25.11.2015

„Wer nicht redet, wird nicht gehört“

Der vor wenigen Wochen im Alter von 96 Jahren verstorbene Altkanzler Helmut Schmidt war ein Ausnahmepolitiker. Und er war ein Staatsmann mit herausragenden rhetorischen Fähigkeiten. Sein rednerisches Talent und seine Freude am intellektuellen Schlagabtausch werden fehlen und sind ein Vermächtnis für unsere Demokratie.

Detail von Mann

Sachkundig, meinungsfreudig und von beeindruckender analytischer Schärfe – so kannte man Helmut Schmidt bis ins hohe Alter. Der „Mann von Welt aus Hamburg“, wie ihn das ZDF in einem Nachruf bezeichnete, fiel schon früh mit einer geschliffenen und durchaus angriffslustigen Rhetorik auf. „Ich bin der Mann mit der schnellen Schnauze“, ließ Helmut Schmidt bereits 1957 während seiner ersten Amtsperiode als Bundestagsabgeordneter das Parlament wissen. „Wer nicht redet, wird nicht gehört“, so seine Überzeugung. Seine verbalen Attacken brachten ihm rasch den Spitznamen „Schmidt Schnauze“ ein, in dem stets mehr Anerkennung als Vorwurf mitschwang.

Lust an der Kontroverse

Als Senator in der Hansestadt, späterer Bundesminister und schließlich fünfter deutscher Bundeskanzler erwarb Helmut Schmidt sich den Ruf eines pragmatischen, ideologiefreien Realpolitikers. Viele seiner Reden gelten heute als Lehrbeispiele politischer Debattenkultur. Scharfsinnig in der Sache und mit spürbarer Lust an der Kontroverse bezog Helmut Schmidt Stellung und provozierte dabei auch gern Widerspruch. „Für intelligente Zwischenrufe bin ich besonders dankbar, da entfaltet sich mein rhetorisches Talent“, sagte er einmal. Die parlamentarische Auseinandersetzung verstand er auch als „Kampfsport“, bei dem sprachlich durchaus mit harten Bandagen gerungen werden durfte. Bei aller Leidenschaft im rednerischen Auftritt blieb Helmut Schmidt Verfechter einer rationalen Politik. Seine zweistündige Abschiedsrede im Bundestag am 10. September 1986 schloss er mit dem Appell: „Keine Begeisterung sollte größer sein als die nüchterne Leidenschaft zur praktischen Vernunft.“

Diener des öffentlichen Wohls

Auch im Umgang mit den Medien erwarb sich Schmidt, der nach seiner Kanzlerschaft als Publizist und Herausgeber der Wochenzeitung DIE ZEIT wirkte, Respekt. „Seine Antworten waren immer präzise“, erinnerte sich der frühere WDR-Intendant Friedrich Nowottny in einer Sondersendung zum Tode von Helmut Schmidt. Er sei sich treu geblieben und habe stets analytisch und nicht mit Fingerzeig argumentiert. Ein frühes Zeitzeugnis zum Umgang mit Journalisten ist ein Interview der Reihe „Zur Person “ aus dem Jahr 1966. Im Gespräch mit Günter Gaus beweist er sich als rhetorisch brillanter, machtbewusster, aber auch humorvoller Volksvertreter. Und was besonders bemerkenswert erscheint aus Sicht unserer heutigen, schnelldrehenden Mediengesellschaft: Bei manchen Fragen erbittet er sich Zeit zum Nachdenken, bevor er antwortet. Man nimmt Helmut Schmidt schon damals ab, was Antriebskraft seines politischen Lebenswegs bleiben sollte: „Für mich steckt eine ungeheure Befriedigung in dem Bewusstsein, für das öffentliche Wohl tätig zu sein“.

Autor*in: Nicola Karnick (Nicola Karnick ist Redenschreiberin und Autorin von "Praktische Redenbausteine für Bürgermeister".)