16.10.2023

Unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung: Einspruchsfrist ein Jahr

Errare humanum est – Irren ist menschlich. Schließlich: Es irrt der Mensch, solang er strebt. Und da auf dem Amt auch nur Menschen an Computern arbeiten, kommen Fehler vor. Mit Folgen für Belehrungen. Belehrt das Amt fehlerhaft über Rechtsbehelfe, stoppt der Zeitablauf.

Unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung

Was ist eine Rechtsbehelfsbelehrung?

Laienhaft ausgedrückt, ein Hinweis für Sie als Staatsbürger über einen Rechtsbehelf, um sich gegen eine Entscheidung der Exekutive oder der Judikative zu wehren. Fachlich korrekt ausgedrückt, eine Rechtsbehelfsbelehrung die Belehrung darüber, ob und wie eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung durch einen Rechtsbehelf angegriffen werden kann.

Man unterscheidet:

  • förmliche Rechtsbehelfe: sind an bestimmte Formen oder Fristen gebunden. Zu den förmlichen Rechtsbehelfen gehören insbesondere:
    • Rechtsmittel der Berufung, Revision und der Sprung-Revision
    • Einspruch
    • Widerspruch
    • Beschwerde
    • Erinnerung
    • Anhörungsrüge
    • Befangenheitsantrag
    • Antrag auf Widereinsetzung in den vorigen Stand.
  • formlose Rechtsbehelfe wie z.B.:
    • Aufsichtsbeschwerden
    • Gegenvorstellung
    • Petition

Regelmäßig bedürfen lediglich die förmlichen Rechtsbehelfe einer Rechtsbehelfsbelehrung.

Ist die Rechtsmittelbelehrung immer Pflicht?

Nahezu im deutschen Recht mittlerweile in allen Rechtsgebieten:

  • Verwaltungsrecht: Nach § 58 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn Sie als Beteiligter belehrt worden sind:
    • über den Rechtsbehelf,
    • über die Verwaltungsbehörde oder
    • über das Gericht, bei denen Sie den Rechtsbehelf anbringen,
    • über den Sitz und
    • über die einzuhaltende Frist
    • schriftlich oder
    • elektronisch
    • Erweiterung der Rechtsbehelfseinlegungsfrist auf ein Jahr Zustellung des Urteils bzw. Verkündung des Verwaltungsaktes, wenn Vorgaben nicht eingehalten worden sind oder eine Belehrung unterblieben ist.
  • Strafrecht: nach § 35a Strafprozessordnung (StPO) ist im Strafprozess zudem unmittelbar mit der Urteilsverkündung über die zutreffenden Rechtsmittel zu belehren. Hier führt eine fehlende oder falsche gebotene Rechtsbehelfsbelehrung nicht zu einer Verlängerung der Rechtsmitteleinlegungsfrist. Für Sie als Betroffener besteht nach § 44 StPO allerdings die Möglichkeit, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen.
  • Zivilrecht: Die Pflicht zur Rechtsmittelbelehrung schreibt hier seit 2014 § 232 der Zivilprozessordnung (ZPO) zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften vor. Danach enthält jede gerichtliche Entscheidung eine Belehrung über:
    • das statthafte Rechtsmittel (mit Ausnahme der Sprungrevision, vgl. § 232 Satz 3 ZPO)
    • den Sitz des Gerichts
    • die einzuhaltende Form und Frist
    • Einspruch
    • Widerspruch
    • Erinnerung.

Etwas anders gilt nur in Verfahren, in denen sich die Parteien durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen (§ 232 Satz 2 ZPO).

  • Arbeitsrecht (§ 9 Arbeitsgerichtsgesetz ArbGG) und
  • Familienrecht (§ 39 FamFG): Wie im Straf- und Zivilprozess mit der Ausnahme, alle mit einem befristeten Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen oder zumindest darüber zu belehren, dass gegen die etwaige Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben ist. Es handelt sich insoweit um eine Rechtsmittelbelehrung, da sonstige Rechtsbehelfe nicht erfasst werden.

Wie sieht es die Rechtsprechung, wenn es zu Fehlern kommt?

Unterschiedlich, aber ziemlich eindeutig auf Seiten des Bürgers. So erkannte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Magdeburg (Beschluss vom 08.10.2014, Az. 3 L 5/13), dass ein Zusatz einer Amtsperson unter eine Rechtsbehelfsbelehrung geeignet war, die Einlegung des Rechtsbehelfs zu erschweren. Somit habe die Gefahr bestanden, dass damit die Jahresfrist in Lauf gesetzt sein könnte. Eine Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelbelehrung könne jederzeit nachgeholt oder berichtigt werden unter der Voraussetzung, dass die Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelfrist – bei einer unrichtigen Belehrung ein Jahr – noch nicht abgelaufen ist.

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Die Monatsfrist beginne dann erst mit der Bekanntgabe der fehlerfreien nachträglichen Belehrung zu laufen. Die Behörde im Magdeburger Fall erließ daraufhin einen vollständigen Bescheid mit berichtigter Rechtsbehelfsbelehrung. Die Monatsfrist begann somit erst mit der Bekanntgabe dieses Bescheids zu laufen. Bei diesem Bescheid handelt es sich nicht um einen Zweitbescheid, sondern um eine wiederholende Verfügung, mit der Folge, dass sich die mit dem genannten Bescheid nachträglich berichtigte bzw. nachgeholte Belehrung zugleich auf den vorausgegangenen Bescheid bezieht.

Wie urteilt sie bei unrichtiger Belehrung?

Ähnlich. In einem vom Bundesfinanzhof (BFH) zu entscheidenden Fall wie die Rechtsbehelfsbelehrung nicht auf die Möglichkeit der elektronischen Einreichung des Einspruchs hin; deswegen sei diese unrichtig (BFH vom 28.04.2020, Az.: VIR-41/17). Bei unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung starte die Monatsfrist für den Einspruch nicht. Vielmehr gilt, dass ein Einspruch dann innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe eingelegt werden muss. Das war im Streitfall noch möglich. Der Einspruch war damit zulässig.

Worum ging es in diesem Streitfall?

Um einen Lohnsteuernachforderungsbescheid. Diesen hatte ein Finanzamt erlassen aufgrund einer Betriebsprüfung mit dem Ergebnis, Teile einer Weihnachtsfeier einer Steuerpflichtigen seien lohnsteuerpflichtig. Der Nachforderungsbescheid wurde mangels Einspruchs bestandskräftig. Er enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung. Diese enthielt aber keinen Hinweis auf die Möglichkeit, den Einspruch auch elektronisch einzureichen. Nach Ablauf der einmonatigen regulären Einspruchsfrist wollte sich der Steuerpflichtige doch noch gegen den Steuerbescheid wehren und legte, wenn auch eben grundsätzlich verspätet Einspruch gegen den Bescheid ein.

Was sagten Finanzamt und Finanzgericht dazu?

Das Finanzamt (FA) verwarf den Einspruch als unzulässig. Er sei verfristet. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne wegen der schuldhaften Fehladressierung des Einspruchsschreibens nicht gewährt werden. Die Sache ging vor das Finanzgericht (FG). Dieses gab der Klage statt. Die Steuerpflichtige habe die Einspruchsfrist des § 355 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) gewahrt. Nach § 357 Abs. 2 Satz 4 AO sei die Anbringung bei einer anderen Behörde oder wie hier einem anderen FA unschädlich, wenn der Einspruch vor Ablauf der Einspruchsfrist der zuständigen Behörde übermittelt werde. Davon sei in diesem Fall auszugehen. Denn nach § 357 Abs. 2 Satz 4 AO gilt ein Einspruch bereits im Zeitpunkt der Vornahme der Übermittlungshandlung als übermittelt (Absenden durch das unzuständige FA an das zuständige FA).

Bezüglich eines Mitarbeiterfestes 2008 bestehe zwischen den Beteiligten Einigkeit darüber, dass die Lohnsteuernachforderung in Höhe von 15.974,11 Euro materiell rechtswidrig sei. Die Nachforderung im Hinblick auf ein weiteres Mitarbeiterfest 2011 sei ebenfalls rechtswidrig. Das FG sei davon überzeugt, dass bei der Aufteilung der Gesamtkosten des Mitarbeiterfests von mindestens 596 Personen auszugehen sei mit der Folge, dass die Freigrenze von 110 Euro nicht überschritten sei. Das FA ging in die Revision.

Befand der BFH den Einspruch für zulässig?

Ja, allerdings hob er das FG-Urteil auf und verwies die Sache zurück zur anderweitigen Entscheidung. Das FG habe zwar im Ergebnis damit Recht, dass die Klägerin die Einspruchsfrist gewahrt habe und der angefochtene Lohnsteuernachforderungsbescheid betreffend das Mitarbeiterfest 2008 rechtswidrig sei. Ob das FG aber zu Recht davon ausgegangen ist, dass der Lohnsteuernachforderungsbescheid auch hinsichtlich des Mitarbeiterfests 2011 rechtswidrig ist, könne der BFH mangels entsprechender Feststellungen nicht abschließend überprüfen.

Das FG sei ebenfalls zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin den auf den 28.11.2013 datierten Einspruch nicht verspätet, sondern innerhalb der Einspruchsfrist eingelegt habe. Für den BFH unwichtig war dabei, ob ein Einspruch bereits im Zeitpunkt der Vornahme der Übermittlungshandlung (Absenden durch das unzuständige FA an das zuständige FA) und nicht erst im Zeitpunkt des Übermittlungserfolgs (Eingang beim zuständigen FA) übermittelt wird. Im vorliegenden Fall betrage die Einspruchsfrist ein Jahr. Grundsätzlich und nach den bindenden Feststellungen des FG sei der Einspruch von der Klägerin fristgerecht eingelegt worden. Die Klägerin haben den Einspruch gemäß § 356 Abs. 2 Satz 1 AO fristwahrend binnen eines Jahres seit der Bekanntgabe des Lohnsteuernachforderungsbescheids einlegen. Unstreitig ist der von dem unzuständigen anderen FA weitergeleitete Einspruch bei dem zuständigen FA innerhalb der Jahresfrist eingegangen.

Es galt die Jahresfrist, da die dem streitigen Lohnsteuernachforderungsbescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung i.S. von § 356 Abs. 2 Satz 1 AO unrichtig erteilt worden sei. Sie weise entgegen dem Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO nicht auf die Möglichkeit der elektronischen Einreichung des Einspruchs hin. Lediglich eine Rechtsbehelfsbelehrung, wenn sie vor der zum 01.08.2013 in Kraft getretenen Neufassung des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO ergangen ist, hätte keinen Hinweis auf die Möglichkeit einer elektronischen Einspruchseinlegung enthalten müssen.

Das FG habe schließlich den Wert der den Arbeitnehmern anlässlich des Mitarbeiterfests 2011 zugewandten Leistungen fehlerhaft berechnet. Denn es habe bei der Berechnung, ob die 110 Euro-Freigrenze überschritten ist, die Gesamtkosten der Klägerin nicht auf die nach seiner Überzeugung bei der Veranstaltung anwesenden 592 Mitarbeiter der Klägerin und eines verbundenen Unternehmens aufgeteilt, sondern den Teilnehmerkreis rechtsfehlerhaft um vier Personen aus dem Kreis der weiteren Anwesenden (wie etwa Künstler, Eventmanager, Fotograf, Busfahrer u.a.) erweitert.

Was bedeutet das für Ihre Praxis als Arbeitgeber?

Das in einem solchen Fall ein Einspruch auch nach der Monatsfrist ausnahmsweise zulässig ist. Nach § 355 Abgabenordnung (AO) ist ein Einspruch zwar innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids einzulegen. Bekanntgabe bedeutet im Normalfall gesetzlich fingiert drei Tage nach Datum des Steuerbescheids, wenn dieser per Post verschickt wurde.

Autor*in: Franz Höllriegel