20.05.2015

Privatanzeige einer Ordnungswidrigkeit

Die folgenden Fallbeispiele zeigen auf, dass nicht alle Ordnungsämter wissen, wie sie mit Anzeigen umgehen, in denen Bürger auf Ordnungswidrigkeiten hinweisen.

Reichsbürger
Im absoluten Haltverbot mit Behinderung von Passanten geparkt.
Im absoluten Haltverbot mit Behinderung von Passanten geparkt.

Fall 1: Parken auf Gehweg vor Grundstückseinfahrt

Ein PKW parkte im absoluten Halteverbot und auf einem Gehweg direkt vor einer Grundstückseinfahrt. Passanten mussten bei Schnee- und Eisglätte auf die Straße ausweichen, um ihren Weg fortzusetzen. Ein Bürger fotografierte das parkende Kfz. Die Fotos legte er dem Ordnungsamt als zuständiger Verwaltungsbehörde (VB) vor. Seiner Anzeige fügte er die Anschrift einer Zeugin bei, die den Tathergang bestätigen konnte.

Das Ordnungsamt antwortete dem Bürger, das Verfolgen von Ordnungswidrigkeiten sei eine hoheitliche Aufgabe und könne nicht Privatpersonen überlassen werden. Der Anzeige könne daher nicht nachgegangen werden, von künftigen Anzeigen solle er absehen.

Fall 2: Parken in einer Kurve

Am Ortsausgang einer Gemeinde parkte wiederholt über einen längeren Zeitraum ein LKW in einer Kurve. Die Verkehrssicherheit war gefährdet, weil der Gegenverkehr nicht gesehen werden konnte. Außerdem kam es zu gefährlichen Ausweichmanövern. Der Autor fotografierte diese Situation und informierte das Ordnungsamt.

Geparkter LKW behindert den Verkehr
Ein geparkter LKW behindert den Verkehr.

Das Ordnungsamt antwortete: „Unter Anwendung der Grundregel der StVO ist eine gefahrlose Regelung des Verkehrs durch die Verkehrsteilnehmer selbst möglich“.

Wurden in beiden Fällen Tatbestände erfüllt, die mit einer Geldbuße bedroht sind?

Im Fall 1 verstößt das Parken auf Gehwegen gegen § 14 Abs. 4a StVO. Das Parken auf dem Gehweg ist nur dann erlaubt, wenn dies durch das Verkehrszeichen 315 angeordnet ist. Das Verbot gilt auch für den Eigentümer oder Pächter eines Grundstücks, wenn der Gehweg über sein Grundstück führt. Weil kein Zeichen 315 aufgestellt war, lag ein Verstoß gegen § 14 Abs. 4a StVO vor. Außerdem wurde in Tateinheit gegen § 12 Abs. 1 Nr. 6a StVO (Parken im absoluten Halteverbot) sowie § 12 Abs. 1 LOWiG Baden-Württemberg (Parken vor einer Grundstückseinfahrt) verstoßen.

Auch im Fall 2 wurde der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllt. Nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 StVO ist das Halten an engen und an unübersichtlichen Straßenstellen sowie im Bereich scharfer Kurven ohne Ausnahme untersagt. „Unübersichtlich“ ist eine Straßenstelle, wenn der Führer eines Fahrzeuges wegen einer Sichtbehinderung nicht mehr zuverlässig beurteilen kann, ob die Fahrbahn der vor ihm liegenden Strecke frei ist.

Das Verbot gilt kraft Gesetzes, das Aufstellen eines Verkehrszeichens ist nicht erforderlich.

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Wie hätten die Ordnungsämter auf die Anzeigen reagieren müssen?

Grundsätzlich werden Bußgeldverfahren von den VB von Amts wegen nach Ermessen eingeleitet (§ 47 Abs. 1 OWiG).

Erfährt die VB durch eine Anzeige einer Privatperson vom Anfangsverdacht einer Ordnungswidrigkeit, ist diese eine Anregung an die VB, wegen des bekannt gewordenen Sachverhalts ein Bußgeldverfahren einzuleiten.

Für Anzeigen einer Ordnungswidrigkeit ist § 158 StPO sinngemäß anzuwenden. Wie bei von Amts wegen bekannt gewordenen Sachverhalten hat die VB zu prüfen, ob genügend Anhaltspunkte aufgezeigt werden, die auf das tatsächliche Begehen einer Ordnungswidrigkeit hindeuten (§ 152 Abs. 2 StPO i.V. mit § 46 Abs. 1 OWiG).

Hierbei ist kein Ermessen eröffnet! Die VB muss tätig werden, um den Sachverhalt auf Hinweise für das Erfüllen eines Bußgeldtatbestands zu untersuchen.

Ergeben sich solche Anhaltspunkte, muss die VB nun weiter prüfen, ob Verfolgungshindernisse bestehen, z.B. ob die Ordnungswidrigkeit nach § 31 OWiG bereits verjährt ist.

Liegt kein Verfolgungshindernis vor, hat die VB nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob sie die Ordnungswidrigkeit verfolgen oder das Verfahren nach § 47 Abs. 1 Satz 1 OWiG einstellen will.

Haben die Ordnungsämter richtig auf die Anzeigen reagiert?

In beiden Fällen ist aus den Reaktionen der Ordnungsämter nicht zu erkennen, dass sie wie zuvor dargestellt vorgegangen sind. Die Antworten weisen vielmehr auf Defizite beim Ausüben des Ermessens hin.

Kriterien für das Ausüben des Ermessens könnten z.B. sein:

  • Bedeutung des verletzten Rechtsguts
  • Schutzgedanke der verletzten Rechtsvorschrift
  • Drohen Wiederholungs- oder Nachahmungstaten?
  • Gefährdung von Dritten oder erhebliche Einschränkung ihrer Rechte
  • Auswirkungen der Tat (hoher oder geringer Schaden)
  • Grundsatz der Gleichbehandlung (Gibt es bereits Entscheidungen in gleich gelagerten Fällen?)
  • Besteht ein öffentliches Interesse an der Verfolgung der Handlung, oder sollen private Streitigkeiten ausgetragen werden?

Auswirkungen auf die Verwaltungspraxis

Leider hat sich die Polizei aus der Fläche zurückgezogen. Den Politikern war es wichtiger, teure Präsidien zu errichten, als für die Sicherheit der Bürger zu sorgen. Die Ordnungsämter sind wegen der Personalknappheit ebenfalls selten im Außendienst. Das haben die Bürger schon längst verinnerlicht und verhalten sich entsprechend: Überhängende Äste, unzulässiger Lärm, Betrieb von Maschinen in den Schutzzeiten, verbotswidrige abgestellte Fahrzeuge und im Winter nicht geräumte Gehwege sind überall an der Tagesordnung.

Die Ordnungsämter sollten daher Anregungen der Bürger, die ordnungswidriges Verhalten aufzeigen, grundsätzlich aufgreifen und ihnen nachgehen. Dokumentieren Sie das Ausüben des Ermessens und geben Sie an, welche Kriterien ausschlaggebend für Ihre Entscheidungen waren.

Denken Sie daran: Der Bürger möchte ernst genommen und respektiert werden. Genau das ist aus den Antworten der Ordnungsämter nicht zu erkennen. Im Fall 1 hat der Bürger gegen das Zurückweisen seiner Anzeige Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben. Diese wurde vom Bürgermeister als Dienstvorgesetzen zurückgewiesen. Der Bürger hat mit einer Rechts- und Fachaufsichtsbeschwerde auf das Zurückweisen der Dienstaufsichtsbeschwerde reagiert, die nun vom Regierungspräsidium Stuttgart bearbeitet wird. Die Gemeinde muss jetzt eine Stellungnahme abgeben und die Akten an das Regierungspräsidium übersenden. Hätte die Gemeinde mehr Zeit aufgewandt, um der Anzeige nachzugehen, hätte sie jetzt weniger Aufwand.

Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)