22.02.2023

Erreichbarkeit: Berufliche SMS in der Freizeit

In Zeiten der Telearbeit und der mobilen Geräte verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr. Noch „mal kurz“ einen Blick auf die E-Mails oder SMS – oft wird es nicht als wirkliche Arbeit empfunden, was aber nicht korrekt ist. Denn wie ein Urteil des LAG Schleswig-Holstein zeigt, müssen Angestellte nicht auf eine SMS ihres Chefs oder ihrer Chefin reagieren, wenn sie diese außerhalb der Arbeitszeit erhalten. Sie müssen die Nachricht noch nicht einmal lesen.

Erreichbarkeit in der Freizeit

Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit

Im konkreten Fall des LAG Schleswig-Holstein ging es um einen Rettungssanitäter, der von seinem Arbeitgeber eine Abmahnung erhielt und dem Arbeitsstunden abgezogen wurden, weil er zu spät zum Dienst kam. Der Arbeitgeber ging davon aus, dass sein Angestellter verpflichtet sei, sich auch in der Freizeit über spontane Dienstplanänderungen zu informieren. Da dieser die SMS nicht gelesen hatte, kam er durch eine kurzfristige Dienständerung zu spät zur Arbeit. Insgesamt war der Rettungssanitäter in zwei Fällen telefonisch und per SMS und in einem Fall auch per E-Mail für seinen Chef nicht erreichbar gewesen. Entsprechend der nicht gelesenen Dienstplanänderung hätte der Sanitäter seinen Dienst am kommenden Tag um 6 Uhr morgens beginnen sollen. So kam er aber erst um 7:30 Uhr wie ursprünglich geplant. Der Arbeitgeber wertete den Tag als unentschuldigtes Fehlen und zog die Stunden vom Arbeitszeitkonto ab. Außerdem erteilte er ihm für sein Versäumnis zunächst eine Ermahnung und schließlich eine Abmahnung, als es zu einem weiteren, entsprechenden Vorfall kam.

Keine Pflicht zum Lesen einer beruflichen Mitteilung

Der Notfallsanitäter ließ dies nicht auf sich beruhen und klagte vor dem Arbeitsgericht auf Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte. Außerdem erwartete er die Gutschrift der nun fehlenden Stunden auf seinem Stundenkonto. Er sah sich nicht dazu verpflichtet, sich in seiner Freizeit über seine Dienstzeiten zu informieren. Wenn er sich um seine Kinder kümmere, stelle er sein Handy lautlos. Seinem Arbeitgeber warf er vor, dass dieser mit seinem Verhalten eigentlich nur die Rufbereitschaft umgehen und damit Kosten sparen wolle. Zudem fehle es an Diensthandy oder Dienst-PC. Der Arbeitgeber dagegen war der Ansicht, korrekt gehandelt zu haben. Aufgrund einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht sei der Sanitäter dazu verpflichtet, sich über den Dienstbeginn zu erkundigen, auch außerhalb der Arbeitszeit, was aber nicht als Arbeitszeit zu bewerten sei.

Beschäftigte dürfen über ihre Erreichbarkeit in der Freizeit selbst entscheiden

Die Richter im LAG Schleswig-Holstein sahen das anders. In ihrem Urteil erklärten sie, dass Beschäftigte über ihre Erreichbarkeit in der Freizeit selbst entscheiden können. Selbst wenn der Arbeitgeber mit der Aktualisierung des Dienstplans zulässigerweise sein Direktionsrecht im Hinblick auf Zeit und Ort der Arbeitsausübung konkretisiere, habe er nach Meinung der Richter damit rechnen müssen, dass der Sanitäter die erhaltene SMS erst zum Dienstbeginn liest. Denn erst dann ist er zur Arbeit verpflichtet und muss die E-Mails sichten, die zuvor während seiner freien Zeit eingegangen sind. Nach Ansicht des LAG habe sich der Arbeitnehmer nicht treuwidrig verhalten.

Das Lesen einer beruflichen SMS gilt als Arbeitsleistung

Wenn Arbeitgebende von ihren Angestellten erwarten, eine dienstliche SMS auch in der Freizeit zu lesen, so gilt dies als Arbeitsleistung. Dazu zählt auch die Erwartung, dass die Angestellten sich über Zeit und Ort ihrer Arbeitsaufnahme im Internet informieren. Denn das fällt unter das Handeln zur Befriedigung eines fremden Bedürfnisses. Konkret war das Bedürfnis des Arbeitgebers, die Organisation der Arbeitsabläufe durch eine sachgemäße Personalplanung zu gewährleisten. Beschäftigte müssten in der Freizeit aber gerade nicht fremdnützig tätig sein, so das Urteil des LAG (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27. September 2022, Az: 1 Sa 39 öD/22).

Autor*in: Andrea Brill (Andrea Brill ist Pressereferentin und Fachjournalistin.)