kann er sich damit des Rechtsmissbrauches schuldig machen.

Autor*in: Franz Höllriegel