15.09.2015

Kettenbefristungen: BAG erklärt 10 Befristungen in 15 Jahren für zulässig

Das Thema Kettenbefristungen hat sich zu einem Dauerbrenner in der Arbeitsgerichtsbarkeit entwickelt. Unzählige Arbeitnehmer hangeln sich von Vertrag zu Vertrag und stecken in ihren Befristungskarrieren fest – zumeist ohne Perspektive, irgendwann einmal zur Stammbelegschaft zu gehören. Selbst wenn ein Arbeitnehmer zur Vertretung wegen Kinderbetreuung fast 15 Jahre lang befristet beschäftigt ist, hat er keinen Anspruch auf Festanstellung. Eine so lange Befristung kann nach Ansicht des BAG zulässig sein, wenn der Arbeitgeber von vornherein immer von einem zeitlich begrenzten Vertretungsbedürfnis ausgehen musste.

Unbefristet statt befristet

Arbeitgeber entkräftet Verdacht des Rechtsmissbrauchs

Arbeitsrecht. Ein Arbeitnehmer war vom 01.11.1998 bis zum 31.08.2013 auf der Grundlage von zehn befristeten Arbeitsverträgen als stellvertretender Leiter in der einzigen Küche eines städtischen Alten- und Pflegeheims beschäftigt. Er vertrat während der knapp 15 Jahre die stellvertretende Küchenleiterin, die in diesem Zeitraum aufgrund der Geburt von drei Kindern wegen schwangerschaftsbedingter Erkrankung, Mutterschutz, Erziehungsurlaub, Elternzeit und Sonderurlaub ausfiel. Der Arbeitnehmer erhielt jedes Mal einen neuen befristeten Arbeitsvertrag. Die Laufzeiten der Verträge entsprachen dabei stets dem vom Arbeitgeber prognostizierten Ausfall der stellvertretenden Küchenleiterin. Das letzte befristete Arbeitsverhältnis endete am 31.08.2013. Der Arbeitnehmer erhob Entfristungsklage. Er argumentierte, dass sein Arbeitsverhältnis nicht beendet sei, sondern unbefristet fortbestehe, weil der Arbeitgeber rechtsmissbräuchlich auf befristete Verträge zurückgegriffen habe. Nach fast 15 Jahren habe der Arbeitgeber nicht mehr mit der Rückkehr der stellvertretenden Küchenleiterin rechnen können.

 

Das sagt das BAG zu Kettenbefristungen

Das höchste deutsche Arbeitsgericht war anderer Meinung. Zwar weisen zehn befristete Arbeitsverträge über einen Zeitraum von fast 15 Jahren grundsätzlich auf einen Rechtsmissbrauch hin. Im Streitfall konnte der Arbeitgeber dies jedoch entkräften. Die letzte Befristung aufgrund vorübergehenden Vertretungsbedarfs – wegen Sonderurlaubs der stellvertretenden Küchenleiterin zur Betreuung ihrer drei minderjährigen Kinder – war hier gerechtfertigt. Besteht von vornherein ein zeitlich begrenzter Vertretungsbedarf und muss der Arbeitgeber mit der Rückkehr des ausgefallenen Beschäftigten rechnen, ist eine Befristung zulässig. Dabei muss der befristet eingestellte Arbeitnehmer auch die Tätigkeiten des Vertretenen übernehmen. Für die Beschäftigung des Arbeitnehmers bestand zu keinem Zeitpunkt ein dauerhafter Bedarf. Der bloße Umstand, dass der Arbeitgeber gezwungen ist, wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Arbeitsverträge zurückzugreifen, begründet noch keinen Rechtsmissbrauch. Gerade bei der Betreuung von Kindern können lange Ausfallzeiten entstehen, die einen ebenfalls langen Vertretungsbedarf begründen.

BAG, Urteil vom 29.04.2015, Az.: 7 AZR 310/13

 

Das bedeutet für Sie als Betriebsrat

Arbeitsverträge dürfen nicht endlos befristet werden, ansonsten könnten Arbeitgeber mit dem Instrument der Befristung den Kündigungsschutz umgehen. Bei wiederholten Befristungen sollten Sie deshalb die Anzahl der Verträge sowie die Gesamtdauer im Auge behalten. Eine Häufung aneinandergereihter Befristungen ist ein Indiz für Rechtsmissbrauch. Misstrauisch sollten Sie immer dann werden, wenn die in § 14 Abs. 2 Satz 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) für die sachgrundlose Befristung bezeichneten Grenzen – dreimalige Verlängerung bis zu einer Gesamtdauer von 24 Monaten – erheblich überschritten werden. In einem solchen Fall spricht viel für eine missbräuchliche Verwendung befristeter Verträge zur Deckung eines Dauerbedarfs (BAG, Urteil vom 18.07.2012, Az.: 7 AZR 443/09).

 

Rechtsmissbrauchskontrolle: So prüfen die Gerichte

Greift ein Arbeitgeber immer wieder auf befristete Arbeitsverträge zurück, obwohl er die Möglichkeit hätte, den befristet Beschäftigten dauerhaft einzustellen, handelt er rechtsmissbräuchlich. Diesen Rechtsmissbrauch festzustellen, ist Sache der Gerichte. Welche Gesichtspunkte hierbei von besonderer Bedeutung sind, erfahren Sie anhand der Übersicht.

 

Übersicht: Kriterien der gerichtlichen Befristungskontrolle

  • Gesamtdauer der befristeten Arbeitsverträge
  • Anzahl der Vertragsverlängerungen
  • Beschäftigung des Arbeitnehmers auf demselben Arbeitsplatz
  • Beschäftigung mit denselben Aufgaben
  • Zurückbleiben der Laufzeit des befristeten Arbeitsvertrages hinter dem Vertretungsbedarf
  • Anzahl und Dauer von Unterbrechungen zwischen den befristeten Verträgen
  • branchenspezifische Besonderheiten, z. B. bei Saisonarbeiten

 

Vertretung wegen Kinderbetreuung rechtfertigt Befristung

Fällt ein Arbeitnehmer wegen Kinderbetreuung für längere Zeit aus und engagiert der Arbeitnehmer deshalb eine Ersatzkraft als Vertretung, darf er in aller Regel mit der Rückkehr der Stammkraft rechnen. Sachgrund für die Befristung ist in diesem Fall § 21 Abs. 1 BEEG (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz). Damit kann die Lücke geschlossen werden, die ein/e in Elternzeit scheidende/r Beschäftigte/r aufgrund der Kinderbetreuung hinterlässt.

 

Empfehlung der Redaktion

Sie fanden diese Urteilsbesprechung interessant und wollen regelmäßig über alle wichtigen topaktuellen Urteile informiert werden? Dann empfehlen wir Ihnen unseren Rechtsprechungsreport “Urteilsticker Betriebsrat”, aus dem dieser Artikel stammt.  Der „Urteilsticker Betriebsrat“ erscheint alle zwei Wochen! 

Bestellen Sie Ihr kostenloses Probeexemplar gleich jetzt!

Autor*in: Redaktion Mitbestimmung