06.09.2023

Preisnachlässe für E-Autos – trotz mangelnder Ladesäulen?

Stell dir vor, alle fahren elektrisch – aber keiner weiß, wo aufladen. Die Horrorvorstellung scheint derzeit am deutschen Markt für E-Autos zu herrschen. Zwar haben die Hersteller 2022 viele E-Fahrzeuge verkauft. Hinzukommen Rabatte ohne Ende. Nur am Ladenetz hapert es etwas.

Preisnachlässe für E-Autos

Nur 16 Prozent Schnelllader in Deutschland 

Ende 2022 erreichte der Anteil der E-Autos an den weltweiten Neuverkäufen den Rekordwert von 16 Prozent. Im ersten Halbjahr 2022 war er noch leicht rückläufig. in Deutschland stieg ihr Anteil auf 37 Prozent. Jedoch hinkt in Deutschland der Ausbau der Ladeinfrastruktur mit nur 16 Prozent Schnelllader-Anteil hinterher. Das belegt die Studie „EV Charging Index 2023“ der Strategieberatung Roland Berger in München mit Brancheninterviews und einer Umfrage unter 16.000 Teilnehmern aus Europa, Asien, Nord- und Südamerika sowie dem Nahen Osten.  

China führend bei E-Autos 

Demzufolge wurden besonders viele E-Autos verkauft in:  

  • China  
  • gefolgt von Europa und  
  • dem Mittleren Osten  

Die Marktforscher schätzen, dass bis 2030 über die Hälfte der weltweit verkauften Autos Elektrofahrzeuge seien. International komme 2022 der Ausbau der Ladeinfrastruktur gut voran. Weltweit seien inzwischen knapp 22 Prozent der öffentlichen Ladepunkte Schnellladestationen.  

Lohrisch: Ladeinfrastruktur hält mit Zahl an E-Autos nicht Schritt 

„Der weltweite Markt für Elektrofahrzeuge und Ladestationen wächst derzeit sehr schnell. Das Bewusstsein für nachhaltige Mobilität nimmt zu, ebenso wie das Angebot der Hersteller; E-Autos werden immer alltagstauglicher und von Verbrauchern zunehmend akzeptiert“, sagt Lennart Lohrisch, Partner bei Roland Berger. Doch speziell in Deutschland halte das Angebot an öffentlicher Ladeinfrastruktur mit der wachsenden Zahl an E-Autos nicht Schritt. Dabei könnte das Land eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung eines neuen Energie-Ökosystems rund um das Laden von Fahrzeugen spielen, gibt sich Lohrisch zuversichtlich. Voraussetzung sei allerdings ein klares Bekenntnis von Politik und Industrie zur E-Mobilität. 

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Deutschland festigt Position im globalen EV-Markt 

Im Ranking des E-Auto-Index (EV Charging Index) übernimmt China erneut die Spitzenposition. Deutschland konnte den Abstand immerhin verringern und belegt den zweiten Platz. In den Top 5 folgen USA, Niederlande und Norwegen. Deutschlands stärkere Marktposition im Vergleich zum letzten Index sehen die Marktforscher als Resultat aus dem gestiegenen Absatz von Elektrofahrzeugen von 37 zu 24 Prozent Anteil im ersten Halbjahr 2022. Beim Ausbau der Ladeinfrastruktur hätten alle Top 5-Länder große Fortschritte gemacht. Allerdings teilen sich in Deutschland derzeit 26 E-Autos einen öffentlichen Ladepunkt im Vergleich zum weltweiten Mittel von 16 nach wie vor deutlich hinterherhinkt. Der Ausbau sei ein unverzichtbarer Treiber der E-Mobilität. In den Befragungen hätten 90 Prozent der E-Auto-Besitzer angegeben, auf öffentliche Ladestationen angewiesen zu sein. Mehr als 30 Prozent nutzten öffentliche Ladestationen sogar mindestens drei Mal pro Woche. Beliebtester Ladeort bleibe der Arbeitsplatz. 

Autohersteller als Treiber für Ladeinfrastruktur 

Der Markt für Ladeinfrastruktur sei dynamisch. Eine Vielzahl von Unternehmen versuchten, sich sowohl in den vor- als auch in den nachgelagerten Bereichen des Geschäfts einen Anteil zu sichern:  

  • Automobilhersteller,  
  • Infrastrukturanbieter,  
  • Versorgungsunternehmen,  
  • Hersteller von Speichermedien für erneuerbare Energien,
  • Tech-Giganten und
  • sogar Öl- und Gasunternehmen.  

Dabei beschränkten sich die Geschäftsmodelle nicht mehr auf Installation und Betrieb der Ladepunkte sowie den Verkauf von Energie. Vielmehr entständen neue Geschäftsfelder in Bereichen wie  

  • Vermarktung von Regelenergie. 
  • Energiemanagement,
  • Fahrzeugeinspeisung oder Transfer Fahrzeug-Netz (Vehicle-to-Grid-Transfer 

V2H und V2G  

Im Durchschnitt steht ein Elektroauto mehr als 20 Stunden des Tages einfach nur herum. Diese Zeit kann besser genutzt werden, finden die „energie-experten.org“. So ließe sich das Elektromobil zum temporären Batteriespeicher wandeln. Die so gespeicherte Energie kann wieder ins Stromnetz (Grid) oder in das Energiesystem des Eigenheims (Home) eingespeist werden. Autos können so dank der Elektromobilität ein aktiver Teil des Stromnetzes werden. So helfen sie, erneuerbare Energien aus Sonne und Wind schlau und kostengünstig ins Netz zu integrieren und Lastspitzen zu glätten. Bei dem Konzept Vehicle to home (V2H), Vom Fahrzeug ins Haus, wird zuvor gespeicherter Strom nicht in das Stromnetz eingespeist, sondern in das Hausstromnetz oder den dort befindlichen z. B. Photovoltaik-Akku. Beide Konzepte setzen voraus, dass die Ladestation die Energie bidirektional steuern kann. Im Unterschied zu reinen E-Autos können bidirektional ladefähige Fahrzeuge nicht nur elektrische Energie aus dem Netz oder von der eigenen PV-Anlage aufnehmen, sondern als Teil eines intelligenten Energiesystems in Zeiten großer Netzlast auch in umgekehrter Richtung vom Auto-Akku über spezielle Ladestationen in das Netz oder das Haus einspeisen. V2G und V2H ermöglichen somit laut „energie-experten.org“ eine intelligente Sektorenkopplung oder die Versorgung eines Hauses bei Stromausfall. 

Neues Energie-Ökosystem 

„Mit der Ladeinfrastruktur entwickelt sich ein neues Energie-Ökosystem, in dem die Automobilhersteller eine wichtige Rolle spielen“, sagt Lohrisch. Zum einen erzeugten sie mit dem Verkauf von E-Autos die Nachfrage, zum anderen sei es mit Blick auf die weitere Entwicklung entscheidend, nicht nur Ladesäulen zu errichten, sondern diese auch in ein Gesamtsystem aus E-Mobilität und erneuerbaren Energien zu integrieren. Dazu brauche es vor allem innovative Lösungen wie Smart Charging und bidirektionales Laden. Diese ließen sich nur in enger Zusammenarbeit der Originalteileherstellern (OEM) mit Energieunternehmen und anderen Branchenakteuren umsetzen. „Hier muss sich das Tempo deutlich beschleunigen“, so Lohrisch. 

Rabatt für Stromer 

Der Druck auf die Ladenetzstrategen wird nun zusätzlich erhöht durch erhebliche und vielfache Preisnachlässe für E-Autos. So können sich Verbraucher in Europa und Deutschland derzeit über niedrigere Preise bei Elektroautos freuen. Das ergab eine Auswertung der Unternehmensberatung „PWC Strategyund“. Nachdem Corona und Chip-Lieferengpässe lange für hohe Preise gesorgt hatten, dreht sich der Trend gerade, kommentiert die „Welt“. Die Autohersteller gewähren demnach Käufern von Elektroautos in Deutschland zunehmend Preisnachlässe. Der Studie zufolge stieg der durchschnittliche Rabatt für Stromer im Premiumsegment von Juni bis Juli um ein Viertel auf 14 Prozent. Im mittleren Segment sei der Durchschnittsrabatt um ein Drittel auf elf Prozent. „Lediglich im Volumenmarkt, in dem weiterhin die höchsten staatlichen Kaufprämien locken, blieben die Rabatte weitgehend gleich“ bei neun bis zehn Prozent, zitiert die Zeitung PwC.  

Rabattschlacht bei batteriegestützten Elektrofahrzeugen 

Im Kampf um Marktanteile lieferten sich die Autobauer eine Rabattschlacht bei batteriegestützten Elektrofahrzeugen (Battery Electric Vehicle, BEV), die nun Europa erreicht“, erklärten die Branchenexperten. Die Daten zeigten, dass die Autobauer am deutschen Markt verstärkt auf Rabatte setzen und diese für BEVs gewähren. Mit 16 Prozent Anteil an Zulassungen seien die Stromer an der Schwelle zum Massenmarkt. Damit herrschten im Elektrosegment „normale Marktbedingungen mit allem, was dazu gehört“, so PwC-Branchenexperte Felix Kuhnert laut „Welt“. Die Early-Adopter und Überzeugungskäufer hätten sich eingedeckt. „Nun greifen die Mainstreamkäufer zu, die jedoch härtere Kriterien hinsichtlich Produkt und Preis anlegen“, erklärt Kuhnert. 

Steigender BEV-Absatz in wichtigen Märkten 

In fast allen wichtigen Märkten wuchs der BEV-Absatz laut PwC-Studie weit stärker als der gesamte Light-Vehicle-Markt. In den zehn westeuropäischen Fokusmärkten stieg der BEV-Absatz im zweiten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 49 Prozent, während der Gesamtmarkt um 17 Prozent wuchs. In den USA lagen die entsprechenden Prozentsätze bei 67 Prozent  bzw. 19 Prozent, in China bei 49 Prozent bzw. 29 Prozent. Tatsächlich war der einzige analysierte große Markt, in dem das Wachstum von BEV und dem gesamten Antriebsstrang in irgendeiner Weise vergleichbar war, Italien. Hier waren die Zahlen fast identisch (rund 19,5 Prozent). Das BEV-Wachstum selbst sei für einen Großteil des gesamten Umsatzanstiegs im Antriebsstrang in vielen Märkten verantwortlich. Vergleiche man das BEV-Wachstum mit dem Anstieg der Verkäufe von konventionellen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor, seien die Ergebnisse noch deutlicher:  

  • mit 49 Prozent gegenüber acht Prozent in den zehn westeuropäischen Fokusmärkten,  
  • mit 49 Prozent gegenüber 20 Prozent  in China und  
  • 67 Prozent  gegenüber 14 Prozent in USA. 

Reifegrad des BEV-Marktes 

Das Wachstum des jeweiligen BEV-Marktes hängt in hohem Maße von seinem Reifegrad ab. Seit Jahresbeginn ist der BEV-Markt in Norwegen im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Jahr 2022 nur um zwei Prozent gewachsen. Das offensichtliche Stagnieren des Marktwachstums überrascht die Marktforscher indes wenig, wenn man bedenkt, dass der BEV-Marktanteil bereits 83 Prozent erreicht habe. Das Gegenteil sei bei den BEV-Märkten zu beobachten, die nur langsam in Schwung gekommen seien. In Indien und Türkei liegt der Marktanteil von BEVs bei nur etwa zwei Prozent. Die BEV-Verkäufe seien im ersten Halbjahr 2023 um 139 Prozent bzw. 341 Prozent gestiegen. Bezeichnenderweise liege der BEV-Marktanteil in Frankreich, Deutschland und Großbritannien, den drei größten europäischen Märkten, bei rund 16 Prozent  und gilt weithin als der Wendepunkt, an dem die Mainstream-Verbraucher den Kauf eines BEV ernsthaft in Betracht ziehen. Angesichts der Tatsache, dass die Dynamik des BEV-Absatzwachstums daher wahrscheinlich zunehmen werde, positionieren sich die OEMs, um davon zu profitieren, indem sie Rabatte und neue Produkte anbieten. 

Rohstoffpreise steigen wieder 

Die Rabatte belasten allerdings die Gewinnmargen. Zudem stiegen die Preise für Lithium und andere Rohstoffe wieder. Die deutschen Autobauer würden in einen Preiskampf gezwungen, den sie nur bestehen könnten, wenn sie Puffer bei den Kosten hätten. In Deutschland gebaute Stromer seien rund 40 Prozent teurer als die gleichen Modelle, die in China gebaut und verkauft würden. Chinesische Autokonzerne verkauften ihre Stromer in Deutschland ebenfalls rund 40 Prozent teurer als in China, wo es gerade weitere Preissenkungen gegeben habe.  

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)