24.07.2023

„Wir brauchen eine Vision für Städte auf EU-Ebene“

Acht europäische Bürgermeister und Bürgermeisterinnen – Jeanne Barseghian, Bev Craig, Antonio Decaro, Burkhard Jung, Peter Kurz, Dario Nardella, Marvin Rees und Johanna Rolland – fordern in einem gemeinsamen Artikel eine stärkere Rolle der Städte in Entscheidungsprozessen der EU. Sie sehen eine zentrale Verantwortung in den Städten, wo sich die wichtigsten Fragen unserer Zeit entscheiden. Daher müsse sich auch die nationale und europäische Politik in Krisenzeiten an die europäischen Städte wenden.

Frankfurter Römerberg mit Rathaus

Die Kommunen haben in den vergangenen Jahren bei der Bewältigung globaler Herausforderungen wie der Covid-Pandemie und den Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ihre Reaktionsfähigkeit unter Beweis gestellt und gleichzeitig Maßnahmen zur Verbesserung der Energie- und Ernährungssicherheit in Europa ergriffen. In den Städten wurden Impfzentren eingerichtet, Migrantinnen und Migranten aufgenommen und mit ehrenamtlicher Hilfe unterstützt. Zudem seien erneuerbare Energien vor Ort gefördert und neue Verbindungen zu ländlichen Gemeinden geknüpft worden.

Das Autorenteam fordert daher ein stärkeres Mitspracherecht der Kommunen, denn die aktuellen Herausforderungen drängen danach, sich international und über Verwaltungsgrenzen hinweg zu engagieren. Alleingänge seien bei diesen Themen von großer strategischer und geopolitischer Bedeutung nicht zielführend. Deshalb bilden die Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern ein gemeinsames Städtenetzwerk und fordern ein Mitspracherecht bei den Themen, die früher allein in der Zuständigkeit der Nationalstaaten lagen. Dies geschehe bereits, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg. Bei zentralen Problemen und Aufgaben der Zeit hätten die Städte bereits gezeigt, dass sie eine Vorreiterrolle eingenommen haben, wie bei der Umsetzung des Pariser Abkommens und des europäischen „Green Deal“. Hier sei die Zusammenarbeit mit der Industrie und der Zivilgesellschaft von großer Bedeutung gewesen, um das 1,5-Grad-Ziel bei der Begrenzung der globalen Erwärmung zu erreichen.

Eine weitere Forderung ist eine engere Beziehung zwischen Städten und EU, wobei auf EU-Ebene bereits mehrere Beispiele zeigen, dass eine engere Beziehung zwischen Städten und der EU gut funktionieren kann. Die EU-Mission „100 klimaneutrale und intelligente Städte“ sei ein weiterer positiver Schritt und mutiger Ansatz für Klimaneutralität, der zeige, wie Städte in der Praxis funktionieren. Dennoch seien rund 50 Prozent der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister laut der jüngsten Eurocities Pulse Mayors Survey 2023 der Meinung, dass die EU-Institutionen und die EU-Politik die spezifischen Bedürfnisse und das Potenzial der Städte nicht ausreichend berücksichtigen.

Strukturen und internationale Dialoge zu schaffen, die Vertreterinnen und Vertreter der Städte in die politische Planung einbeziehen, sei zudem von grundlegender Bedeutung, um die Zusammenarbeit zwischen den politischen Ebenen sicherzustellen. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wollen nicht nur gelegentlich in europäischen und internationalen Foren das Wort erhalten, sondern einen ständigen Dialog mit den nationalen Regierungen und den europäischen Institutionen führen, damit ihre Beiträge zu internationalen Prozessen und Rahmenvereinbarungen repräsentiert sind.

Sie fordern einen neuen Dialog und eine klare langfristige Vision für Städte auf EU-Ebene, die ihre Rolle bei der Gestaltung eines grünen und gerechten Europas anerkennt und Partnerschaften in der ganzen Welt schmiedet. Diese Vision sollte gemeinsam mit den Städten entwickelt werden, um allen EU-Initiativen, die Städte und städtische Entwicklungen betreffen, einen Rahmen und eine Richtung zu geben. Vorschläge des Autorenteams sind beispielsweise: ein jährliches Gipfeltreffen einzurichten von EU-Bürgermeisterinnen und -Bürgermeistern und den Spitzen lokaler Exekutivorgane, allen EU-Kommissarinnen und -Kommissaren sowie nationalen Ministerinnen und Ministern, die sich mit städtischen Herausforderungen befassen. Dem Beispiel der USA zu folgen, die einen Sonderbeauftragten für Städtediplomatie ernannt haben. Oder einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin in der Europäischen Kommission mit dem Mandat, das Engagement, die Initiativen und die EU-Politik für Städte zu bündeln.

Alle Autoren besetzen führende Posten in ihren jeweiligen nationalen Städteverbänden: Jeanne Barseghian ist Bürgermeisterin von Straßburg und Ko-Präsidentin des Ausschusses für europäische Angelegenheiten von France urbaine, Bev Craig ist Vorsitzende des Stadtrats von Manchester und Vizevorsitzende von Core Cities UK. Antonio Decaro ist Bürgermeister von Bari und Präsident der Associazione Nazionale Comuni Italiani. Burkhard Jung ist Oberbürgermeister von Leipzig, Vizepräsident des Deutschen Städtetags und Präsident von Eurocities. Peter Kurz ist Oberbürgermeister von Mannheim und Mitglied im Präsidium des Deutschen Städtetags. Dario Nardella ist Bürgermeister von Florenz, Vorsitzender des Ausschusses für Ballungsräume der Associazione Nazionale Comuni Italiani und ehemaliger Präsident von Eurocities. Marvin Rees ist Bürgermeister von Bristol und Vorsitzender von Core Cities UK. Johanna Rolland ist Bürgermeisterin von Nantes und Präsidentin von France urbaine.

Autor*in: Andrea Brill (Andrea Brill ist Pressereferentin und Fachjournalistin.)