25.07.2023

Neue Regeln für entwaldungsfreie Lieferketten

Der Deutsche Wald – einst eine Sehnsuchtslandschaft in Gedichten, Märchen und Sagen der Romantik. Heute stirbt er oder er brennt. Anders der Wald anderswo. Da wird er gerodet zur Herstellung von Möbeln oder Schokolade. Letzterem will die EU ein Ende bereiten mit neuen Regeln.

entwaldungsfreie Lieferketten

EU-Institutionen stimmen zu 

Mit dem 29. Juni 2023 haben Unternehmen und Händler in der EU 18 Monate Zeit, sich auf neue Regeln zu entwaldungsfreien Lieferketten einzustellen. Die dafür nötige Verordnung 2023/1115 vom 31. Mai 2023 „über die Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen, auf dem Unionsmarkt und ihre Ausfuhr aus der Union sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 995/2010“ ist laut einer Pressemitteilung der EU-Kommission nach Zustimmung des Europäischen Parlaments und der EU-Staaten in Kraft getreten. Die Regeln sollen sicherstellen, dass eine Reihe von Waren, die in der EU in Verkehr gebracht werden, nicht zur Entwaldung und Waldschädigung in der EU und anderswo in der Welt beitragen. 

Entwaldung und Waldschädigung 

Die EU-Institutionen zeigen sich besorgt über die Geschwindigkeit, mit der Entwaldung und Waldschädigung vonstattengehen. Sie berufen sich dabei auf Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Danach sind zwischen 1990 und 2020 weltweit 420 Millionen Hektar Wald verloren gegangen – etwa zehn Prozent der verbleibenden Wälder der Welt und eine Fläche größer als die Europäische Union. Entwaldung und Waldschädigung sieht die EU zudem als wichtige Ursachen für die Erderwärmung und den Verlust an biologischer Vielfalt, „die beiden wichtigsten ökologischen Herausforderungen unserer Zeit“, so die Verordnung. Dennoch verliere die Erde jedes Jahr weitere zehn Millionen Hektar Wald. Zudem wirke sich der Klimawandel stark auf die Wälder aus. Zahlreiche Herausforderungen seien zu bewältigen, um die Anpassungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit der Wälder in den kommenden Jahrzehnten sicherzustellen. 

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Vor allem die Treibhausgasemissionen erhöhten sich durch:  

  • mit ihnen verbundene Waldbrände,  
  • die dauerhafte Beseitigung der Kapazitäten für CO2-Senken,  
  • die Verringerung der Widerstandsfähigkeit des betroffenen Gebiets gegen den Klimawandel und  
  • die erhebliche Verringerung seiner biologischen Vielfalt und seiner Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten und Schädlingen.  

Die Entwaldung allein verursacht laut EU elf Prozent der Treibhausgasemissionen. Die Verordnung bezieht sich hiermit auf den Sonderbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) zum Klimawandel und Landbewirtschaftung von 2019 dargelegt. 

Kampf gegen Klimawandel und für Artenvielfalt 

Die Verordnung sei ein zentraler Baustein im Kampf gegen den Klimawandel und den Rückgang der Artenvielfalt. Sie erlege allen betroffenen Unternehmen eine Sorgfaltspflicht auf, wenn sie folgende Waren in der EU in Verkehr bringen oder aus der EU ausführen:  

  • Palmöl,  
  • Rindfleisch,  
  • Soja,  
  • Kaffee,  
  • Kakao,  
  • Holz  
  • Kautschuk  
  • daraus hergestellte Erzeugnisse wie Möbel oder Schokolade.  

Die Auswahl dieser Rohstoffe erfolgte auf Grundlage einer Folgenabschätzung, die sie als Hauptursache für die Entwaldung aufgrund der Ausweitung der Landwirtschaft ermittelt habe. Danach wird die Entwaldung aufgrund des Unions-Verbrauchs und der Erzeugung von sechs dieser Rohstoffe (Ausnahme Kautschuk) allein bis 2030 jährlich auf eine Fläche von etwa 248 000 Hektar ansteigen, wenn man keine angemessenen regulatorischen Maßnahmen ergreife. 

Verpflichtungen für Unternehmen 

Marktteilnehmer und Händler verpflichten die Regeln zum Nachweis über:  

  • entwaldungsfreie Herstellung, also unter Nutzung nicht nach dem 31. Dezember 2020 entwaldeten Flächen,  
  • Legalität der Erzeugnisse, also im Einklang mit den im Erzeugerland geltenden einschlägigen Rechtsvorschriften. 

Die Unternehmen verpflichtet die Verordnung überdies, genaue geographische Informationen über die landwirtschaftlichen Nutzflächen zu erheben, auf denen die von ihnen bezogenen Erzeugnisse erzeugt wurden. Dies soll ihre Überprüfung auf Einhaltung der Vorschriften gewährleisten. Die Mitgliedstaaten stellen zu diesem Behufe sicher, dass die Nichteinhaltung der Vorschriften zu wirksamen und abschreckenden Sanktionen führt. 

EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius: „Dieses Gesetz wird nicht nur dazu beitragen, die Wälder der Welt zu schützen, es wird auch die Nachfrage nach entwaldungsfreien Produkten steigern. Alle Länder werden ihre Waren weiterhin in der EU verkaufen können, sofern sie nachweisen können, dass sie frei von Entwaldung sind. Wir sind sehr daran interessiert, mit unseren internationalen Partnern zusammenzuarbeiten, um diese Verordnung zu einem Erfolg zu machen.“ 

Regelmäßige Überprüfung 

Die Liste der erfassten Rohstoffe unterliegt laut EU-Kommission einer regelmäßigen Überprüfung und Aktualisierung. Sie sollen neue Daten wie sich verändernde Entwaldungsmuster berücksichtigen. Die Kommission will ein Benchmarking-System einführen, bei dem die Länder oder Teile davon und ihr Risiko für Entwaldung und Waldschädigung – hoch, normal oder gering – unter Berücksichtigung der Ausweitung der Landwirtschaft bei der Erzeugung der sieben Rohstoffe und ihrer Folgeprodukte bewertet werden. Verpflichtungen für Unternehmen sollen von der Höhe des Risikos abhängig sein.    

Laut der Verordnung bieten Wälder vielfältigen  

  • ökologischen,  
  • wirtschaftlichen und  
  • sozialen Nutzen.  

Biologische Vielfalt der Erde 

Laut der Verordnung beherbergen die Wälder den größten Teil der terrestrischen biologischen Vielfalt der Erde. Deswegen zählt sie die Bereitstellung von Holz und anderen forstwirtschaftlichen Erzeugnissen und die Erbringung von Umweltleistungen, die für die Menschheit von wesentlicher Bedeutung sind. Wälder hätten eine Vielzahl von Funktionen:  

  • Sie erhalten Ökosystemfunktionen aufrecht,  
  • tragen zum Schutz des Klimasystems bei,  
  • sorgen für saubere Luft und  
  • spielen eine entscheidende Rolle für die Reinigung von Gewässern und Böden sowie  
  • für die Wasserrückhaltung und -speicherung.  

Feuchtigkeitsquelle und Wüstenbildung 

Große Waldflächen dienten als Feuchtigkeitsquelle und trügen dazu bei, die Wüstenbildung in kontinentalen Regionen zu verhindern. Darüber hinaus kämen etwa einem Drittel der Weltbevölkerung Wälder als Lebensgrundlage und Einkommensquelle zugute. Die Zerstörung von Wäldern habe schwerwiegende Folgen für die Lebensgrundlagen der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen, einschließlich indigener Völker und lokaler Gemeinschaften, die stark von Waldökosystemen abhängig sind. Außerdem verkleinerten Entwaldung und Waldschädigung wesentliche Kohlenstoffsenken. Diese erhöhten zudem die Wahrscheinlichkeit von Kontakten zwischen wildlebenden Tieren mit Nutztieren und Menschen, wodurch die Gefahr der Ausbreitung neuer Krankheiten steige und die neuer Epidemien und Pandemien zunehme. 

Umweltbezogene Menschenrechte 

Verteidiger umweltbezogener Menschenrechte, die sich um den Schutz und die Förderung der Menschenrechte im Zusammenhang mit der Umwelt einschließlich des Zugangs zu sauberem Wasser, sauberer Luft und sauberem Land bemühen, seien häufig Ziel von Verfolgung und tödlichen Angriffen. Diese Angriffe beträfen in unverhältnismäßig hohem Maße indigene Völker. Die Verordnung zitiert aus Berichten aus dem Jahr 2020, denen zufolge über zwei Drittel der Opfer dieser Angriffe im Einsatz für den Schutz der Wälder der Welt vor Entwaldung und industrieller Entwicklung gewesen seien. 

In Bezug auf die Lage der Wälder in der Union heißt dem Bericht über den Zustand der Wälder in Europa von 2020 zufolge:  

  • die Waldfläche in Europa hat zwischen 1990 und 2020 um neun Prozent,  
  • der in der Biomasse gespeicherte Kohlenstoff um 50 Prozent und  
  • das Holzangebot um 40 Prozent zugenommen.  

Primärwälder und sich natürlich verjüngende Wälder seien unter anderem durch intensive Bewirtschaftung gefährdet und ihre einzigartige biologische Vielfalt und ihre strukturellen Merkmale bedroht. Außerdem habe die Europäische Umweltagentur festgestellt, dass heutzutage weniger als fünf Prozent der europäischen Waldflächen als ungestört oder natürlich gelten; demgegenüber stuft die Agentur zehn Prozent  der europäischen Waldflächen als intensiv bewirtschaftet ein. Die Waldökosysteme müssten mit einer Vielzahl von durch den Klimawandel verursachten Belastungen, die von extremen Wetterverhältnissen bis hin zu Schädlingsbefall reichen, und mit menschlichen Tätigkeiten, die sich negativ auf Ökosysteme und Lebensräume auswirken, zurechtkommen. Insbesondere könnten Kahlschlag und Entfernung von Totholz intensiv bewirtschaftete Wälder mit gleichmäßiger Altersstruktur erhebliche Auswirkungen auf ganze Lebensräume haben. 

Zielobjekt Landwirtschaft 

Besonders in den Blick nimmt die EU die Landwirtschaft:  

  • Deren Ausdehnung verursache fast 90 Prozent der weltweiten Entwaldung,  
  • mehr als die Hälfte des Waldverlusts gehe auf die Umwandlung von Wäldern in Ackerflächen zurück,  
  • die Weidehaltung sei für fast 40 Prozent des Waldverlusts verantwortlich. 

Die Erzeugung von Futtermitteln für die Viehhaltung könne zur Entwaldung und Waldschädigung beitragen. Die Förderung von alternativen, nachhaltigen landwirtschaftlichen Verfahren könne den Herausforderungen in Bezug auf Umwelt und Klima entgegenwirken und Entwaldung und Waldschädigung weltweit verhindern. Anreize für eine ausgewogenere, gesündere und nahrhaftere Ernährung und einen nachhaltigeren Lebensstil könnten, so die neue EU-Verordnung, den Druck auf Flächen und Ressourcen mindern. 

Einfuhr in die Union 

Die Union hat zwischen 1990 und 2008 ein Drittel der weltweit gehandelten landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die in Verbindung mit Entwaldung stehen, eingeführt und verbraucht. In diesem Zeitraum war der Unionsverbrauch für zehn Prozent der weltweiten Entwaldung im Zusammenhang mit der Erzeugung von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen verantwortlich. Selbst wenn der relative Anteil des Unionsverbrauchs abnehme, trage der Unionsverbrauch in unverhältnismäßig hohem Maß zur Entwaldung bei. Die Union sollte nach Ansicht der Verfasser der Verordnung daher Maßnahmen ergreifen, um die weltweite Entwaldung und Waldschädigung, die durch den Verbrauch bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse bedingt sind, auf ein Mindestmaß zu beschränken. Nur so könne sie ihren Beitrag zu Treibhausgasemissionen und zum weltweiten Verlust an biologischer Vielfalt verringern. Zudem sollte sie nachhaltige Erzeugungs- und Verbrauchsmuster in der Union und weltweit fördern, heißt es in der Verordnung.  

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)