17.08.2023

ThyssenKrupp darf Grünen Stahl kochen

Es grünt so grün, wenn Deutschlands Stahlküchen blühen. Nach Salzgitter kann jetzt auch Mitbewerber ThyssenKrupp in Duisburg nachziehen. Die EU-Kommission hat Beihilfezusagen des Bundes zugestimmt. Wirtschaftsminister Habeck, ebenfalls grün, freut sich.

Grünen Stahl

Ein Tag im Leben des Robert Habeck 

Für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) war der 20. Juli 2023  „ein richtig guter Tag“, als ihn auf seiner Indienreise in Neu Delhi die freudige Botschaft ereilte. Er zeige, dass „das Industrieland Deutschland eine grüne Zukunft hat“, sagte Habeck. Anlass für seinen Freudenausbruch war die Genehmigung von deutschen Milliarden-Beihilfen für den Stahlhersteller Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) durch die EU-Kommission. Die Fördersumme von zwei Milliarden Euro dürfte „die größte Fördersumme sein, die jetzt ausgekehrt wurde“, so der Minister. Es sei eines der größten industriepolitischen Projekte. Für Habeck beweist das die Standorttreue der energieintensiven Industrien. Sie sagten, sie wollten in Deutschland bleiben, sie wollten hier transformieren. 

Minister-Besuch auf Baufeld des künftigen Anlagenparks  

Sechs Tage später stattete Habeck dem Werk in Duisburg auf dem Baufeld des künftigen Anlagenparks einen Besuch ab. Der Minister informierte sich dabei über den Stand des thyssenkrupp Steel Dekarbonisierungsprojektes „tkH2Steel“ und bestätigte seine Förderzusage in Höhe von rund zwei Milliarden Euro. Das Land Nordrhein-Westfalen beteiligt sich an der Gesamtförderung mit bis zu 700 Millionen Euro, heißt es aus dem Konzern dazu. Wie die FAZ schreibt, will Deutschlands „größter Stahlhersteller Thyssenkrupp Steel“ in Duisburg eine Direktreduktionsanlage (DR-Anlage) zur Herstellung von grünem Stahl bauen. Sie soll anfangs mit Erdgas und später mit klimaneutral erzeugtem Wasserstoff betrieben werden und so den Ausstoß von Treibhausgasen bei der Stahlerzeugung deutlich verringern. Das Land Nordrhein-Westfalen und der Bund wollen das Projekt mit insgesamt bis zu zwei Milliarden Euro fördern.  

DR-Anlagen in Duisburg und Salzgitter  

Damit zieht TKSE als zweiter Stahlkonzern nach der Salzgitter AG nach, die erst im Juni 2023 ebenfalls eine Förderrunde durch den Bund verkündete, wir berichteten. Beide wollen das Geld für eine DR-Anlage verwenden. Gefördert werden insbesondere die innovative Anlagentechnik und der frühzeitige Verzicht auf Erdgas. Dadurch wird zum einen schnell viel CO2 eingespart, zum anderen wird „tkH2Steel“ zu einem Motor der europäischen Wasserstoffwirtschaft und somit zum Ankerpunkt für Investitionen in den raschen Aufbau einer grenzübergreifenden Wasserstoffinfrastruktur. Die Eigeninvestitionen seitens thyssenkrupp liegen bei knapp einer Milliarde Euro. Bereits Anfang des Jahres, nach der Gewährung des vorgezogenen Maßnahmenbeginns, hat thyssenkrupp Steel die SMS group aus Düsseldorf mit dem Engineering, der Lieferung und dem Bau des Anlagenkomplexes beauftragt. 

Einkauf - Logistik - Transport

Cleverer Einkauf. Durchdachte Logistik. Sicherer Transport.

€ 749.00Jahrespreis zzgl. MwSt.

Online-Version

Beitrag zur Ökologisierung eines Wirtschaftszweigs 

Die Europäische Kommission hat nach den EU-Beihilfevorschriften zwei deutsche Maßnahmen genehmigt, mit denen sie TKSE dabei unterstützen will, seine Stahlproduktionsprozesse zu dekarbonisieren und rascher auf erneuerbaren Wasserstoff umzustellen. Margrethe Vestager, Exekutiv-Vizepräsidentin in der Kommission, zuständig für Wettbewerbspolitik, erklärte zu den Maßnahmen: „Es handelt sich um einen Beitrag zur Ökologisierung eines Wirtschaftszweigs, der zu den größten Emissionsverursachern zählt. Die Abhängigkeit Deutschlands von importierten fossilen Brennstoffen wird verringert und die Wertschöpfungskette für erneuerbaren Wasserstoff in der EU ausgebaut.“ Übermäßige Wettbewerbsverzerrungen würden verhindert – unter anderem durch die von den deutschen Behörden genau überwachten Vorkehrungen. 

Die Maßnahmen sollen die Verwirklichung der Ziele der EU voranbringen: 

  • EU-Wasserstoffstrategie,  
  • europäischen Grünen Deals 
  • Industrieplan für den Grünen Deal  
  • REPowerEU-Plan  

Sie sollen dazu beitragen, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland zu beenden und den ökologischen Wandel rasch voranzubringen. 

Direktzuschuss und Zahlungsmechanismus  

Die Beihilfen erhält TKSE in zweierlei Form:  

  • Direktzuschuss von bis zu 550 Millionen Euro zur Unterstützung der Dekarbonisierung seiner Stahlproduktion  
  • an Bedingungen geknüpfter Zahlungsmechanismus zur Unterstützung des rascheren Übergangs zu erneuerbarem Wasserstoff in der Stahlproduktion. 

Der Direktzuschuss fördert Bau und Montage einer Direktreduktionsanlage und zweier Einschmelzer in Duisburg, die einen bestehenden Hochofen ersetzen sollen. Anfangs soll zwar noch Erdgas für den Betrieb der neuen Direktreduktionsanlage zum Einsatz kommen. Anstelle von Gas soll bis 2037 vollständig erneuerbarer Wasserstoff treten. Der Mechanismus der an Bedingungen geknüpften Zahlungen soll in den ersten zehn Jahren des Betriebs der neuen Direktreduktionsanlage die Mehrkosten decken, die für Beschaffung und Nutzung von erneuerbarem Wasserstoff anstelle von CO2-armem Wasserstoff anfallen. Die Anwendung dieses Mechanismus wird anhand der tatsächlich verbrauchten Mengen von erneuerbarem Wasserstoff und der dafür gezahlten Preise jährlich durch einen unabhängigen Sachverständigen überprüft. TKSE soll ein wettbewerbliches Ausschreibungsverfahren zur Auswahl der Wasserstofflieferanten durchführen, überwacht von den deutschen Behörden. 

Die neuen Anlagen sollen 2026 in Betrieb gehen und jährlich 2,3 Millionen Tonnen Roheisen mit geringerem CO2-Fußabdruck produzieren, also die gleiche Menge des bisher konventionell im Hochofen hergestellten Roheisens. Während der gesamten Lebensdauer des Vorhabens kämen so mehr als 58 Millionen Tonnen CO2 nicht mehr zur Freisetzung. TKSE hat sich verpflichtet, das im Rahmen des Vorhabens erworbene technische Know-how aktiv an Industrie und Wissenschaft weiterzugeben. 

Gründe für die Bewilligung 

Die Kommission hat die Maßnahmen nach den EU-Beihilfevorschriften geprüft, insbesondere nach Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Danach können die EU-Mitgliedstaaten die Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige unter bestimmten Voraussetzungen fördern, die von gemeinsamem europäischen Interesse sind (Important Projects of Common European Interest, IPCEI). Ferner hat sie die Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2022 herangezogen. 

Deutschland hat das Vorhaben 2021 in einem offenen Verfahren für die Teilnahme an einem IPCEI für Wasserstofftechnologien und -systeme ausgewählt. Das Vorhaben von TKSE zielt darauf ab, die Treibhausgasemissionen aus seiner Stahlproduktion zu verringern. Beihilfen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen einschließlich der Förderung von Dekarbonisierungsvorhaben gehören zu den Hauptkategorien von Beihilfen, die nach den Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen zulässig sind. Deswegen stellen diese Leitlinien die beste Grundlage für die Prüfung der Maßnahme dar. 

Entwicklung eines Wirtschaftszweigs 

Die Maßnahmen tragen nach Erkenntnis der Kommission neben der Unterstützung der anderen EU-Ziele zur Entwicklung eines Wirtschaftszweigs bei, insbesondere zur Erzeugung von Stahl durch Prozesse mit geringeren CO2-Emissionen. Die Beihilfen hätten einen Anreizeffekt, da der Beihilfeempfänger ohne die öffentliche Förderung nicht in die Erzeugung von grünem Stahl investieren würde, so die Kommission in ihrer Entscheidungsbegründung. Sie seien erforderlich und geeignet, um die Erzeugung von grünem Stahl zu fördern. Außerdem seien sie angemessen, da die Höhe der Beihilfen dem tatsächlichen Finanzierungsbedarf entspreche. 

Die Maßnahmen verhinderten zudem durch ausreichende Vorkehrungen, dass übermäßige Wettbewerbsverfälschungen entstünden. Sollte das Vorhaben erfolgreich sein und zusätzliche Nettoeinnahmen generieren, werde der Beihilfeempfänger durch den Rückforderungsmechanismus die erhaltenen Beihilfen teilweise an Deutschland zurückzahlen. Ferner unterliegt das Vorhaben einer unabhängigen Überwachung, um die Fortschritte bei der sukzessiven Einstellung der Erdgasnutzung und Aufnahme der Wasserstoffnutzung zu überprüfen und zu vermeiden, dass die Beihilfen der Erhöhung der Produktionskapazität von TKSE dienen. Außerdem soll TKSE die in dem Vorhabens gewonnenen Erfahrungen und technischen Kenntnisse weitergeben. 

Zusätzliche Vorkehrungen 

Für den Mechanismus der an Bedingungen geknüpften Zahlungen gelten zusätzliche Vorkehrungen. Um die Wettbewerbsfähigkeit der Wasserstoffpreise zu gewährleisten und den Beihilfebetrag auf das erforderliche Minimum zu begrenzen, führt TKSE ein weithin publiziertes wettbewerbliches Ausschreibungsverfahren für erneuerbaren und CO2-armen Wasserstoff durch, das die deutschen Behörden überwachen. Die positiven Auswirkungen der Beihilfe überwiegen, so die Kommission, etwaige Verzerrungen von Wettbewerb und Handel in der EU. Daher habe man die Beihilferegelung nach den EU-Beihilfevorschriften genehmigt. 

Technologisch neue Anlagenkombination 

Kern des Konzeptes „tkH2Steel“ ist die Integration einer technologisch neuen Anlagenkombination in das größte europäische Hüttenwerk. Die vollständig wasserstofffähige Direktreduktionsanlage mit zwei Einschmelzern und einer Produktionskapazität von 2,5 Millionen Tonnen direkt reduzierten Eisens pro Jahr, daraus 2,3 Millionen Tonnen Roheisen, ist nach Angaben von TKSE in dieser technologischen Konzeption die erste Anlagenkombination ihrer Art weltweit. Dadurch wird thyssenkrupp Steel neben Salzgitter zu einem zweiten Wegbereiter für die Dekarbonisierung der Stahlwertschöpfungskette in Europa. Zudem garantiere das Unternehmen unter anderem unverzichtbare Spezialwerkstoffe für das Gelingen der Energie und Mobilitätswende. Das innovative Konzept ermögliche die Beibehaltung aller nachfolgenden Prozessschritte ab dem Stahlwerk und gewährleistet damit für CO2-reduzierten Stahl eine gleichbleibend hohe Produktqualität.  

Ambitionierter Wasserstoffhochlauf  

Mit einer jährlichen Einsparung von bis zu 3,5 Millionen Tonnen CO2 – knapp fünf Prozent der Emissionen des Ruhrgebietes – hält TKSE die Direktreduktionsanlage für unentbehrlich, um die Klimaziele zu erreichen und zugleich die wirtschaftliche Resilienz des Industriestandorts Deutschland zu sichern. Betrieben wird die Anlage bereits 2029 planmäßig mit rund 143.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr – der Strombedarf zur Herstellung dieser Wasserstoffmenge entspricht der Erzeugung von etwa 500 Windrädern oder 60 Prozent des Strombedarfs der Stadt Hamburg.  

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)