26.07.2023

Pipelineaufrüstung Rostock-Schwedt

Einst im Mai hörte es sich noch wie Zukunftsmusik an: das Wendeversprechen für den Raffineriestandort Schwedt. Jetzt mehren sich die Anzeichen, dass die Wende von russischem Öl weg gelingen könnte. Die Öl-Pipeline von Rostock kann kommen. Die EU muss zustimmen.

Pipelineaufrüstung Rostock-Schwedt

Versorgungsweg für die PCK-Raffinerie 

400 Millionen Euro – so viel soll die Aufrüstung der alten Öl-Pipeline von Rostock nach Schwedt kosten. Sie ist seit Anfang 2023 ein wichtiger Versorgungsweg für die PCK-Raffinerie. Ihre Kapazitäten sind aber begrenzt. PCK-Geschäftsführer Ralf Schairer teilte jetzt nach einer Sitzung der Taskforce Schwedt des brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) vor Ort mit, dass man am 7. Juli beim Bund Förderantrag für Ertüchtigung der Pipeline vom Rostocker Hafen zur Raffinerie eingereicht habe. Die Auslastung der Raffinerieliege liegt derzeit bei 70 Prozent. Schairer im „Tagesspiegel“: „We are back in business, wir sind wieder im Geschäft.“ 

Schluss mit Drushba 

Für den Pipeline-Ausbau habe das PCK-Team „gut vorgearbeitet und die Planungen für die zeitkritischen Projekte aus dem Antrag bereits angestoßen. Aber es bleibt auf allen Seiten noch viel zu tun“, betonte Schairer. Bis zum Jahresbeginn hatte die mehrheitlich dem russischen Staatskonzern Rosneft gehörende Raffinerie in Schwedt, die Berlin, Brandenburg, weite Teile Ostdeutschlands und Westpolens mit Benzin und Diesel versorgt, über die Pipeline „Drushba“ allein Rohöl aus Russland bezogen und verarbeitet. 

PCK verarbeitete zu Hochzeiten früher jährlich eigenen Angaben zufolge etwa zwölf Millionen Tonnen Rohöl zu  

  • Benzin 
  • Kerosin 
  • Diesel 
  • Schwefel 
  • Heizölen 
  • Aromaten (Benzol, Toluol, Xylole) 
  • Flüssiggas 
  • Energie (Strom, Dampf) 
  • Bitumen   

Unterschiedliche Marktanforderungen 

Um den unterschiedlichen Marktanforderungen gerecht zu werden, produziert PCK rund 20 verschiedene Kraftstoff-Qualitäten. PCK nimmt für sich in Anspruch, eine der ersten Raffinerien in Deutschland gewesen zu sein, die Biokraftstoffe eingesetzt hat. Das Unternehmen ist selbst ein bedeutender Hersteller von hochwertigen Biokraftstoff-Komponenten. Die verwendeten Kraftstoffe seien schwefelfrei.  

Für die PCK-Raffinerie in Schwedt ist eine stabile Versorgung über die Öl-Pipeline von Rostock nach Schwedt notwendig, seitdem Anfang 2023 keine Öl-Lieferungen mehr aus Russland kommen. Die Bundesrepublik will die Pipeline der Raffinerie finanzieren. Die EU muss aber der Beihilfe für ein privatwirtschaftliches Unternehmen zustimmen. Bis Ende 2022 bezog PCK fast 60 Jahre lang russisches Erdöl über die Drushba-Pipeline, über die Deutschland zu 25 Prozent über eine ca. 5.000 km lange Rohölleitung mit Rohöl versorgt wurde. 

Ertüchtigungsprojekte Pipeline, Hafen und Raffinerie 

Das Management der Raffinerie PCK sei weiterhin mit den Eigentümern in einem Abstimmungsprozess über eine aktualisierte Liste an erforderlichen Ertüchtigungsprojekten mit Blick auf Pipeline, Hafen und Raffinerie. „Diese Maßnahmenliste und ein Förderantrag sollen laut Auskunft der PCK-Geschäftsführung dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) Mitte Juli vorgelegt werden“, zitiert dpa weiter aus der Antwort auf die Anfrage. Der Anteilseigner Shell habe Unterstützung signalisiert. Man unterstütze den Antrag und arbeite eng mit PCK zusammen, um die beihilferechtliche Antragstellung beim Bund einzureichen.  

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Wie der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Michael Kellner (Grüne), der Agentur weiter sagte, habe sich die Lage der Raffinerie PCK stabilisiert. Jetzt gelte es in tragfähige Zukunftstechnologien zu investieren und endlich die bestehende Pipeline-Infrastruktur zu ertüchtigen. „Dazu warten wir weiter auf den Antrag der PCK“, so Kellner. Die Vorlage des Antrages hatte sich verzögert. Eigentlich hätte sie schon bis Mai 2023 erfolgen sollen. Der Linken-Bundesstagabgeordnete Christian Görke kritisierte den Zeitverzug des Förderantrags. Er rechne mit der Pipelineertüchtigung nicht vor 2026. Linke wie PCK seien wegen der Unsicherheiten für einen Neubau einer Pipeline parallel zur alten statt deren Ertüchtigung. Das aber lehnt der Bund ab.  

Versorgung Nordostdeutschlands 

Die PCK-Raffinerie in Schwedt versorgt große Teile des Nordostens Deutschlands mit Treibstoff. versorgt, verarbeitete bis 2022 hauptsächlich Rohöl aus Russland. Im Zuge der Sanktionen gegen Russland beschloss die Bundesregierung laut dpa, auf russisches Öl zu verzichten. Seither bemühe man sich um neue Lieferwege neben dem Hafen Danzig durch die Pipeline von Rostock nach Schwedt. Die PCK ist eine Konsortialraffinerie mit den Gesellschaftern: 

  • Rosneft Deutschland GmbH mit 37,5 Prozent  
  • Shell Deutschland GmbH mit 37,5 Prozent  
  • AET Raffineriebeteiligungs-Gesellschaft mbH mit 25 Prozent bestehend aus Rosneft Refining & Marketing GmbH und Eni Deutschland GmbH  

Viele Fragen sind derzeit angesichts eines möglichen Eigentümerwechsels bei der PCK mit rund 1200 Mitarbeitern offen. „Unser Ziel ist es, Investoren zu finden, die langfristig interessiert sind am Standort“, so Kellner. Die Mehrheitseigner der PCK-Raffinerie, die beiden deutschen Tochterfirmen des russischen Ölkonzerns Rosneft, stehen unter Treuhandverwaltung der Bundes. Der hat seit dem Frühjahr mehr Handlungsspielräume bekommen, um Anteile von Unternehmen, die wie die Raffinerie PCK in Schwedt unter Treuhandverwaltung stehen, leichter veräußern zu können. Verkaufen wollen soll laut dpa etwa der Energiekonzern Shell seinen PCK-Anteil von 37,5 Prozent seit langem. In der Debatte um neue Eigentümerstrukturen waren bislang mehrere Unternehmensnamen im Gespräch. 

Rosneft vs. Bundesrepublik Deutschland 

Der staatlich beherrschte russische Ölkonzern Rosneft hält die Treuhandverwaltung über seine deutschen Töchter für rechtswidrig. Er klagt nach einer gerichtlichen Niederlage im April erneut gegen die Verlängerung der Treuhandverwaltung. Einen Verhandlungstermin vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gibt es bislang noch nicht. 

In den letzten 20 Jahren haben den Angaben zufolge die Gesellschafter zwei Milliarden Euro in das Unternehmen investiert – hauptsächlich für effiziente Technologien und Umweltschutz. PCK selbst ist beteiligt an den Beteilingsgesellschaften: 

  • Mineralölverbundleitung GmbH Schwedt (MVL) 
  • PCK & elf Tanklagerbetrieb Seefeld GbR (PETS) 

Zur PCK gehören:  

  • ein Rohöltanklager
  • ein Pier im Ölhafen Rostock,  
  • die Pipeline Schwedt-Seefeld mit 78 km,  
  • die Pipeline Schwedt-Rostock mit 203 km und  
  • eine Sonderabfallanlage. 

Nachhaltigkeit bei PCK 

PCK arbeitet nach einem Integrierten Managementsystem und ist zertifiziert nach den Normen ISO 9001, ISO 14001, ISO 45001 und ISO 50001. Die Raffinerie arbeite rückstandsfrei. Die letzten nicht mehr verwertbaren Rohölanteile werden im Kraftwerk (Kraft-Wärme-Kopplung) zu elektrischer Energie umgewandelt. Das moderne Kraftwerk liefere Fernwärme an die Stadt Schwedt. Eine dreistufige Rauchgasreinigung sorge für eine mehr als 90-prozentige Beseitigung von Schwefeldioxid, Stickoxiden und Staub. Über die Pipeline Rostock-Schwedt kann sich die PCK zusätzlich mit Rohöl versorgen. 

Berlin wird über die Produkt-Pipeline Seefeld beliefert. Der Flughafen Tegel wird per Tankkraftwagen und Schönefeld per Kesselwagen mit Kerosin versorgt. Die Verteilung der Produkte erfolgt zu: 

  • 60 Prozent über Schiene 
  • 27 Prozent durch Pipeline 
  • 13 Prozent auf der Straße 

Arbeitete die Ölraffinerie zum Jahresanfang mit einer niedrigen Auslastung von etwa 50 Prozent, stieg sie nach Angaben von Rosneft Deutschland jetzt auf um die 80 Prozent. „Die Raffinerie verdient wieder Geld, weil Kapazitäten besser ausgelastet sind“, sagte Rosneft-Sprecher Burkhard Woelki der dpa. „Die Befürchtungen, dass die Raffinerie ohne Öl aus Russland nicht funktioniert, hat sich als Schwarzmalerei erwiesen“, so Kellner. 

Vertrag mit Kasachstan 

Für Entspannung sorgt ein Vertrag mit Kasachstan, wonach das zentralasiatische Land bis Ende 2024 jeden Monat 100.000 Tonnen Rohöl liefert. PCK soll bis Ende 2024 jeden Monat 100.000 Tonnen Rohöl aus Kasachstan geliefert bekommen. Eine entsprechende Vereinbarung trafen die deutsche und die kasachische Seite am Rande des Staatsbesuchs von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Mitte Juni 2023 in dem zentralasiatischen Staat. Mit der langfristigen Lieferung soll sich die Auslastung der Raffinerie den Angaben zufolge um etwa zehn Prozentpunkte erhöhen. 

Steinmeier begrüßte in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem kasachischen Präsidenten Kassym-Schomart Tokajew die zusätzlichen Lieferungen. Das sichere die Zukunft des Standortes Schwedt und damit der Treibstoffversorgung in Ostdeutschland. „Das ist eine gute Nachricht für Schwedt und eine gute Nachricht für die Energiesicherheit in Deutschland“, so der Bundespräsident. „Das sichert die Raffinerie ab“, so Woelki. Kasachisches Öl ist in der Beschaffenheit dem russischen ähnlich. Das erleichtere die Verarbeitung, so dass mit kasachischem Öl etwa wieder Bitumen hergestellt werden kann für die Bauindustrie. Die PCK-Geschäftsführung richtet den Blick voraus auf eine Zeit nach dem Öl – mit Wasserstoff. Die Raffinerie will derzeit den Transformationsprozess voranbringen, für den die Bundesregierung viele Millionen bereitstellt. Mit Wasserstoff will die PCK klimaneutrale synthetische Kraftstoffe, E-Fuels, produzieren. Zum Umbau der Raffinerie weg von fossilen Energieträgern Kellner laut dpa: „Es wurde schon einiges angestoßen und ist in der Umsetzung, auch mit unserer Unterstützung – aber die PCK muss da dran bleiben mit allem Nachdruck.“ 

Neue Abhängigkeitssituation 

Zweifel an der Zukunft der Kasachstan-Connection befördern Pläne, über die der „Nordkurier“ berichtet. Danach will der polnische Pipeline-Betreiber Pern bis zum Jahr 2027 die Fertigstellung einer zweiten Pipeline von Danzig bis nach Plock. Diese „Pomeranian II“ würde die bisherige dortige Kapazität um weitere 25 Millionen Tonnen Rohöl pro Jahr erweitern. Gepaart mit dem indirekten Angebot des Bundes, die seit Beginn des Krieges in der Ukraine unter Treuhand stehenden früheren russischen Rosneft-Anteile an der PCK dem polnischen Unternehmen Orlen anzudienen, entwickelt sich, so Görke, eine neue Abhängigkeitssituation. Orlen gehört zu 49,9 Prozent dem polnischen Staat, die übrigen Anteile teilen sich ein niederländischer Fonds und weitere Eigentümer. Görkes Befürchtung: „Wenn Orlen Mehrheitsgesellschafter bei PCK wird und die Pomeranian II gebaut wird, wird kein Interesse mehr an Öl aus Kasachstan bestehen.“ PCK würde „von einer Abhängigkeit in die Nächste schlittern“. Der Linkspolitiker weiter: „Um das zu verhindern, brauchen wir dringend die große Lösung – eine bundeseigene, moderne und wasserstofftaugliche Pipeline von Rostock nach Schwedt.“ Und damit bekäme auch das noch ausstehende Placet der EU eine ganz andere Bedeutung. 

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)