24.04.2019

Wann zählt ein Stromnetz als Kundenanlage – mit all ihren Vorteilen?

Rechtlich gesehen gilt eine Kundenanlage nicht als Energieversorgungsnetz gemäß § 3 Nr. 16 EnWG und wird deshalb nicht so streng reguliert. Der aus wirtschaftlicher Sicht wesentliche Aspekt in diesem Zusammenhang ist das Entfallen der netzgebundenen Entgelte bei einer Kundenanlage. Aber wer kann davon nun tatsächlich profitieren?

Kundenanlage oder Stromnetz öffentliche Versorgung?

Allgemeiner rechtlicher Hintergrund Kundenanlage

Gemäß der Legaldefinition des § 3 Nr. 24a EnWG handelt es sich bei einer Kundenanlage um eine Anlage zur Abgabe von Energie, die

  • sich auf einem räumlich zusammengehörenden Gebiet befindet
  • mit einem Energieversorgungsnetz oder mit einer Erzeugungsanlage verbunden ist
  • für die Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas unbedeutend ist und
  • jedermann zum Zwecke der Belieferung der angeschlossenen Letztverbraucher im Wege der Durchleitung zur Verfügung gestellt wird – unabhängig von der Wahl des Energielieferanten,  diskriminierungsfrei und unentgeltlich.

Bei all diesen Kriterien, die dem Wortlaut nach kumulativ vorliegen müssen, ist eine enge Auslegung erforderlich, da es sich um eine Ausnahme vom Regelfall des umfassend regulierten Energieversorgungsnetzes handelt.

Kritierien einer Kundenanlage

Räumlich zusammenhängendes Gebiet

Für die räumliche Zusammengehörigkeit ist eine innere Zusammengehörigkeit des Gebiets, insbesondere eine physische Verbundenheit der Infrastruktur erforderlich. Ein solches Gebiet kann sich auch über mehrere Gebäude und Grundstücke erstrecken, sofern das Gebiet aus Sicht eines objektiven Betrachters als einheitlich wahrgenommen wird. Die Querung durch Hauptverkehrswege stört in der Regel die Wahrnehmung als zusammengehörendes Gebiet, im Einzelfall aber nicht unbedingt die Querung durch Anliegerstraßen oder Straßen mit Erschließungscharakter – wenn sich in der Gesamtschau noch die Erscheinung als ein räumlich zusammengehörendes Gebiet rechtfertigen lässt.

Verbindung mit einem Energieversorgungsnetz und einer Erzeugungsanlage

Das Kriterium der Verbindung mit einem Energieversorgungsnetz oder einer Erzeugungsanlage wirft dagegen in der Regel keine wesentlichen Probleme auf.

Keine Bedeutung für den Wettbewerb

Ob die Kundenanlage dagegen unbedeutend für den Wettbewerb ist, kann und muss aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Grundsätzlich darf für diese ausnahmsweise kein Regulierungsbedürfnis bestehen, was mit Blick auf

  1. die Anzahl der angeschlossenen Letztverbraucher,
  2. die geografische Ausdehnung,
  3. die Menge der durchgeleiteten Energie und
  4. sonstige Merkmale

zu beurteilen ist.

Nach Einschätzung der Bundesnetzagentur (BNetzA) ist bei Überschreitung folgender Schwellen nicht mehr von einer Kundenanlage auszugehen:

Anzahl der Letztverbraucher

Ab 100 Letztverbrauchern kann nicht mehr ohne Weiteres vom Vorliegen einer Kundenanlage ausgegangen werden. Es ist dann eine Gesamtschau im Zusammenhang mit den übrigen Kriterien erforderlich. Ab 450–500 Letztverbrauchern liegt auch ohne Prüfung weiterer Kriterien ein umfassend reguliertes Energieversorgungsnetz vor. Das OLG Frankfurt dagegen hat in einem jüngeren Beschluss (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 08.03.2018, 11 W 40/16) sogar angenommen, dass bereits bei 397 versorgten Wohneinheiten keine Kundenanlage mehr vorliege, und nahm insofern eine absolute Betrachtung ohne vergleichende Wertung vor.

Geographische Ausdehnung der Energieanlage

Bei Ausdehnung über eine Fläche von mehr als 44.631 qm und mehr als 13–20 Grundstücken ist in der Zusammenschau mit der o.g. Anzahl an Letztverbrauchern das Ausmaß einer Kundenanlage in der Regel überschritten.

Menge durchgeleiteter Energie

Bei einer durchzuleitenden Energiemenge von mehr als 1,005 Mio. kWh ist in der Zusammenschau mit der o.g. Anzahl an Letztverbrauchern das Ausmaß einer Kundenanlage in der Regel überschritten.

Sonstige Merkmale

Als ein wesentliches sonstiges Merkmal ist zu prüfen, ob der Netzbetreiber sich klassischerweise wie ein solcher verhält, indem er beispielsweise mit seinen Letztverbrauchern Verträge schließt, die typische Regelungen von Netzverträgen enthalten.

Das Kriterium der diskriminierungsfreien und unentgeltlichen Zurverfügungstellung schließlich ist dann als erfüllt anzusehen, wenn jeder einzelne Letztverbraucher auch innerhalb der Kundenanlage seinen Energielieferanten frei wählen kann und von anderen Energielieferanten kein Nutzungsentgelt gefordert wird.

Fazit

Die Einordnung eines (kleinen) Stromnetzes als potenzielle Kundenanlage ist ebenso komplex wie wichtig, da diese Frage oft über die Wirtschaftlichkeit von Regionalstromkonzepten entscheiden dürfte. Wie sich unschwer erkennen lässt, wird letztendlich aber eine konkrete Prüfung für den jeweiligen Einzelfall unvermeidbar sein und sollte sehr sorgfältig vorgenommen werden.

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Autor*in: Tobias Röttger