19.10.2021

Anforderungen an Flucht- und Rettungswege

Arbeitgeber sind verpflichtet, ihren Beschäftigten jederzeit eine Flucht aus einem durch einen Schadensfall gefährdeten Bereich der Arbeitsstätte zu ermöglichen. So sorgen Sie dafür, dass Ihre Flucht- und Rettungswege ihre lebensrettende Funktion im Ernstfall auch erfüllen können.

Fluchtweg

Die Anforderungen, die Flucht- und Rettungswege erfüllen müssen, sind nicht gerade niedrig:

  • Beschäftigte müssen Verkehrswege, Flucht- und Rettungswege sowie Notausgänge jederzeit nutzen können.
  • Das bedeutet, dass diese nicht abgeschlossen, zugestellt oder schlecht zu erreichen sein dürfen.
  • Darüber hinaus müssen Flucht- und Rettungswege bestimmten baulichen Anforderungen genügen.
  • Der Arbeitgeber steht in der Pflicht, gemäß den einschlägigen Arbeitsstättenregeln einen Flucht- und Rettungsplan aufzustellen und auszuhängen oder auszulegen.
  • Beschäftigte müssen in regelmäßigen Abständen durch Flucht- und Rettungsübungen (Räumungsübungen) geschult werden. Normalerweise bereitet der Brandschutzbeauftragte diese Übungen vor.

Definition Flucht- und Rettungsweg

  • Ein Fluchtweg ist ein Weg, über den Menschen eine bauliche Anlage im Notfall schnell und sicher verlassen können. Ein Fluchtweg führt ins Freie oder in einen gesicherten Bereich. Er dient vor allem der Selbstrettung.
  • Beim Rettungsweg dagegen geht es ganz grundsätzlich um die Fremdrettung. Einsatzkräfte wie z.B. die Feuerwehr können über einen Rettungsweg verletzte Personen in Sicherheit bringen. Auch die Brandbekämpfung ist über Rettungswege möglich.

Jetzt wird es kompliziert: Unterschiedliche Rechtsgebiete und -verordnungen verwenden die Begriffe nämlich in  unterschiedlichen Kontexten.

Die Bauordnungen fassen die beiden Begriffe unter „Rettungsweg“ zusammen. Der Rettungsweg ist hier also gleichzeitig ein Fluchtweg

Die Sonderbauverordnungen hingegen unterscheiden zwischen Flucht- und Rettungsweg. Rettungswege sind demnach Wege, die ausschließlich von Rettungskräften zum Zwecke der Fremdrettung sowie Brandbekämpfung betreten werden dürfen.

Im Arbeitsschutzrecht haben Fluchtwege einen anderen Fokus als im Bauordnungsrecht. Gemäß der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) und ihren Regeln (ASR) führen Fluchtwege ins Freie oder in einen gesicherten Bereich – genau wie die im Bauordnungsrecht definierten Rettungswege. Das Arbeitsschutzrecht stellt allerdings die Selbstrettung der Beschäftigten in den Vordergrund. Es formuliert keine Randbedingungen zur Nutzung der Wege durch Rettungskräfte, wie das im Baurecht der Fall ist.

Bestandteile von Rettungswegen

Zum Rettungsweg in einem Objekt zählen baurechtlich folgende Komponenten:

  • notwendige Flure
  • notwendige Treppen und (Sicherheits-)Treppenräume
  • offene Gänge (Laubengänge)
  • Rettungsbalkone
  • Rettungstunnel
  • Ein- und Ausgänge ins Freie

Erfordernisse an Rettungswege aus den Bauvorschriften

Die Bauvorschriften stellen folgende Anforderungen an Rettungswege:

  • Jede Nutzungseinheit mit mindestens einem Aufenthaltsraum muss in jedem Geschoss mindestens zwei voneinander unabhängige Rettungswege haben.
  • Nur wenn es ein Sicherheitstreppenhaus gibt, ist solch ein zweiter Rettungsweg nicht notwendig.

Für den ersten Rettungsweg gilt:

  • Der erste Rettungsweg in allen Objekten mit mehreren Stockwerken ist über Flure und Treppen zu realisieren.
  • Bei ebenerdigen Objekten besteht der erste Rettungsweg entsprechend nur aus Ein- und Ausgang mit zugehörigen notwendigen Fluren.

Für den zweiten Rettungsweg gilt:

Der zweite Rettungsweg kann über eine weitere notwendige Treppe führen (zweiter baulicher Rettungsweg) oder durch Rettungsgeräte der Feuerwehr realisiert werden. In letzterem Fall muss allerdings eine geeignete anleiterbare Stelle (ggf. auch mehrere) am Objekt vorhanden sein und die Feuerwehr muss über ein entsprechendes Rettungsgerät verfügen.

Kommt der zweite Rettungsweg nur durch das Eingreifen der Feuerwehr zustande, hat das zwei gravierende Nachteile:

  • Eine sofortige Selbstrettung ist nicht möglich, weil auf das Eintreffen der Feuerwehr gewartet werden muss.
  • Die Rettungsraten über Leitern der Feuerwehr sind erheblich niedriger als über bauliche Rettungswege.

Über den Rettungsweg müssen generell Personen, die sich in den anliegenden Nutzungseinheiten befinden, das Gebäude im Gefahrenfall schnellstens verlassen können und die Feuerwehr muss die Möglichkeit haben, zügig einen Angriff vortragen zu können. Dies führt insbesondere bei Objekten, in denen zahlreiche Personen zu erwarten sind, wie z.B. Versammlungsstätten oder Verkaufsstätten, zu vielen weiteren Anforderungen, vor allem an die bauliche Ausführung von Rettungswegen. Diese materiellen Anforderungen sind in den Landesbauordnungen und Sonderbauverordnungen insbesondere unter den Paragrafen-Überschriften „Treppenräume“, „Treppen“, „Notwendige Flure und Gänge“ sowie „Rettungswege“ zu finden.

Bauteile von Rettungswegen

Damit Menschen Rettungswege auch bei einem Brand noch lange nutzen können, müssen die Bauteile von Rettungswegen eine erhöhte Feuerwiderstandsqualität haben. Verkleidungen, Fußbodenbeläge und Einbauten in Rettungswegen dürfen in der Regel nur aus nicht brennbaren Baustoffen bestehen.

Keine Brandlasten in Rettungswegen

In Rettungswegen dürfen sich keine brennbaren Materialien befinden.

Rauchabführung in Rettungswegen

Rettungswege sollten möglichst über eine Rauchabführung verfügen. Nicht nur Flüchtenden ohne Atemschutz erleichtert das die Flucht. Auch Feuerwehrkräfte mit Atemschutz können bei raucharmen Rettungswegen schneller und effektiver eingreifen.

Länge der Rettungswege

So kurz wie möglich sollten Rettungswege sein. Darüber hinaus kann dem Brandschutzbeauftragten folgendes Schema helfen, um die maximal zulässigen Rettungsweglängen zu ermitteln:

1. Schritt: Recherchieren der allgemeinen gesetzlichen Grundlage für Rettungsweglängen
Rettungsweglängen sind nur für den ersten (baulichen) Rettungsweg vorgegeben. Die maximale Rettungsweglänge hängt von der Gebäudeart ab. Daher finden sich nicht nur in den Landesbauordnungen, sondern auch in den einschlägigen Sonderbauvorschriften davon abweichende Maximalwerte für die Rettungsweglänge. Darüber hinaus können aus Vorschriften des Arbeitsstättenrechts kürzere Rettungsweglängen resultieren.

2. Schritt: Feststellung der Bestandteile eines Rettungswegs
Der Rettungsweg besteht grundsätzlich aus horizontalen und vertikalen Anteilen. Dies sind insbesondere notwendige Flure und notwendige Treppen. Für den konkreten Fall sind die zu berücksichtigenden Anteile der Rettungsweglänge auszuwählen. Die gesamte Rettungsweglänge ergibt sich dann aus der Addition der Anteile.

3. Schritt: Festlegung, was unter der Lauflänge eines Rettungswegs verstanden wird
Die Rettungsweglänge wird in der Regel als Entfernung von jeder Stelle eines Raums bis zum Ausgang ins Freie oder zum Ausgang in einen notwendigen Treppenraum definiert. In den Rechtsvorschriften finden sich allerdings im Wesentlichen drei unterschiedliche Messmethoden zur Festlegung der Rettungsweglänge:

  • tatsächliche Lauflänge
  • Entfernung in der Luftlinie
  • Entfernung in der Luftlinie, jedoch nicht durch Bauteile zu messen

4. Schritt: Auswahl der einschlägigen Gebäudeart
Die folgende Tabelle listet die häufigsten Gebäudearten auf und gibt die Fundstelle für die zu dieser Gebäudeart gehörenden maximalen Rettungsweglänge an:

Gebäudeart Fundstelle der Rettungsweglängenfestlegung
Wohn- und Bürogebäude Landesbauordnung → 35 m
Hochhäuser Sonderbauverordnung bzw. Richtlinie für Hochhäuser → 35 m
Verkaufsstätten Sonderbauverordnung für Verkaufsstätten → 25 m
Versammlungsstätten Sonderbauverordnung für Versammlungsstätten → 30 m bis 60 m
Beherbergungsstätten Sonderbauverordnung für Beherbergungsstätten → 35 m
Krankenhäuser Sonderbauverordnung für Krankenhäuser → 30 m
Garagen Sonderbauverordnung für Garagen → 30 m bzw. 50 m
Schulen Sonderbauverordnung bzw. Richtlinie für Schulen → 35 m
Industriebauten Industriebaurichtlinie → 35 m bis 70 m
Straßentunnel Richtlinie für die Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln (RABT) → 150 m
U-Bahn-Tunnel Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung (BOStrab) → 300 m

5. Schritt: Bestimmung der maximalen Rettungsweglänge
Anhand der in Schritt 4 benannten Sonderbauvorschriften kann die individuelle maximale Rettungsweglänge bestimmt werden.

Rettungswegbreite

Die Mindestbreite der Rettungswege definieren die Landesbauordnungen und Sonderbauverordnungen meist über die Mindestbreite notwendiger Flure und notwendiger Treppen.

Beispielhaft gilt für die Rettungswegbreite in Versammlungsstätten: Für 200 auf den Rettungsweg angewiesene Personen müssen 1,20 m Rettungswegbreite zur Verfügung stehen. Vergrößerungen sind nur in Schritten von 0,60 m möglich.

Die regelmäßig geforderte Breite von Rettungswegen in Verkaufsstätten beträgt 2 m. Wenn Verkaufsräume nicht größer sind als 500 m2, genügt eine Breite von 1 m.

Rechtlicher Rahmen für Rettungswege in Arbeitsstätten

Neben den baurechtlichen Vorschriften gelten für Arbeitsstätten zudem bundesweit gültige Anforderungen an Fluchtwege aus dem Arbeitsstättenrecht. Dies sind insbesondere § 4 Abs. 4 Arbeitsstättenverordnung und die Technische Regel für Arbeitsstätten ASR A2.3 „Fluchtwege und Notausgänge, Flucht- und Rettungsplan“.

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Autor*in: Georg Spangardt