07.08.2017

Obdachlose haben Anspruch auf ganztägige Unterbringung

Nach ständiger Rechtsprechung liegt der für die örtliche Zuständigkeit entscheidende Anlass für die Amtshandlung im Bereich der Gefahrenabwehr dort, wo die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. Obdachlose haben grundsätzlich einen Anspruch auf ganztägige Unterbringung, der durch das Angebot einer (bloßen) Nächtigungsmöglichkeit im Rahmen eines Kälteschutzprogramms nicht erfüllt wird (VGH München, Beschluss v. 04.04.2017, Az. 4 CE 17.615).

Obdachlose, Unterbringung

Die Antragsgegnerin wendet sich gegen eine einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts, mit der sie verpflichtet wurde, der Antragstellerin vorläufig eine Obdachlosenunterkunft zuzuweisen. Die Antragstellerin wohnte bis zum Herbst 2016 in der Gemeinde G.; nach dem Verlust ihrer dortigen Wohnung kam sie bei einer Bekannten in der Gemeinde H. unter. Deren Wohnung musste sie verlassen. Die Antragstellerin begab sich daraufhin in das Stadtgebiet der Antragsgegnerin, wo sie fünf Tage lang ein Zimmer in einer Pension anmietete. Nachdem ihre finanziellen Mittel aufgebraucht waren, beantragte sie bei der Antragsgegnerin eine obdachlosenrechtliche Unterbringung, die diese ablehnte.

Das Verwaltungsgericht verpflichtete die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung dazu, der Antragstellerin zur Behebung ihrer Obdachlosigkeit eine Unterkunft zuzuweisen und vorläufig zur Verfügung zu stellen.

Hiergegen richtet sich die eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der diese insbesondere ihre örtliche Zuständigkeit zur Unterbringung der Antragstellerin bestreitet.

Die Beschwerde wurde zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

  • Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des VG hat keinen Erfolg.
  • Die Antragsgegnerin ist für die obdachlosenrechtliche Unterbringung der Antragstellerin örtlich zuständig, weil die Obdachlosigkeit im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin eingetreten ist. Nach ständiger Rechtsprechung liegt der für die örtliche Zuständigkeit entscheidende Anlass für die Amtshandlung im Bereich der Gefahrenabwehr dort, wo die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. Die Gefahr für Leib und Leben liegt deshalb dort, wo die Gefahr eintritt. Maßgeblich ist also nicht, wo die Antragstellerin gemeldet ist oder war bzw. wo sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte, sondern wo sie obdachlos geworden ist.
  • Eine rechtsmissbräuchliche Handlung der Antragstellerin ist nicht ersichtlich.
  • Ob der derzeitige Aufenthalt der Antragstellerin bekannt ist, ist Unmaß gebend. Eine Pflicht zur täglichen bzw. regelmäßigen Vorsprache bei der Antragsgegnerin während des laufenden Antragsverfahrens auf obdachlosenrechtliche Unterbringung besteht nicht. Eine Zustellung des erstinstanzrechtlichen Beschlusses war möglich. Die Mutmaßungen der Antragsgegnerin, dass die Antragstellerin entweder ortsabwesend ist oder inzwischen über eine anderweitige Unterkunft verfügt, sind vor diesem Hintergrund spekulativ und nicht durch entsprechendes Tatsachenvorbringen belegt.
  • Die von der Antragsgegnerin in den Wintermonaten nach ihren eigenen Ausführungen angebotene (bloße) Nächtigungsmöglichkeit lässt weder Anordnungsanspruch noch Anordnungsgrund entfallen, weil Obdachlose grundsätzlich Anspruch auf ganztägige Unterbringung haben. Im Übrigen werden die von der Antragsgegnerin belegbaren Kälteschutzräume nur für die kurzfristige Notaufnahme von nicht obdachlosenrechtlich unterzubringenden Personen vorgehalten, während die Antragstellerin nach den obigen Ausführungen gerade zum Kreis der von der Antragsgegnerin zu versorgenden Obdachlosen gehört.
Autor*in: Georg Huttner (Oberamtsrat a.D. Georg Huttner ist Autor für die Titel Ordnungsamts- und Gewerbeamtspraxis.)