24.02.2022

Qualifizierung: Wie Sie als Betriebsrat Ihren Kollegen dabei helfen

Lebenslang lernen! Und mit 50 die Schulbank drücken? Nur Gerede von Politikern? Nein. Das Leben ändert sich immer schneller. Zumal für Arbeitnehmer heißt es: mithalten! Sie als Betriebsrat können ihnen helfen. Leider sind weniger Qualifizierte nicht gerade erpicht auf Weiterbildung.

Qualifizierung

Mitbestimmung. Die Wissenschaft spricht eine deutliche Sprache. Alles ändert sich – auch die Berufswelt. Und mit ihr die Beschäftigten. Schon bis 2030 werden sich laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mehr als 35 Prozent aller Berufe grundlegend wandeln. Nach einer Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wird jeder vierte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in den kommenden Jahren von Automatisierung betroffen sein und sich beruflich neu orientieren müssen. Sie brauchen dabei Ihre Hilfe als Betriebsrat.

Wollen die Beschäftigten sich denn überhaupt weiterbilden?

Ausgerechnet die Zielgruppe der Geringqualifizierten beteiligt sich am wenigsten an Weiterbildungsmaßnahmen.

Das zeigen Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und des Nationalen Bildungspanels (National Education Panel Study, NEPS) zu Bildung und Erwerbschancen von Beschäftigten. Dabei unterscheiden die Forscher unter:

  • formaler Weiterbildung: führt zu einem anerkannten Abschluss.
  • non-formaler Weiterbildung: organisierte Kurse ohne formalen, anerkannten Abschluss
  • informeller Weiterbildung: nicht organisierter Weiterbildung, die nicht am Arbeitsplatz stattfindet

Betriebsrat Qualifizierung

Insgesamt zeigen sich laut den IAB-Studien die Beschäftigten:

  • zu etwa einem Drittel an Weiterbildung interessiert: 32 Prozent haben im Verlauf von fünf Jahren mindestens einmal an einer non-formalen organisierten Weiterbildung teilgenommen, entweder im beruflichen oder im privaten Bereich (siehe Abb. 1).

In den unterschiedlichen Formen informeller Weiterbildung nehmen Frauen etwas weniger Lernangebote und -Programme, Fachliteratur, Vorträge und Messeangebote in Anspruch. Informell bilden sich Beschäftigte vor allem weiter:

  • aus Fachzeitschriften sowie Fach- und Sachbüchern: 40 Prozent.
  • im Internet oder mit Apps: 24 Prozent.

Die Untersuchung bezieht sich auf die Zeit vor der Pandemie. Deswegen dürfte dieser Anteil in den letzten knapp zwei Jahren nicht unbeträchtlich gestiegen sein. Geringqualifizierte konzentrieren sich auf Weiterbildung per Internet und Medien wie CDs und DVDs. Wie bei den organisierten Kursen im Rahmen der non-formalen Ausbildung dominieren auch bei der informellen Weiterbildung die Hochschulabsolventen (siehe Abb. 2).

Betriebsrat Qualifizierung

Gelten diese Ergebnisse für alle Beschäftigten, die sich qualifizieren wollen?

Es gibt einige Unterschiede. Bei der Betrachtung nach Geschlecht der Nutzer von Weiterbildung zeigt sich:

  • Frauen sind etwas aktiver als Männer mit 34,1 Prozent zu 30 Prozent.
  • Insgesamt gilt: je jünger, desto mehr Weiterbildung.
  • nur 19 Prozent der Beschäftigten ohne Ausbildungsabschluss haben sich im Betrachtungszeitraum weitergebildet
  • damit weniger als die Hälfte des Anteils an Hochschulabsolventen (44 Prozent)
  • und deutlich weniger als die Kollegen mit Ausbildung (32,2 Prozent).

Welche Themenbereiche sind bei der Weiterbildung beliebt?

  • Etwas mehr als ein Drittel (35 Prozent) besuchte Kurse aus dem Themenbereich Soziales, Erziehung und Gesundheit,
  • 18 Prozent solche für Wirtschaft und Verwaltung,
  • acht Prozent bildeten sich in den Informations- und Kommunikationstechnologien weiter.

Deutlich wird die ungleiche Geschlechterverteilung in den verschiedenen Berufen:

  • Frauen sind bei Sozialem, Erziehung und Kultur überproportional vertreten,
  • Männer bei Wirtschaft und Verwaltung
  • Geringqualifizierte Beschäftigte nehmen vor allem an Weiterbildungen zu Lizenzen, Berechtigungen und Führerscheinen teil, nach Ansicht der Forscher begründet in den Notwendigkeiten am Arbeitsplatz (z.B. Gabelstaplerführerschein).

Wenn die Politik Weiterbildung immer fordert, fördert sie sie auch?

Naja, sie bemüht sich. Anfang 2019 ist das Qualifizierungschancengesetz in Kraft getreten, erweitert durch das „Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung“, Marketingtitel „Arbeit-von-Morgen-Gesetz“. Beschäftigte können danach eine Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit erhalten (Servicenummer 0800 4 5555 00). Voraussetzung:

  • Technologien können berufliche Tätigkeiten ersetzen,
  • die vom Strukturwandel betroffen sind,
  • oder Beschäftigte möchten sich in Engpassbereichen weiterbilden.

Weitere Regeln sind:

  • Beschäftigte in kleineren Unternehmen werden stärker gefördert als Beschäftigte in größeren Unternehmen.
  • Geringqualifizierte und Beschäftigte ab 45 Jahren erhalten zusätzliche Unterstützungsleistungen
  • die Weiterbildung umfasst mindestens 120 Stunden
  • die Weiterbildung geht inhaltlich über lediglich arbeitsplatzbezogene und kurzfristige Anpassungsfortbildungen hinaus
  • die Ausbildung wird im Normalfall außerhalb des Betriebes durchgeführt.

Mancher geringqualifizierte Beschäftigte möchte einen Berufsabschluss nachholen. Er hat für berufsabschlussbezogene Weiterbildungen einen Rechtsanspruch auf Förderung. Dazu wird die Eignung eines Beschäftigten geprüft und eine Prognose über den Erfolg der Maßnahme erstellt. Außerdem ist Voraussetzung, dass die Maßnahme die Chancen auf Beschäftigung erhöht. Zusätzliche Motivation sollen Erfolgsprämien schaffen. Für Arbeitnehmer beträgt sie bei Teilnahme an einer nach § 81 SGB III geförderten beruflichen Weiterbildung:

  • nach bestandener Zwischenprüfung 1.000 Euro
  • nach erfolgreicher Abschlussprüfung 1.500 Euro.

Sitzen Sie als Betriebsrat bei der Qualifizierung im Boot?

Ja, Sie haben als Betriebsrat bei der Organisation von Weiterbildungsmaßnahmen ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich:

  • Durchführung,
  • Bestellung von Ausbildungen und
  • Auswahl von Beschäftigten, die teilnehmen können.

Das BetrVG definiert eine Weiterbildungsmaßnahme als „generell-abstrakte“ Maßnahme, mit der Kenntnisse vermittelt werden. Gemeint sind also nicht Weiterbildungen gezielt für einzelne Beschäftigte, sondern organisierte Kurse, die bestimmten Zielgruppen im Betrieb offenstehen (z.B. LAG Hamburg, Urteil v. 10. 01. 2007, TaBV 3/05). Der Betriebsrat ist also immer beteiligt, sobald es sich nicht um eine personelle Einzelmaßnahme handelt.

Als Betriebsrat liegt die Initiative bei Ihnen, es von Ihrem Arbeitgeber nur verlangen. Er muss dann den Berufsbildungsbedarf ermitteln. Sie als Betriebsrat haben bei der Berufsbildung:

  • Informationsrechte
  • Beratungsrechte
  • Mitbestimmungsrechte.

Mit den für Berufsbildung und deren Förderung zuständigen Stellen fördern Sie die Berufsbildung der Beschäftigten. Sie beide – Ihr Arbeitgeber und Sie als Betriebsrat – wachen darüber, dass alle Ihre Mitarbeiter im Betrieb an innerbetrieblichen Schulungsmaßnahmen teilnehmen können:

  • nach Recht,
  • nach Billigkeit
  • ohne Diskriminierung.

Sie achten weiter darauf, dass Ihre Kollegen, soweit es die betrieblichen Notwendigkeiten erlauben:

  • an außerbetrieblichen Maßnahmen der Berufsbildung teilnehmen können,
  • dabei Berücksichtigung finden die Belange
    • älterer Kollegen
    • von Mitarbeitern mit Familie
    • Teilzeitbeschäftigter

Haben auch Teilzeitbeschäftigte Anspruch auf Weiterbildung?

Deren Berücksichtigung bei Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen schreibt das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) vor. Danach muss Ihr Arbeitgeber dafür sorgen, dass sie ebenfalls an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zur Förderung der beruflichen Entwicklung und Mobilität teilnehmen können. Ausnahme: dringende betriebliche Gründe oder Aus- und Weiterbildungswünsche anderer Kollegen stünden dem entgegen. Achten Sie als Betriebsrat insbesondere darauf, dass alle in Frage kommende Kollegen gleichbehandelt werden. Das können Sie über Ihr Mitbestimmungsrecht nach dem BetrVG durchsetzen.

Was gilt in Sachen Weiterbildung für Beschäftigte in Transfergesellschaften?

Wenn Beschäftigte freigestellt werden müssen, wird häufig eine Transfergesellschaft gebildet. Für die darin integrierten Beschäftigten sind ebenfalls geförderte Weiterbildungen möglich. Diese können unabhängig von Alter und Berufsabschluss auch dann gefördert werden, wenn die Weiterbildung über den Bestand der Transfergesellschaft hinaus andauert.

Wie behalten Sie als Betriebsrat den Blick für das große Ganze?

Das ist in der Tat keine so leichte Aufgabe. Als Betriebsrat müssen Sie in diesem Zusammenhang ja immer Ihre allgemeinen Aufgaben berücksichtigen, wie sie das BetrVG in § 80 formuliert. Dazu gehören:

  • Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit,
  • Eingliederung Schwerbehinderter und sonstiger besonders schutzbedürftiger Personen: Sie haben gegenüber ihrem Arbeitgeber Anspruch auf bevorzugte Berücksichtigung bei innerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung zur Förderung ihres beruflichen Fortkommens sowie ein Recht auf Erleichterungen in zumutbarem Umfang zur Teilnahme an außerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung.
  • Beschäftigung älterer Arbeitnehmer: Das Alter darf kein Kriterium darstellen, um einen Arbeitnehmer von einer Berufsbildungsmaßnahme auszuschließen.

Sie schließen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) eine Integrations- oder Inklusionsvereinbarung ab. Daraus können sich Qualifizierungsansprüche für schwerbehinderte Menschen ergeben.

Übersicht: Mitbestimmungsrechte bei Qualifizierung

Paragraph Inhalt
§ 96
Abs. 1
BetrVG
– Förderung der Berufsbildung durch AG und BR
– Mitbestimmung bei der Ermittlung des Berufsbildungsbedarfs
– Beratungs- und Vorschlagsrecht
§ 96
Abs. 2
BetrVG
Sicherstellung eines ausgewogenen Bildungskonzepts, das keine Gruppe unter den Beschäftigten benachteiligt oder bevorzugt
§ 97
Abs. 1
BetrVG
Beratung über betrieblicher Bildungseinrichtungen, Einführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen, Teilnahme an außerbetrieblichen Bildungsmaßnahmen
§ 97
Abs. 2
BetrVG
Mitbestimmungsrecht bei der Einführung von Bildungsmaßnahmen als Folge von Veränderungsprozessen im Betrieb
§ 98
Abs. 1
BetrVG
Mitbestimmung bei der Durchführung von Bildungsmaßnahmen
§ 98
Abs. 2
BetrVG
Beteiligung bei der Bestellung bzw. Abberufung eines Ausbilder
§ 98
Abs. 3
BetrVG
Vorschlagsrecht für Teilnehmerkreis

Muss Ihr Arbeitgeber Sie als Betriebsrat bei der Qualifizierung hinzuziehen?

Nein, nicht zu allem, aber bei Qualifizierungsbelangen beraten Sie als Betriebsrat mit Ihnen über:

  • Errichtung und Ausstattung betrieblicher Einrichtungen zur Berufsbildung,
  • Einführung betrieblicher Berufsbildungsmaßnahmen,
  • Teilnahme an außerbetrieblichen Berufsbildungsmaßnahmen.

Ein eigenständiges Mitbestimmungsrecht haben Sie als Betriebsrat sogar für einen speziellen Fall:

  • den der veränderten Arbeitssituation und
  • die dadurch notwendig werdende Fortbildung.

Sie als Betriebsrat bestimmen bei der Einführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung sowie deren Durchführung mit bei von Ihrem Arbeitgeber geplanten oder durchgeführten Maßnahmen. Sie müssen allerdings

  • zu einer Veränderung der Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer führen,
  • ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr ausreichen.

Das gilt auch für die Auswahl der Teilnehmer daran. Voraussetzung ist:

  • Ihr Arbeitgeber durchführt diese Maßnahmen,
  • er stellt Arbeitnehmer dafür frei oder
  • er trägt die Kosten auch teilweise.

Dieses Mitbestimmungsrecht können Sie notfalls zwangsweise durchsetzen oder eine Einigungsstelle anrufen. Was diese entscheidet, gilt dann und ersetzt eine Einigung zwischen Ihnen und Ihrem Arbeitgeber.

Autor*innen: Silke Rohde (Silke Rohde ist Rechtsanwältin & Journalistin sowie Chefredakteurin von "Betriebsrat kompakt".), Friedrich Oehlerking (Friedrich Oehlerking ist Journalist und Autor des Werkes Wirtschaftswissen für den Betriebsrat.), Martin Buttenmüller