02.11.2017

Obdachlosenunterbringung: Anspruch für Unionsbürger?

Ein Unionsbürger kann als Selbsthilfemaßnahme zur Abwendung einer Obdachlosigkeit nur dann auf eine Rückreisemöglichkeit in sein Herkunftsland verwiesen werden, wenn dort tatsächlich vorübergehende Unterkunftsmöglichkeiten gegeben sind (VG München, Beschluss vom 09.08.2017, Az. M 22 E 17.3587).

Obdachlosenunterbringung Unionsbürger

Der bulgarische Kläger, wohnhaft seit längerer Zeit im Zuständigkeitsbereich der beklagten Gemeinde, wurde dort obdachlos. Eine Rückreise nach Bulgarien lehnte er ab. Er begehrte eine Obdachlosenunterbringung durch die Gemeinde im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes.

Das Verwaltungsgericht gab dem Begehren statt.

Entscheidungsgründe

  • Der Antrag des bulgarischen Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihn im Rahmen der Obdachlosenfürsorge unterzubringen, ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
  • Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller zur Behebung der Obdachlosigkeit eine Notunterkunft zuzuweisen und vorläufig bis zum … zur Verfügung zu stellen.
  • Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung liegen hier vor. Der Antragsteller hat einen gegen die Antragsgegnerin gerichteten Anordnungsanspruch auf (vorläufige) Unterbringung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit. Die Gemeinden sind verpflichtet, im Rahmen der Gefahrenabwehr unfreiwillige Obdachlosigkeit zu beseitigen.
  • Die örtliche Zuständigkeit für die erforderliche Amtshandlung im Bereich der Gefahrenabwehr liegt dabei dort, wo die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. Unerheblich ist, wo der Antragsteller gemeldet ist oder war oder wo er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte.
  • Der Kläger verfügt über keine aus eigenen Mitteln zu erlangende Wohnmöglichkeit (Selbsthilfemaßnahmen), und er hat insoweit einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf sicherheitsrechtliches Tätigwerden.
  • Insbesondere kann der Antragsteller auch nicht auf das Mittel der Selbsthilfe in Form einer sofortigen, durch die Antragsgegnerin finanzierten Rückreisemöglichkeit in sein Herkunftsland Bulgarien verwiesen werden. Eine die Unterbringung ausschließende Selbsthilfemöglichkeit dieser Art würde voraussetzen, dass im Herkunftsland tatsächlich vorübergehende Unterkunftsmöglichkeiten gegeben sind, sei es in Form einer eigenen oder gemieteten Wohnung oder weil der Antragsteller vorübergehend Aufnahme bei im Herkunftsland ansässigen Familienangehörigen finden kann. Diese Voraussetzungen sind hier nicht ersichtlich.
  • Dem Zweck einer einstweiligen Anordnung entsprechend wurde die Verpflichtung zur Unterbringung des Antragstellers befristet. Während dieser Zeit können weitere Fragen geklärt werden.

 

Autor*in: Georg Huttner (Oberamtsrat a.D. Georg Huttner ist Autor für die Titel Ordnungsamts- und Gewerbeamtspraxis.)