05.10.2023

DB Cargo transportiert Wasserstoff

Wasserstoff ist ein freiheitsliebendes Molekül. Keine Wandung so feingliedrig, als dass es nicht hindurchschlüpfen könnte. Seit dem Zeppelin-Unglück LZ 129 in Lakehurst 1937 weiß der Fachmann: Wasserstoff transportiert man nicht. DB Cargo will es besser wissen.

DB Cargo Wasserstoff

Herkulesaufgabe Energiebedarf in Deutschland

Der Energiebedarf in Deutschland ist hoch. Er soll noch weiter steigen. Dennoch will das Land bis 2045 klimaneutral sein. Folge: ausschließlich Energieträger kommen für den Einsatz in Frage, die keine neuen CO2-Emissionen verursachen, sprich: klimaneutral sind. Große Hoffnung setzt die Industrie hierbei auf klimaneutral bereitgestellten Wasserstoff, sogenannter „grüner Wasserstoff“. Wer nun glaubt, grün sei schon grün, nur weil die Herstellung grün ist, unterliegt einem Irrtum. Der ökologische Rucksack, das heißt die Umweltbelastung, die von den Begleitbedingungen ausgehen, gilt es gleichermaßen zu berücksichtigen. Nicht nur die Produktion muss ohne neue Emissionen auskommen, sondern auch Transport und Speicherung. „Eine Herkulesaufgabe“, wie DB Cargo einräumt. Was das Unternehmen nicht davon abhält, sich ihrer anzunehmen.

Hoher Bedarf an Wasserstoff

130 Terawattstunden Strom aus Wasserstoff pro Jahr – diese Zahl hat die Bundesregierung im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie für 2030 kürzlich neu berechnen lassen. Zum Vergleich: derzeit liegt der gesamte jährliche Stromverbrauch in Deutschland demnach bei rund 580 Terawattstunden. DB Cargo will davon zukünftig rund 20 Prozent, vorwiegend für den Einsatz in industriellen Prozessen, auf der Schiene transportieren können. Das sei außerordentlich wichtig, betont das Unternehmen in einer Firmenmitteilung.

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Der Ausbau des Pipeline-Netzwerks für Wasserstoff sei erst in den nächsten Jahrzehnten zu erwarten. Bis dahin müsse es eine andere Lösung geben. Hier sieht das Schienenunternehmen seine Chance. Die Bedeutung des Transportträgers sei entsprechend groß. Dies betont Dr. Sigrid Nikutta, Chefin der DB Cargo AG und Vorstand Güterverkehr des DB-Konzern: „Das deutsche Schienennetz ist ein Umweltnetzwerk mit mehr als 35.000 Kilometer Streckenlänge. Allein DB Cargo bedient dabei mehr als 2.100 Schnittstellen, Kundenanschlüsse, Terminals und Binnenhäfen. Grüner Wasserstoff braucht grüne Logistik – und das bieten wir.“

Die rollende Wasserstoff-Pipeline

Wasserstoff werde „grün“, wenn er mit Hilfe erneuerbarer Energien wie etwa durch Elektrolyse erzeugt wird, zum Beispiel in Regionen mit einer hohen Dichte an Windkraftanlagen. Dabei sei Deutschland stark auf Wasserstoffimporte auf dem Seeweg angewiesen. Beim Transport ist Wasserstoff in der Regel nicht gasförmig, sondern in Chemikalien gebunden, sodass er am Hafen in Kesselwagen umgefüllt und auf der Schiene zu den Bestimmungsorten in ganz Deutschland gebracht werden könne. Dort wird das Ladegut in seine Bestandteile gespalten, Wasserstoff separiert und als Energieträger genutzt. Bis ein umfassendes und deutschlandweites Pipelinesystem vorhanden sei, sei derzeit nicht absehbar. Bis dahin gebe es keine sicherere und umweltschonendere Transportlösung als die „rollende Wasserstoff-Pipeline“ von DB Cargo.

Transportlösung für große Mengen Wasserstoff

Als größte europäische Güterbahn könne DB Cargo heute schon 20 Prozent des benötigten Wasserstoffs auf der Schiene liefern dank seiner Logistik im Kesselwagen. Sein Konzept preist das Unternehmen als klimafreundliche schnelle Lösung an.

„Wir haben dafür eine Lösung entwickelt, die den Wasserstoff einfach und effizient von den Häfen zu den Verbrauchern im Hinterland bringt, vor allem zu unseren Industriekunden. So schaffen wir für die deutsche Wirtschaft eine sichere und leistungsfähige Lieferkette“, meint Nikutta.
Der Transport von Wasserstoff auf der Schiene sei eine wettbewerbsfähige Alternative zur Pipeline. Gegenüber der Straße hat die Schiene einen entscheidenden Vorteil: Sie ist der wesentlich umweltfreundlichere Transportweg. Ein Zug ersetzt bis zu 52 LKW und spart 80 bis 100 Prozent CO2 gegenüber dem Transport auf der Straße. Zum Vergleich: ein Binnenschiff ersetzt über 500 LKW und spart noch einmal ein Vielfaches an entsprechenden Mengen CO2, verbunden zusätzlich allerdings einer weit größeren Vermeidung von Unfallgefahren, Staus und sonstiger Behinderungen wie maroder Brücken auf Straße und Schiene.

Wasserstoff gehört bedingt auf die Schiene

Grüner Wasserstoff entsteht durch Elektrolyse mithilfe erneuerbarer Energie. Bei DB Cargo geht man der mittlerweile von der Wissenschaft eingeholten Annahme aus, er könne nicht immer dort produziert werden, wo er benötigt wird. Daher brauche es Lösungen für die Logistik. Grüner Wasserstoff wird vor allem in Regionen mit viel Wind, Sonne und Wasser produziert und anschließend in alle Regionen der Welt exportiert. DB Cargo hat in Zusammenarbeit mit Energieversorgern ein Konzept für den Transport zu Empfängern weitab von Seehäfen entwickelt. Der Wasserstoff wird in der Flüssigkeitsbindung belassen. Damit können die üblichen Kesselwagen im Schienengüterverkehr genutzt werden. Sie sind vielfach für die chemische Industrie im Einsatz. Erst dort, wo Wasserstoff als Energiespender eingesetzt werden soll, wird das Ladegut wieder in seine Bestandteile gespalten, der Wasserstoff separiert oder herausgezogen und als Energieträger genutzt.

Spezial-Container für den Transport von reinem Wasserstoff

Ebenso engagiert sich die DB Cargo bei der Entwicklung innovativer Wasserstoff-Container und testet die Logistik von reinem Wasserstoff. Diese Lösung sei sinnvoll, wenn es um die kleinteilige Verteilung von reinem Wasserstoff an dezentrale Kunden und Anwender geht. Hier denkt man allerdings beispielsweise lediglich an Wasserstoff-Tankstellen, nicht aber an andere mögliche Zapfstellen wie auf dem Gelände von Supermärkten. Gasförmiger Wasserstoff kann nur unter hohem Druck in speziellen Multi Element Gas Containern (MEGCs) transportiert werden.

DB Cargo organisiert die Belieferung der Wasserstoffzüge von DB Regio, die derzeit auf verschiedenen Linien im Praxisbetrieb getestet werden. Ähnlich aufwendig wie der Transport von gasförmigem Wasserstoff ist der Transport von tiefkalt verflüssigtem Wasserstoff. Aufgrund der extrem niedrigen Temperatur von etwa -253 Grad Celsius bedarf es hier besonderer Container. DB Cargo beteiligt sich an vielfältigen Lösungen zur Wasserstoff-Logistik. Die Güterbahn ist Mitgesellschafterin des „H2-Reallabor Burghausen / ChemDelta Bavaria“, einer gemeinnützigen Gesellschaft im bayerischen Chemiedreieck. Die Zukunftstechnologie Wasserstoff wird hier im Industriealltag erprobt.

Wasserstoff-Pipelines zu einem nationalen Wasserstoffnetz

Der geplante Ausbau von Produktionskapazitäten im Bereich des grünen Wasserstoffs macht Lösungen für die Speicherung und den Transport von Wasserstoff zwingend erforderlich, schreibt TÜV Nord in einer Firmenmitteilung. Das in dieser Hinsicht größte Potenzial in Deutschland besitzt demnach die Gasinfrastruktur. Neben der Errichtung eines dedizierten Wasserstoffnetzes aus Wasserstoff-Pipelines sei die Nutzung und Umwidmung des bestehenden Gasnetzes Gegenstand intensiver Forschungsarbeit. Dabei gehe es um:

  • die Materialtauglichkeit von Werkstoffen
  • die Entwicklung geeigneter Standards und Sicherheitsvorschriften
  • nationale und internationale Regelungen.

Absehbar sei eine Phase, in der das existierende Gasnetz einen schrittweise wachsenden Beitrag zur Dekarbonisierung und zur erfolgreichen Kopplung der Sektoren Industrie, Mobilität und Wärme leisten könne.

Bestehende Wasserstoff-Pipelines

Industriellen Verbrauchern, die ihren Energiebedarf zum großen Teil aus Erdgas beziehen, wie die Stahl- und Chemieindustrie, biete sich durch den Anschluss an ein Wasserstoffnetz die Möglichkeit zum Ausstieg aus fossilen Energieträgern. Im Ruhrgebiet sowie im mitteldeutschen Chemiedreieck existierten seit Jahrzehnten größere Wasserstoff-Pipelines, die von der Industrie genutzt werden. Entsprechendes Know-how sei mithin vorhanden. Bei der Wasserstoff-Pipeline im Ruhrgebiet handele es sich um die längste dedizierte Wasserstoff-Pipeline Deutschlands. Diese 240 km lange Wasserstoff-Pipeline reicht vom Chemiepark Marl bis nach Castrop-Rauxel und Leverkusen.

Wasserstoff für Bitterfeld

Die Wasserstoff-Pipelines im Ruhrgebiet und im mitteldeutschen Chemiedreieck sind heute Teil von Planungen, Modellregionen für eine grüne Wasserstoffwirtschaft zu schaffen – von der Herstellung über die Speicherung und den Transport bis hin zur Nutzung in diversen Sektoren. Im mitteldeutschen Chemiedreieck um Bitterfeld, Schkopau und Leuna werden jährlich 3,6 Milliarden m³ Wasserstoff benötigt. Hier kommen verschiedene Wasserstoff-Pipelines zusammen auf eine Länge von 150 km. Zudem gibt es in Deutschland noch die 30 km lange Wasserstoff-Pipeline in Schleswig-Holstein von Heide nach Brunsbüttel.

Nutzung bestehender Gasnetze

Mit dem Aufbau eines dedizierten Wasserstoffnetzes durch den Bau neuer Wasserstoff-Pipelines sind hohe Investition verbunden. An die Pipelines sind erhebliche Anforderungen gestellt zur Tauglichkeit von:

  • Rohrleitungen,
  • Verdichter,
  • Armaturen etc.

Gegenstand von umfassenden Untersuchungen sind:

  • Wasserstoffversprödung
  • Bruchzähigkeit
  • Korrosion
  • Veränderung von Ex-Zonen, in denen explosionsfähige Atmosphären auftreten können.

Die gewonnenen Erkenntnisse fließen in die Ableitung von Instandhaltungs- und Sicherheitskonzepten ein. Zusammen mit neu zu entwickelnden Standards und regulatorischen Rahmenbedingungen werden sie den Betrieb umgewidmeter Gasleitungen ermöglichen. Vor diesem Hintergrund hat die Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas (FNB Gas) Pläne für das Wasserstoffnetz „H2-Startnetz 2030“ veröffentlicht. Diese sehen vor, ein 1.200 km langes Wasserstoffnetz auf Grundlage des bestehenden Erdgasnetzes zu errichten. Davon wären nur 100 km neu zu bauen. Ende 2022 sollen die ersten Gasleitungen umgestellt sein.

Die Idee, das künftige Wasserstoffnetz aus dem existierenden Gasnetz heraus zu entwickeln, speist sich aus dem bis zum Jahr 2030 geplanten Umstieg von L-Gas auf H-Gas im Nordwesten Deutschlands. Der Unterschied der beiden Gasarten besteht darin, dass H-Gas („High caloric gas“) über einen höheren Methan-Gehalt als L-Gas („Low calorific gas“) verfügt und daher mehr Energie freisetzt. Im Rahmen des zum „H2-Startnetz 2030“ gehörenden Projekts „GET H2 Nukleus“ erfolgt die genannte Umstellung. Dadurch wird es möglich, bisher für den Transport von L-Gas genutzte Leitungen zu modifizieren. Somit wird die Basis für ein Wasserstoffnetz geschaffen, das neben dem innerdeutschen Transport von grünem Wasserstoff auch dessen Import aus dem Ausland ermöglicht, etwa aus den Niederlanden. Um den Aufbau dieses Wasserstoffnetzes mit voranzutreiben, begleitet die TÜV Nord-Gruppe die Umwidmung einer im Ruhrgebiet befindlichen Erdgasleitung zum Betrieb mit Wasserstoff.

Erstes öffentlich zugängliche Wasserstoffnetz

Konkretes Ziel von „GET H2 Nukleus“ ist die Errichtung des ersten Wasserstoffnetzes in Deutschland, das offen zugänglich ist. Damit ist gemeint, dass alle Unternehmen, die Wasserstoff herstellen oder einspeisen, sowie sämtliche Abnehmer das Recht haben, diskriminierungsfrei und zu gleichen Preisen auf das Wasserstoffnetz zuzugreifen. Beim Erdgasnetz ist dies bereits der Fall. Das geplante Wasserstoffnetz soll von Lingen nach Gelsenkirchen reichen und 130 km lang sein. Mit 118 km besteht der mit Abstand größte Teil des Wasserstoffnetzes aus transformierten Gasleitungen. Bei den übrigen 12 km handelt es sich um einen Teilneubau für die Verbindung des Chemieparks Marl mit einer Raffinerie in Gelsenkirchen-Scholven.

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)