02.12.2020

Chemisches Recycling für Kunststoffteile aus Autos

Klimawandel – da denkt man an grünen Strom, Windkraft, Wasserstoff. Dabei liegen auch andernorts Schätze verborgen. Zum Beispiel in Teilen aus Kunststoff von Autos. Sie zu heben, ist eine Herausforderung. Dieser nehmen sich Audi und das KIT in Karlsruhe jetzt in einem Pilotprojekt an.

Chemisches Recycling

Kunststoffgemische zurück in den Umweltkreislauf

Zahlreiche Bauteile in Autos sind aus Kunststoffen. Für sie gelten hohe Anforderungen an

  • Sicherheit,
  • Hitzebeständigkeit und
  • Qualität.

Besonders intensiv beanspruchte Kunststoffbauteile in Autos lassen sich daher bislang nur aus Materialien auf Erdölbasis herstellen. Sie sind meist nicht wiederverwertbar. Sortenreine Kunststoffe recycelt man oft mechanisch. Das Recycling von gemischten Kunststoffabfällen stellt eine große Herausforderung dar. Der Thinktank Industrielle Ressourcenstrategien am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) startet mit Audi deshalb ein Pilotprojekt für chemisches Recycling. Damit will man diese Kunststoffmischfraktionen zurück in einen ressourcenschonenden Kreislauf führen.

Ein Thinktank für Ressourcen

Der Thinktank Industrielle Ressourcenstrategien ist eine gemeinsame Initiative von Politik und Industrie mit Unterstützung der Wissenschaft. Er berät Politik und Industrie auf wissenschaftlicher Basis in den zentralen technologisch-strategischen Fragestellungen zu Ressourceneffizienz, Ressourcennutzung und Ressourcenpolitik. Der Thinktank trägt objektiv Daten und Fakten zusammen, bereitet sie verständlich auf und liefert Ergebnisse, die sowohl von der Politik als auch von der Industrie gleichermaßen anerkannt sind, und trägt damit wesentlich zu faktenbasierten Entscheidungen aller Beteiligten bei.

Der Thinktank wurde am 9.1.2018 gegründet und ist am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) angesiedelt. Sprecher des Thinktanks ist Professor Thomas Hirth, Vizepräsident für Innovation und Internationales des KIT. Für die operative Leitung des Thinktanks ist der Geschäftsführer Dr. Christian Kühne verantwortlich.

Einzige Methode: Chemisches Recycling

„Automobile Kunststoffe zu recyceln, ist bisher für viele Bauteile nicht möglich, deshalb leisten wir hier mit Audi Pionierarbeit“, erklärt Thinktank-Teilnehmer Professor Dieter Stapf, Leiter des Instituts für Technische Chemie am KIT.
Um Kreisläufe zu schließen, müsse man hierfür geeignete Verfahren entwickeln. Chemisches Recycling sei bisher die einzige Methode, um solche gemischten Kunststoffabfälle wieder in Produkte mit Neuwarenqualität umzuwandeln. Dadurch sei eine größere Bandbreite an Kunststoffen wiedergewinnbar. „
So geschlossene Materialkreisläufe sparen wertvolle Ressourcen, weil weniger Primärmaterial benötigt wird. Dies wiederum spart Energie und Kosten – und ist gut für die Umwelt“ sagt Dr. Rebekka Volk vom Institut für Industriebetriebslehre und Industrielle Produktion des KIT.

Verantwortung von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik

Das Pilotprojekt „Chemisches Recycling von Kunststoffen aus dem Automobilbau“ führt der Thinktank Industrielle Ressourcenstrategien durch. Ihn hat die baden-württembergische Landesregierung gemeinsam mit der Industrie und mit Unterstützung der Wissenschaft am KIT eingerichtet.

Der verantwortungsvolle Umgang mit Rohstoffen sei die gemeinsame Verantwortung von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, begründet der Sprecher des Thinktanks Professor Thomas Hirth, Vizepräsident des KIT für Innovation und Internationales, das Projekt. Im Thinktank bündele man Kompetenzen, um sich dieser großen Herausforderung im Dienste von Gesellschaft und Umwelt zu stellen.

Pyrolyse im großen Maßstab

Das Projekt beruht vor allem auf der Pyrolyse-Technik. Das KIT untersucht systematisch, was mit der Pyrolyse erreicht werden kann und wie Pyrolyseverfahren in großem Maßstab konzipiert werden müssen, damit Abfälle möglichst weitgehend rohstofflich verwertet werden können, so Stapf. Das chemische Recycling von Kunststoffabfällen könne so moderne Produkte nachhaltiger machen und Treibhausgasemissionen vermeiden.

Das chemische Recycling könne einen wesentlichen Baustein für ein umfassendes Kunststoffrecycling bilden, ist der Geschäftsführer des Thinktanks, Dr. Christian Kühne überzeugt. Das mache es interessant für die Automobilindustrie. Der Thinktank und Audi gehen gemeinsam ein zentrales Thema an, Automobile unabhängig vom Antrieb nachhaltiger und umweltfreundlicher zu gestalten.

Kühne: „Der ganzheitliche Blick auf Rohstoffkreisläufe steht im Fokus des Thinktanks.“  

Kreisläufe für Kunststoffe

Das Pilotprojekt „Chemisches Recycling von Kunststoffen aus dem Automobilbau“ zielt darauf, intelligente Kreisläufe für Kunststoffe zu schaffen sowie diese Methode als Ergänzung für mechanisches Recycling und anstelle energetischer Verwertung zu etablieren. Mit dem Thinktank am KIT als Partner will Audi zunächst die technische Machbarkeit des chemischen Recyclings testen und das Verfahren auf Wirtschaftlichkeit und Umweltauswirkung bewerten. Das Unternehmen stellt dafür nicht mehr benötigte Kunststoff-Bauteile aus Audi-Modellen, die beispielsweise aus dem deutschen Händlernetzwerk zurückkehren, zur Verfügung wie

  • Kraftstofftanks,
  • Radzierblenden oder
  • Kühlerschutzgitter.

Diese Kunststoff-Bauteile werden durch chemisches Recycling zu Pyrolyseöl verarbeitet. Mittelfristig können Bauteile aus Pyrolyseöl erneut in Automobilen verwendet werden. Gelingt es, die technische Machbarkeit nachzuweisen, will Audi das Verfahren industrialisieren und dann sukzessive auf mehr und mehr Teile anwenden.

Audi – Vorsprung im Auto-Kunststoff-Recycling

Audi zählt zu den ersten Automobilherstellern, die diese Recyclingmethode in einem Pilotprojekt mit Kunststoffen aus der Automobilproduktion testen. „Wir wollen intelligente Kreisläufe in unseren Lieferketten etablieren und Ressourcen effizient einsetzen“, sagt Marco Philippi, Leiter Beschaffungsstrategie bei Audi. Chemisches Recycling berge hierfür großes Potenzial. Wenn Kunststoffbauteile ohne Qualitätsverlust anstatt aus Erdöl aus Pyrolyseöl hergestellt werden können, wäre es möglich, den Anteil an nachhaltig hergestellten Teilen im Auto signifikant zu erhöhen.

Philippi: „Auf lange Sicht kann dieses Verfahren auch im Altfahrzeugrecycling eine Rolle spielen.“

Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)