12.02.2019

BAG stärkt Gewerkschaften: Streikaufruf auf Betriebsgelände rechtens

Gute Nachrichten aus Erfurt für alle Arbeitnehmervertreter: Das BAG hat in einem Urteil die Rechte der Gewerkschaften im Arbeitskampf gestärkt. Danach darf eine streikführende Gewerkschaft ihre Streikposten auch auf einem Firmenparkplatz aufstellen – vorausgesetzt, es gibt keine anderen Mobilisierungsmöglichkeiten.

Betriebsrat Streikaufruf

Worum geht es?

Mitbestimmung. Ein Online-Versandhändler betreibt in einem außerorts gelegenen Gewerbegebiet ein Versand- und Logistikzentrum. Zu dem von ihm gepachteten Gelände gehören ein Betriebsgebäude, das über einen zentralen Eingang zugänglich ist, sowie ein rund 28.000 qm großer Parkplatz, der für die überwiegend mit dem Auto zur Arbeit kommenden Beschäftigten bestimmt ist. Im September 2015 wurde das Unternehmen an zwei Tagen bestreikt. Die streikführende Gewerkschaft Verdi baute an beiden Tagen auf dem Parkplatz vor dem Haupteingang Stehtische und Tonnen auf und postierte dort sowohl ihre Vertreter als auch streikende Beschäftigte. Diese verteilten Flyer und forderten die zur Arbeit erscheinenden Beschäftigten zur Teilnahme am Streik auf. Zu physischen Zugangsbehinderungen kam es dabei nicht. Als sich bei einem eintägigen Streik im März 2016 die Szenerie wiederholte, zog der Arbeitgeber vor Gericht. Er forderte von Verdi, solche Aktionen künftig zu unterlassen, weil sie nicht vom Streikrecht gedeckt seien, sondern einen rechtswidrigen Eingriff in das Besitz- und Hausrecht des Unternehmens darstellten.

Das sagt das Gericht

Das BAG vertrat eine andere Auffassung und wies die Unterlassungsklage ab. Nach Auffassung der Erfurter Bundesrichter umfasse das Streikrecht die Befugnis einer streikführenden Gewerkschaft, die zur Arbeitsniederlegung aufgerufenen Arbeitnehmer unmittelbar vor dem Betreten des Betriebes anzusprechen, um sie für die Teilnahme am Streik zu gewinnen. Eine solche Aktion könne – abhängig von den konkreten örtlichen Gegebenheiten – mangels anderer Mobilisierungsmöglichkeiten auch auf einem vom bestreikten Arbeitgeber vorgehaltenen Firmenparkplatz vor dem Betriebsgebäude zulässig sein. In einem solchen Fall müsse der Arbeitgeber eine kurzzeitige, situative Beeinträchtigung seines Besitzes hinnehmen. Angesichts der örtlichen Verhältnisse habe die Gewerkschaft nur auf dem Firmenparkplatz vor dem Haupteingang mit den zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmern kommunizieren und im Gespräch versuchen können, auf Arbeitswillige einzuwirken. BAG, Urteil vom 20.11.2018, Az.: 1 AZR 189/17

Das bedeutet für Sie als Betriebsrat

Gewerkschaften ist es grundsätzlich nicht gestattet, auf dem Betriebsgelände Streikposten aufzustellen, weil es dem Arbeitgeber generell nicht zugemutet werden kann, dass seine Betriebsmittel für den Streik genutzt werden. In Ausnahmefällen – wie im Eingangsfall – kann aber aus Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) für den Arbeitgeber die Pflicht erwachsen, Einschränkungen seiner Besitzrechte zu dulden und z. B. einen Streikaufruf einer Gewerkschaft auf dem Firmengelände zu dulden, wenn vor dem Betriebsgelände kein Platz ist, es also keine anderen Mobilisierungsmöglichkeiten gibt.

Hinweis: Gewerkschaft hat Zugangsrecht

Zur Wahrnehmung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben hat eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft gemäß § 2 Abs. 2 BetrVG ein Zugangsrecht zum Betrieb, soweit nicht unumgängliche Notwendigkeiten des Betriebsablaufs, zwingende Sicherheitsvorschriften oder der Schutz von Betriebsgeheimnissen diesem Recht entgegenstehen. Vertreten ist eine Gewerkschaft im Betrieb, wenn sie mindestens ein Mitglied im Betrieb hat, das nicht zu den leitenden Angestellten gehört.

Gesetzgeber verlangt Kooperation zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft

Betriebsrat und Gewerkschaft sollen zum Wohle der Beschäftigten und des Betriebes zusammenarbeiten (§ 2 Abs. 1 BetrVG). Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, kann eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft auf bestimmte Rechte zurückgreifen (vgl. Übersicht).

Übersicht: Rechte der Gewerkschaften nach dem BetrVG

  • Recht auf Einreichung von Wahlvorschlägen für die Betriebsratswahl, § 14 Abs. 3 und 5 BetrVG
  • Antragsrecht hinsichtlich der Bestellung eines Wahlvorstandes, § 16 Abs. 2 BetrVG
  • Recht auf Einberufung einer Betriebs- oder Wahlversammlung zur Bestellung eines Wahlvorstandes in einem betriebsratslosen Betrieb, §§ 17, 17a BetrVG
  • Recht zur Anfechtung der Betriebsratswahl, § 19 Abs. 2 BetrVG
  • Antragsrecht zur Auflösung des Betriebsrats und zum Ausschluss von Betriebsratsmitgliedern aus dem Betriebsrat bei groben Verstößen gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten, § 23 Abs. 1 BetrVG
  • Recht auf Beantragung von Zwangsmaßnahmen gegen den Arbeitgeber bei groben Verstößen gegen Vorschriften der Betriebsverfassung, § 23 Abs. 3 BetrVG
  • Recht auf beratende Teilnahme an Betriebsratssitzungen auf Antrag eines Viertels der Mitglieder des Betriebsrats (Gewerkschaft muss im Betrieb vertreten sein), § 31 BetrVG
  • Recht auf beratende Teilnahme an Betriebs- oder Abteilungsversammlungen, § 46 Abs. 1 BetrVG
Autor*in: Daniel Roth (ist Chefredakteur des Beratungsbriefs Urteils-Ticker Betriebsrat.)