09.03.2023

EU-Antwort auf US-Inflationsgesetz kommt

Die Grenzen schließen sich. Nach autoritativen Staaten wie Russland oder China haben die USA mit ihrem Inflationsgesetz den Schließreigen im Westen hoffähig gemacht. Als eine der vorerst letzten Regionen will nun auch die EU nicht länger hintan stehen. Aufhänger sind ihre Klimaziele.

EU-Antwort auf US-Inflationsgesetz

Ausbauziele für grüne Technologien

Die Europäische Kommission will dem amerikanischen Milliarden-Förderpaket für grüne Technologien ehrgeizige Ausbauziele entgegensetzen, Das meldet die FAZ unter Berufung auf den ihr vorliegenden Entwurf für ein Netto-Null-Industriegesetz („Net Zero Industry Act“) hervor, den die Kommission in der kommenden Woche vorlegen wolle. Die EU soll demnach bis 2030 zwei Fünftel der für ihre Klimaziele jährlich benötigten grünen Schlüsseltechnologien selbst in heimischer Produktion herstellen:

  • 85 Prozent der Windkraftanlagen,
  • 85 Prozent der Batterien,
  • 60 Prozent der Wärmepumpen,
  • 40 Prozent der Solarpaneele und
  • genug Elektrolyseure, um die Hälfte des grünen Wasserstoffs herzustellen, sollen dann stammen.

Europäische Antwort auf US-Antiinflationsgesetz

Das Gesetz soll zentraler Bestandteil einer europäischen Antwort auf das Antiinflationsgesetz (Inflation Reduction Act IRA) sein, mit dem die Biden-Administration 369 Milliarden Dollar in grüne Technologien investiert. Der IRA hat in Europa die Sorge ausgelöst, Unternehmen könnten ihre Investitionen in grüne Schlüsseltechnologien in die USA verlagern, zumal deren Förderung zum Großteil an die Produktion am Ort (local content) gekoppelt sei. Laut EU-Kommission sieht der IRA 430 Milliarden Dollar Subventionen für grüne Industrien wie Hersteller von Batterien für Elektroautos und Solarzellen vor. Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), wirft den USA in diesem Zusammenhang einen „Überbietungswettbewerb an WTO-inkompatiblen Subventionen“ vor.

In einem ersten Schritt hatte die Kommission auf den IRA mit einer starken Lockerung der Beihilferegeln reagiert. Für den Sommer hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zudem einen Vorschlag für einen „Europäischen Souveränitätsfonds“ angekündigt.

Regierungschef-Gipfel Ende März

Die Staats- und Regierungschefs wollen dem Bericht zufolge das Gesetz zur Förderung grüner Technologien auf ihrem Gipfel Ende März diskutieren. Der nun geleakte Entwurf stamme aus einem frühen Stadium, datiert auf den 23. Februar 2023. Die endgültige Fassung könnte also davon abweichen. An der grundsätzlichen Linie dürfte sich aber, so die Einschätzung der FAZ, kaum noch etwas ändern. Europaparlament und Ministerrat müssten ihn dann noch beschließen.

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Als sicher gilt vor diesem Hintergrund die Festlegung für das kommende Gesetz auf als strategisch wichtig geltende grüne Technologien. Dazu gehörten der FAZ zufolge:

  • die Produktion von Biomethan,
  • die Energienetze,
  • die Abscheidung, Nutzung oder Speicherung von CO2 (CCUS) sowie
  • die Kernenergie.

Den Umstand, dass der Entwurf die Kernspaltung ausdrücklich nennt, wertet das Blatt als einen französischer Erfolg. Von den in Europa und auf der restlichen Welt geplanten oder im Bau befindlichen Kernreaktoren komme derzeit nur ein einziger aus der EU.

Zwei-Fünftel-Ziel für alle Technologien

Das Zwei-Fünftel-Ziel soll für alle Technologien übergeordnet verpflichtend als Mindestziel gelten. Als Unterziele und nur als Orientierungsgröße seien gedacht einzelnen Technologiezweige wie:

  • Wärmepumpen und
  • Solarpaneele.

Die Kommission begründet die Vorgaben neben einer Antwort auf den IRA mit der starken Abhängigkeit von der Einfuhr aus bestimmten Staaten, allen voran China. Es gehe ihr wie bei dem schon vor einem Jahr vorgelegten „Chips Act“ um die Versorgungssicherheit. Sie erwähne insbesondere die Abhängigkeit von chinesischen Importen für

  • die Solaranlagen. Sie betrage bei einigen zentralen Elementen mehr als 90 Prozent.
  • Wärmepumpen und Windanlagen.

Wo die Position der EU besser sei, verliere sie an Wettbewerbsfähigkeit, heiße es in dem Gesetzentwurf.

Staatliche Hilfen als Lockmittel für private Investoren

Um die Ziele zu erreichen, setze die Kommission auf staatliche Hilfen. Dazu sollen die Kommission und die Mitgliedstaaten wie beim sogenannten „Juncker-Fonds“ das Hauptrisiko von Projekten übernehmen, um damit private Investoren anzulocken. Die Kommission wolle Geld aus den Innovationsfonds nutzen. Dieser wird aus den Einnahmen des Emissionshandels gespeist. Die Staaten sollen einen Teil der ihnen zustehenden Einnahmen aus dem Emissionshandel nutzen, um die EU unabhängiger von der Einfuhr aus Drittstaaten zu machen. Wie hoch der Prozentsatz sein soll, lasse der Entwurf noch offen.

Weiterhin sollen die Mitgliedstaaten bei öffentlichen Ausschreibungen und Förderprogrammen für Privathaushalte die Frage der Versorgungssicherheit der EU berücksichtigen. Bei öffentlichen Aufträgen soll dieser Aspekt zwischen 15 und 40 Prozent der Bewertung eines Angebots ausmachen. Dabei sollen sie nicht zuletzt einbeziehen, ob ein Drittstaat den Handel mit grünen Technologien beschränkt oder den Wettbewerb anderweitig verzerrt. Dieser Passus ließe sich sowohl gegen China als auch die US-Regeln zum local content nutzen.

Frankreichs Buy European-Forderung

Frankreich erhebt seit längerem die Forderung nach einer Buy European-Regelung, einer gezielten Bevorzugung europäischer Produkte. Die Vorgaben in dem Entwurf entsprächen dem leicht abgespeckt. Ein „Buy European Act“ unterstützen unter anderem die französischen Grünen. Dies wäre „ein entscheidender Hebel für den Wandel“, der Beginn eines „europäischen grünen Protektionismus“, zitiert die französische Plattform „Euroactiv.fr“ Jacques Fernique, grüner Abgeordneter im französischen Senat am 8.02.2023 während einer Debatte zur Antwort auf „die jüngsten amerikanischen protektionistischen Maßnahmen“, bei der die Frage einer europäischen Antwort im Mittelpunkt stand.

Fernique sei damit dem Beispiel des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und seines Wirtschaftsministers Bruno Le Maire gefolgt, die sich beide für eine solche Maßnahme ausgesprochen hätten. „Europa kann nicht der einzige Ort sein, an dem es kein ‚Buy European Act‘ gibt“, so Macron im November 2022. Es werde jedoch schwierig sein, die Konturen eines solchen Gesetzes zu definieren. Für die einen gehe es darum, die Regeln für das europäische öffentliche Auftragswesen zu überarbeiten, um eine „europäische Präferenz“ zu schaffen. Andere hielten es für notwendig, dem Beispiel der Vereinigten Staaten zu folgen und, wie im IRA, local content-Regeln einzuführen, die die Gewährung von staatlichen Subventionen und Steuervergünstigungen von der Verpflichtung abhängig machen, einen Teil der Produktion eines subventionierten Produktes nach Europa zu verlagern, auch auf die Gefahr hin, gegen die Grundsätze der Welthandelsorganisation (WTO) zu verstoßen.

Beschleunigung der Genehmigungsverfahren

Eine wichtige Rolle spielt in dem EU-Gesetzentwurf die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren. Die unter das Gesetz fallenden Technologien wie die Kernkraftwerke und die ebenfalls stark umstrittenen Projekte zur Abscheidung und Speicherung von CO2, wolle man als von „übergeordnetem öffentlichen Interesse“ einstufen. Das erschwere Einsprüche etwa von Umweltschützern. Die Umweltprüfung soll spätestens nach 30 Tagen abgeschlossen sein. Das gesamte Genehmigungsverfahren von Neubauten oder der Erweiterung bestehender Projekte soll höchstens anderthalb Jahre dauern. Für kleinere Projekte und Fabriken seien kürzere Genehmigungsfristen vorgesehen. Die EU-Staaten sollen darüber hinaus Net-Zero Industry Valleys ausweisen, in denen die Genehmigungen noch einmal sechs Monate schneller erteilt werden sollen.

EU-Chefs unterstützen Antwort auf IRA

Die Staats- und Regierungschefs der EU unterstützten auf ihrem Gipfeltreffen am 09.02.2023 den grünen Industrieplan der Europäischen Kommission als Antwort auf den IRA der USA und überlassen die Details zunächst der EU-Kommission. Bereits Anfang Februar hatte von der Leyen einen grünen Industrieplan als Antwort auf die Auswirkungen des amerikanischen IRA vorgestellt. Von der Leyens Plan ist „unser Plan, Europa zur Heimat von sauberer Technologie und industrieller Innovation auf dem Weg zu Netto-Null zu machen“, erklärte sie in einer Rede auf dem Wirtschaftsforum in Davos am 17.01.2023.

Die Staats- und Regierungschefs hatten den Green-Deal-Industrieplan auf der Tagung des Europäischen Rates am 9. und 10.02.2023 weitgehend gebilligt. Dieser Plan sei aber einigen französischen Politikern nicht weit genug gegangen. Nach Ansicht von Fernique wäre ein „Buy European Act“ besser geeignet, um europäische Produkte zu begünstigen. „Europäische Qualitäts- und Umweltkriterien sollten in den Spezifikationen berücksichtigt werden“, sagte er gegenüber „Euractiv“. Stéphanie Yon-Courtin, EU-Abgeordnete aus der Partei von Emmanuel Macron: „Wenn europäische Gelder investiert werden, sollten wir vorrangig europäische Produkte kaufen.“ Das Europäische Parlament diskutierte Mitte Februar eine Resolution für eine „Made in Europe“-Strategie.

DNA der Kommission

Einer europäischen Präferenz widerspreche „der DNA der Kommission“, zitiert „Euractiv“ Michel Petite, Associate bei Clifford Chance und ehemaliger Generaldirektor des Juristischen Dienstes der Europäischen Kommission. Ihm zufolge gebe es im europäischen Rechtsinstrumentarium bereits Instrumente, um gegen Wettbewerbsverzerrungen mit den Vereinigten Staaten und China vorzugehen. Das Internationale Beschaffungsinstrument (IPI) ziele beispielsweise darauf ab, den Zugang ausländischer Unternehmen zu europäischen öffentlichen Aufträgen zu beschränken, wenn europäische Unternehmen in Drittländern nicht das gleiche Maß an Zugang erhalten.

Diese Gegenseitigkeitsklausel, die erst im Jahr 2022 verabschiedet wurde, wurde insbesondere in Frankreich freudig aufgenommen. Zudem wurde am 12.01.2023 eine neue Verordnung über ausländische Subventionen eingeführt. Sie verpflichte Unternehmen, jeden finanziellen Beitrag eines Drittlandes, von dem sie profitieren könnten, zu melden, sofern dieser Beitrag mindestens 50 Millionen Euro beträgt oder der Umsatz des Unternehmens 500 Millionen Euro erreicht.

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)