07.02.2019

Eingeschränkte Mitbestimmung des Betriebsrats während eines Streiks

Das Streikrecht ist fest im Grundgesetz verankert und eine wichtige Errungenschaft unserer Demokratie. Es steht allerdings nur den Gewerkschaften zu, d. h. Betriebsräte dürfen keine Streiks ausrufen. Kommt es zu einem Arbeitskampf, kann das auch Auswirkungen auf die Mitbestimmungsrechte nach dem BetrVG haben.

Betriebsräte dürfen nicht zum Streik aufrufen

Die Rechtsgrundlage für die Stellung des Betriebsrats im Arbeitskampf findet sich in § 74 Abs. 2 BetrVG. Danach sind Arbeitskampfmaßnahmen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unzulässig. Der Betriebsrat muss als Gremium und als „Organ der Betriebsverfassung“ somit auf jede Arbeitskampfmaßnahme verzichten; der Betriebsrat darf z. B. die Arbeitnehmer weder zum Streik noch zu einer Betriebsbesetzung aufrufen.

Mitbestimmungsrechte sind unter Umständen eingeschränkt

Das Betriebsratsamt als solches besteht mit seinen Rechten und Pflichten während eines Arbeitskampfes weiter. Allerdings ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Arbeitskampf eingeschränkt. Dies gilt

  • für Vorbereitungshandlungen des Arbeitgebers für Arbeitskampfmaßnahmen,
  • bei Maßnahmen zur Abwehr von Folgen eines Arbeitskampfes, etwa bei der Anordnung von Überstunden für arbeitswillige Arbeitnehmer während des Streiks,
  • bei der Veränderung der Werksausweise nicht ausgesperrter Arbeitnehmer oder
  • bei arbeitskampfbedingten Einstellungen, Versetzungen und Entlassungen.

Voraussetzung für die Einschränkung des Mitbestimmungsrechts ist, dass durch die Beteiligung des Betriebsrats die Freiheit des Arbeitgebers, Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen oder Folgen eines Arbeitskampfes zu begegnen, unmittelbar in ihrem Kernbereich beeinträchtigt wird. Dagegen bedarf es keiner Einschränkung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Maßnahmen des Arbeitgebers, die keine Wirkungen auf das Kampfgeschehen entfalten. Abgesehen von den hier genannten Einschränkungen nimmt der Betriebsrat während eines Arbeitskampfes seine Aufgaben nach dem BetrVG wahr wie sonst auch.

Hinweis: Die Mitglieder des Betriebsrats dürfen mitstreiken

Die einzelnen Mitglieder des Betriebsrats können wie alle anderen Arbeitnehmer am Streik teilnehmen, zu Kampfmaßnahmen Stellung nehmen oder Urabstimmungen organisieren; nur dem Gremium als solchem ist das verboten.

Betriebsrat darf Arbeitskampfmaßnahmen des AG nicht verhindern

Der Arbeitgeber soll genauso wie die Gewerkschaft das Recht haben, Arbeitskampfmaßnahmen durchzuführen. Deshalb sind die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats z. B. dann eingeschränkt, wenn er mit deren Ausübung diese Maßnahme verhindern könnte. Hier ein Beispiel: Ordnet der Arbeitgeber Mehrarbeit an, stellt dies eine Kampfmaßnahme dar. Das gilt natürlich nur dann, wenn dies während eines Streiks geschieht und ein Zusammenhang besteht. Durch die Anordnung von Mehrarbeit kann die Geschäftsleitung etwa versuchen, das mit einem Warnstreik verfolgte Ziel der zeitweisen Stilllegung des Betriebs durch den Einsatz arbeitswilliger Beschäftigter zu unterlaufen. So kann er Störungen im Betriebsablauf geringer halten.

Mitbestimmungsrecht darf „Kampffähigkeit des Arbeitgebers“ nicht behindern

Das BAG hat bereits vor Jahren klargestellt, dass keine der Tarifvertragsparteien (Arbeitgeber und Gewerkschaft) der anderen von vornherein ihren Willen aufzwingen soll, sondern annähernd gleiche Verhandlungschancen anzustreben sind. Deshalb müssen die Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte des Betriebsrats zurückstehen, wenn ansonsten durch „deren Ausübung die Kampffähigkeit des Arbeitgebers ernsthaft beeinträchtigt wird“ (vgl. BAG, Beschluss vom 13.12.2011, Az.: 1 ABR 2/10). Das bedeutet z. B. konkret: Verlängert der Arbeitgeber während eines Streiks aus streikbedingten Gründen die betriebliche Arbeitszeit vorübergehend, darf er das ohne die Zustimmung des Betriebsrats (vgl. BAG, Beschluss vom 10.12.2002, Az.: 1 ABR 7/02). Denn müsste die Arbeitnehmervertretung die Mehrarbeit wie sonst absegnen, wäre die Geschäftsleitung gegenüber der Gewerkschaft benachteiligt.

Mitbestimmung ist nur bei direkten Arbeitskampfmaßnahmen eingeschränkt

Dass der Arbeitgeber die Mehrarbeit alleine anordnen kann, ist aber eine Ausnahme und wirklich nur auf den unmittelbaren Arbeitskampf ausgelegt. Er muss z. B. sofort dann wieder den Betriebsrat um Zustimmung bitten und diese abwarten, wenn es darum geht, die Folgen des Streiks in den Griff zu bekommen. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Streikmaßnahme beendet ist und der Arbeitgeber durch Aufarbeitung des streikbedingten Arbeitsausfalls lediglich reagiert, ohne andere Arbeitnehmer als die Arbeitsplatzinhaber einzusetzen oder sonst den Kampfrahmen zu überschreiten, um  zusätzlichen Druck auf die Gewerkschaft auszuüben (vgl. Hessisches LAG, Az.: 5 TaBV 196/15).

Weitere Einschränkungen der Mitbestimmung

Auch bei streikbedingten Schichtverschiebungen kann der Arbeitgeber ohne Beteiligung des Gremiums entscheiden. Dasselbe gilt für Versetzungen und Einstellungen von Streikbrechern gemäß § 99 BetrVG. Allerdings haben Sie in diesen Fällen das Recht darauf, wenigstens über die personellen Maßnahmen informiert zu werden (BAG vom 10.12.2002). Will der Arbeitgeber einem Beschäftigten während eines Streiks kündigen, ist der Betriebsrat regulär gemäß § 102 BetrVG anzuhören. Das gilt zumindest dann, wenn die Kündigung aus anderen als arbeitskampfbedingten Gründen erfolgt (BAG vom 06.03.1979). Betriebsversammlungen darf der Betriebsrat übrigens in der Regel auch während eines Streiks abhalten. Einzige Einschränkung ist, dass als Thema alle Arbeitskampfmaßnahmen bzw. solche, die der Vorbereitung eines Arbeitskampfs dienen, wie die Durchführung einer Urabstimmung oder die Erörterung möglicher Kampfmaßnahmen, unzulässig sind. Die Tarifforderungen dürfen aber diskutiert werden.

Arbeitgeber muss Streikaufruf im Intranet nicht dulden

Im folgenden Fall ging es darum, dass ein Betriebsratsvorsitzender in dieser Funktion zu einem Warnstreik aufrief. Das durfte er nicht, wie das Arbeitsgericht entschied:

Der Streitfall: Darf ein Betriebsratsvorsitzender zum Warnstreik aufrufen?

Der Arbeitgeber betreibt ein Krankenhaus mit 870 Beschäftigten. Der an dem Verfahren beteiligte Arbeitnehmer ist Betriebsratsvorsitzender und Mitglied von ver.di. Nach einer Anordnung des Arbeitgebers ist die Nutzung des Intranets ausschließlich dienstlichen Zwecken vorbehalten. Für den 13. April 2011 rief ver.di zu einem Warnstreik beim Arbeitgeber auf. Diesen Aufruf leitete der Arbeitnehmer über das Intranet des Arbeitgebers an alle Mitarbeiter weiter. Er rief die Beschäftigten auf, sich an dem Streik zu beteiligen. Er signierte die E-Mail mit den Worten: „Für die ver.di-Betriebsgruppe“ und fügte seinen Namen an. Der Arbeitgeber meint, ihm stehe wegen der Verletzung von § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ein Unterlassungsanspruch zu. Der Arbeitnehmer hat sich darauf berufen, nicht als Betriebsratsvorsitzender, sondern als Mitglied der ver.di-Betriebsgruppe gehandelt zu haben.

Die Entscheidung des BAG: Ein Betriebsratsvorsitzender darf nicht zum Streik aufrufen

Der Arbeitnehmer verlor vor dem BAG. Nach Auffassung der Richter ergibt sich zwar aus § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG kein Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers. Dieser folge jedoch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Danach könne der Eigentümer vom Störer die Unterlassung weiterer Beeinträchtigungen seines Eigentums verlangen. Hierfür sei es unerheblich, ob dem Arbeitnehmer der dienstlichen Zwecken vorbehaltene Intranetzugang in seiner Funktion als Amtsträger oder unabhängig davon zur Verfügung gestellt wurde. Der Arbeitgeber sei nicht verpflichtet, die Verbreitung von Streikaufrufen über sein Intranet gemäß § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden. Von ihm könne nicht verlangt werden, durch eigene Betriebsmittel die koalitionsspezifische Betätigung eines Arbeitnehmers in einem gegen ihn gerichteten Arbeitskampf zu unterstützen. BAG, Beschluss vom 15.10.2013, Az.: 1 ABR 31/12

Das bedeutet für Sie als Betriebsrat

Nach der Entscheidung sind Arbeitnehmer nicht berechtigt, einen vom Arbeitgeber für dienstliche Zwecke zur Verfügung gestellten personenbezogenen E-Mail-Account (Vorname.Name@Arbeitgeber.de) für die betriebsinterne Verbreitung eines Streikaufrufs ihrer Gewerkschaft an die Belegschaft zu nutzen. Das Problem dabei war, dass die Nutzung der Betriebsmittel zum Streikaufruf den Arbeitgeber letztlich dazu zwingen würde, einen Streikaufruf gegen sich selbst zumindest mittelbar zu unterstützen

Autor*in: Silke Rohde (ist Rechtsanwältin & Journalistin sowie Chefredakteurin des Fachmagazins Betriebsrat KOMPAKT.)