29.04.2020

Gottesdienstverbot muss verhältnismäßig sein

Ein Gottesdienstverbot bedarf als überaus schwerwiegender Eingriff in die Glaubensfreiheit einer fortlaufenden strengen Prüfung seiner Verhältnismäßigkeit anhand der jeweils aktuellen Erkenntnisse (BVerfG, Beschluss vom 10.04.2020, Az. 1 BvQ 28/20).

Gottesdienstverbot

Sachverhalt

Der Antragsteller ist katholischen Glaubens und besucht regelmäßig die Heilige Messe. Er hat unter Bezugnahme auf Aussagen der Kirche und des Katechismus nachvollziehbar dargelegt, dass die gemeinsame Feier der Eucharistie nach katholischer Überzeugung ein zentraler Bestandteil des Glaubens ist, deren Fehlen nicht durch – nach wie vor zulässige – alternative Formen der Glaubensbetätigung wie die Übertragung von Gottesdiensten im Internet oder das individuelle Gebet kompensiert werden kann. Das BVerfG lehnte eine Verfassungsbeschwerde ab.

Grundrecht Religionsfreiheit

Das BVerfG hat das Verbot von Zusammenkünften in Kirchen nach der Corona-Verordnung des Landes Hessen als überaus schwerwiegenden Eingriff in die Glaubensfreiheit gewertet. Das gilt nach den plausiblen Angaben des Antragstellers verstärkt, soweit sich das Verbot auch auf Eucharistiefeiern während der Osterfeiertage als dem Höhepunkt des religiösen Lebens der Christen erstreckt. Damit sind die Nachteile für den Fall, dass die begehrte einstweilige Anordnung nicht ergeht, eine Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, überaus schwerwiegend und nach dem Glaubensverständnis des Antragstellers auch irreversibel.

Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz

Bei einer antragsgemäßen vorläufigen Außervollzugsetzung des Verbots von Zusammenkünften in Kirchen versammelten sich demgegenüber voraussichtlich sehr viele Menschen in Kirchen, gerade auch über die Osterfeiertage. Damit würde sich die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der Erkrankung vieler Personen, der Überlastung der gesundheitlichen Einrichtung bei der Behandlung schwerwiegender Fälle und schlimmstenfalls des Todes von Menschen nach der maßgeblichen Risikoeinschätzung des Robert-Koch-Instituts vom 26. März 2020 erheblich erhöhen, obwohl dies im Fall der Erfolglosigkeit einer Verfassungsbeschwerde durch ein Gottesdienstverbot in verfassungsrechtlich zulässiger Weise hätte vermieden werden können. Diese Gefahren blieben dann auch nicht auf jene Personen beschränkt, die freiwillig an den Gottesdiensten teilgenommen haben, sondern erstreckten sich auf einen erheblich größeren Personenkreis.

Abwägung der Grundrechte

Nach Auffassung des BVerfG hat der Schutz vor diesen Gefahren für Leib und Leben derzeit trotz des damit verbundenen überaus schwerwiegenden Eingriffs in die Glaubensfreiheit Vorrang vor dem Schutz dieses Grundrechts. Nach der Bewertung des Robert-Koch-Instituts kommt es in dieser frühen Phase der Corona-Pandemie darauf an, die Ausbreitung der hoch infektiösen Viruserkrankung durch eine möglichst weitgehende Verhinderung von Kontakten zu verlangsamen, um ein Kollabieren des staatlichen Gesundheitssystems mit zahlreichen Todesfällen zu vermeiden.

Künftige Folgenabwägung erforderlich

Das BVerfG stellt klar, dass für die Folgenabwägung auch die Befristung der Corona-Verordnung von Bedeutung ist. Damit ist sichergestellt, dass die Verordnung unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen der Corona-Pandemie fortgeschrieben werden muss. Bei jeder Fortschreibung der Verordnung muss mit Blick auf den mit einem Gottesdienstverbot verbundenen überaus schwerwiegenden Eingriff in die Glaubensfreiheit eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit erfolgen und untersucht werden, ob es angesichts neuer Erkenntnisse etwa zu den Verbreitungswegen des Coronavirus oder zur Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems verantwortet werden kann, das Verbot von Gottesdiensten unter – gegebenenfalls strengen – Auflagen und möglicherweise auch regional begrenzt zu lockern.

Beschluss ist auch auf andere Religionsgemeinschaften anzuwenden

Das BVerfG weist abschließend darauf hin, dass Gleiches auch für andere Religionsgemeinschaften gilt, die durch das Verbot von Zusammenkünften vergleichbar schwerwiegend betroffen sind, weil für sie die gemeinsame Zusammenkunft ihrer Gläubigen ebenfalls zentraler Bestandteil ihres Glaubens ist.

Quelle: Pressemitteilung BVerfG

Hinweis

Es wird derzeit diskutiert, ob Gottesdienste unter bestimmten Voraussetzungen wieder stattfinden können. Die Behörden hätten bei einer Lockerung des Verbots jedoch weiter den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und eine Abwägung der Grundrechte vorzunehmen.

Siehe auch

Hess. VGH, Beschluss vom 07.04.2020, Az. 8 B 892/20.N): Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen usw. können untersagt werden. Untersagung von Zusammenkünften in Kirchen, Moscheen usw. in Zeiten der Corona-Pandemie wird nicht außer Vollzug gesetzt.

VG Berlin, Beschluss vom 07.04.2020, Az. VG 14 L 32/20: Gottesdienste dürfen in Berlin weiterhin nicht stattfinden. Zeitlich begrenztes Verbot von Gottesdiensten ist verhältnismäßig.

VGH Mannheim, Beschluss vom 07.04.2020, Az. 1 S 871/20: Eilantrag gegen Verbot von Veranstaltungen in Kirchen wird als unzulässig abgelehnt.

Autor*in: Georg Huttner (Oberamtsrat a.D. Georg Huttner ist Autor für die Titel Ordnungsamts- und Gewerbeamtspraxis.)