11.01.2024

Pflicht zur Arbeitszeiterfassung?

Gehört die Erfassung von Arbeitszeit zu Ihren Aufgaben als Arbeitgeber? Zwei Juristen, drei Antworten: je nachdem, welchem Gesetzgeber man folgt. Der deutsche sagte: wir müssen prüfen. Der europäische: schon lange. Dem schloss sich das BAG an. Der Gesetzgeber überlegt weiter.

Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

Wie ist die Rechtslage zur Arbeitszeiterfassung?

Etwas verworren, aber schon etwas klarer als noch vor einem Jahr.

Woran hapert es?

Eigentlich nur noch am deutschen Gesetzgeber. Der europäische Gesetzgeber hat bereits vor vier Jahren gesagt, wo es lang gehen soll. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in einem Urteil vom 14.05.2019 (Az.: C-55/18) die Mitgliedstaaten der EU verpflichtet, den Betrieben die Einführung von Zeiterfassungssystemen aufzuerlegen, um die tägliche Arbeitszeit zu messen. Die juristische Fachliteratur sah daraufhin überwiegend nun zunächst den Gesetzgeber gefordert, eine entsprechende gesetzliche Regelung zu treffen und Sie als Arbeitgeber bis dahin noch nichts zu veranlassen bräuchten.

Worum ging es in dem Fall vor dem EuGH?

Um einen Fall in Spanien, dessen Recht in diesem Punkt mit der deutschen Gesetzeslage vergleichbar ist. Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz (ArbZG) waren Sie als Arbeitgeber nicht verpflichtet, die gesamte Arbeitszeit Ihrer Mitarbeiter zu erfassen, sondern gemäß § 16 ArbZG

  • nur die über acht Stunden hinausgehende werktägliche Arbeitszeit sowie
  • die Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen.

Wie reagierte der deutsche Gesetzgeber darauf?

Er blieb nach dem Luxemburger Richterspruch untätig. Lediglich im Koalitionsvertrag von 2021 fand sich ein nebulöser Hinweis, man prüfe „im Dialog mit den Sozialpartnern“, welcher Anpassungsbedarf angesichts der Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitszeitrecht bestehe und dass dabei flexible Arbeitszeitmodelle wie z. B. Vertrauensarbeitszeit aber weiterhin möglich sein sollten.

Da blieb der deutschen Rechtsprechung erst einmal nichts zu tun?

Könnte man glauben; aber mit seiner Entscheidung vom 13.09.2022 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) dann doch die Initiative ergriffen. Es konstatiert, dass bereits nach geltendem Recht Sie als Arbeitgeber verpflichtet seien, die gesamte Arbeitszeit zu erfassen. Konkrete Vorgaben macht das BAG nicht, lässt aber Tendenzen erkennen. Für Juristen gibt es hier in vielen Punkten Raum für unterschiedliche Interpretationen.

Wie kommt das BAG zu seiner Entscheidung?

Es folgert Ihre Pflicht als Arbeitgeber nicht aus den speziellen Regelungen des Arbeitszeitgesetzes, sondern aus dem allgemeinen Arbeitsschutz gemäß § 3 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Danach sind Sie als Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen.

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Zu Planung und Durchführung dieser Maßnahmen sorgen Sie als Arbeitgeber für eine geeignete Organisation und stellen die erforderlichen Mittel bereit. Deshalb seien Sie als Arbeitgeber – dem Urteil des EuGH entsprechend – verpflichtet, ein System zu schaffen, das die gesamte täglich geleistete Arbeitszeit einschließlich der Überstunden erfasst. Das BAG führt Ruhepausen in seiner Entscheidung nicht explizit auf. Diese dürften aber zumindest indirekt über die Aufzeichnung des Beginns und des Endes der Arbeitszeit dokumentiert werden. Ein pauschaler Abzug von Pausen ist eher nicht zulässig.

Wie stellt sich das BAG die Form der Erfassung konkret vor?

Dafür besteht nach dem Urteil des BAG weiterhin Spielraum. Auch unter Berücksichtigung der EuGH-Entscheidung dürfte daher jede Form der Zeiterfassung ausreichen, Voraussetzung: sie erfolgt mittels eines „objektiven und zuverlässigen“ Systems. Trotzdem ist eine elektronische Arbeitszeiterfassung nach Meinung des BAG nicht zwingend erforderlich. Vielmehr kann weiterhin ein Stundenzettel genutzt werden, um Arbeitszeiten schriftlich zu erfassen. Als Unternehmen berücksichtigen Sie bei der Wahl des Zeiterfassungssystems

  • die Besonderheiten der jeweils betroffenen Tätigkeitsbereiche der Beschäftigten sowie
  • die Eigenheiten Ihres Unternehmens,
  • seine Größe.

Das BAG verlangt aber, dass Sie als Arbeitgeber bei Auswahl und Ausgestaltung des Arbeitszeiterfassungssystems die Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen unterordnen. Die Kostenfrage allein ist daher für Sie als Arbeitgeber kein taugliches Entscheidungskriterium bei der Frage der Auswahl des individuellen Arbeitszeiterfassungssystems.

Sollen Sie auch die Arbeitszeit leitender Angestellter erfassen?

Auch dazu liefert die Entscheidung des BAG keine endgültige Antwort. Es dürfte – so nimmt die Fachwelt an – davon ausgehen, dass leitende Angestellte nicht unter die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung fallen. Ebenso wenig wie Geschäftsführer oder sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis. Auch insoweit bleibt eine gesetzliche Neuregelung abzuwarten.

Können Sie als Unternehmen die Zeiterfassung delegieren?

Nein. Ihre Pflicht als Arbeitgeber besteht nicht nur darin, das System der Zeiterfassung zu schaffen, die Benutzung aber den Mitarbeitern freizustellen. Das BAG geht zwar zunächst davon aus, dass Sie als Arbeitgeber die Aufzeichnung der Arbeitszeiten an die Arbeitnehmer delegieren können. Sie dürfen es jedoch nicht dabei bewenden lassen, das System der Zeiterfassung zur freigestellten Nutzung zur Verfügung zu stellen. Ihr System muss vielmehr tatsächlich genutzt werden. Sie als Arbeitgeber kontrollieren die Nutzung zumindest stichprobenartig. Außerdem sollten Sie als Arbeitgeber Ihre Mitarbeiter ausdrücklich anweisen, ihre Arbeitszeiten ordnungsgemäß zu erfassen.

Ist Vertrauensarbeitszeit weiterhin erlaubt?

Ausgenommen Ihre leitenden Angestellten ist die Vertrauensarbeitszeit zukünftig nicht mehr in der Form zulässig, dass Ihre Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten generell nicht erfassen müssen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Vertrauensarbeit mit freier Planung der Zeiteinteilung künftig gar nicht mehr möglich ist, sondern nur, dass auch Ihre in Vertrauensarbeitszeit tätigen Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten erfassen und Sie als Arbeitgeber diese Zeiten kontrollieren.

Hierbei können Sie als Arbeitnehmer das meiste selbst bestimmen. Sie werden in Ihrem Unternehmen je nach Tätigkeit und Hierarchieebene Vertrauensarbeit praktizieren. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass keine Zeiterfassung stattfindet und auch kein Arbeitszeitkonto geführt wird. Sie geben Ihrem Mitarbeiter lediglich einen gewissen täglichen Zeitrahmen vor, in dem er arbeiten kann. Verstöße gegen Höchstarbeitszeiten oder gegen ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit waren schon vor der Verschärfung der Rechtslage grundsätzlich unzulässig und unterlagen außerdem schon immer der Aufzeichnungspflicht nach § 16 ArbZG.

Müssen Sie als Arbeitgeber Sanktionen befürchten?

Noch nicht. Sanktionen brauchen Sie wegen eines Verstoßes gegen die Arbeitszeiterfassungspflicht nach gegenwärtiger Rechtslage nicht unmittelbar zu befürchten. Verstöße gegen das ArbZG sind zwar mit einem Bußgeld von bis zu 30.000 Euro bedroht. Da das BAG die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung jedoch nicht aus dem Arbeitszeitgesetz herleitet, sondern aus dem Arbeitsschutzgesetz, scheidet das ArbZG als gesetzliche Grundlage für die Verhängung eines Bußgeldes aus. Ein Verstoß gegen § 3 ArbSchG, die Vorschrift, mit der das BAG eine Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung begründet, ist hingegen nicht bußgeldbewehrt.

Es ist allerdings denkbar, dass die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden im Rahmen von Routinebesichtigungen und -überprüfungen von Betrieben die neuen Vorgaben zur Zeiterfassung überprüfen. Wird bei der Überprüfung ein Verstoß festgestellt, kann die Behörde im Einzelfall anordnen, welche Maßnahmen Sie als Arbeitgeber zur Erfüllung Ihrer Pflichten zu treffen haben. Erst wenn die zuständige Behörde die Einführung des Arbeitszeitsystems angeordnet hat und Sie als Arbeitgeber einer Anordnung zuwiderhandeln, kann sie ein Bußgeld bis zu 30.000 Euro verhängen.

Das BAG überholt den Gesetzgeber?

Ja, aber das will sich die Politik jetzt aber offenbar nicht gefallen lassen – wohl in Folge des Urteils des BAG. Sie hat das Thema Arbeitszeiterfassung selbst in die Hand genommen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat am 27.03.2023 einen ersten Referentenentwurf für ein neues Arbeitszeitgesetz vorgelegt. Es soll die gewünschte Klarheit für die betriebliche Praxis bringen. Dieser widerspiegelt zwar die gerichtlichen Vorgaben, belässt aber Ihnen als Unternehmen in der konkreten Anwendung wenig Spielraum und wäre nach Ansicht von Experten der notwendigen Flexibilisierung der Arbeitszeit in der digitalen Welt und auf dem modernen Arbeitsmarkt kaum zuträglich.

In der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Bundestages am 09.10.2023 betonte Jan Dannenbring vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZdH) den Grundsatz der Formfreiheit dser Arbeitszeiterfassung. Sie müsse flexibel gehandhabt werden können. Im Baugewerbe gebe es Arbeitsplätze, die der elektronischen Zeiterfassung Grenzen setzen, etwa bei wechselnden Einsatzorten. Viele kleinere Unternehmen würden dadurch überfordert. Dannenbring plädierte für die Tarifbindung, um in Tarifverträgen flexible Regelungen zu bekommen. Aus seiner Sicht wäre es wünschenswert, wenn der Gesetzgeber Tarif-Öffnungsklauseln ermöglichen würde.

Worauf legt der Referentenentwurf des BMAS besonderen Wert?

Er will Sie als Arbeitgeber verpflichten, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jeweils am Tag der Arbeitsleistung der betroffenen Arbeitnehmer, d.h. nach dem ArbzG alle Arbeiter und Angestellten und die zur Berufsausbildung Beschäftigten, mithin neben Azubis auch Praktikanten, Volontäre oder Studenten eines dualen Studiengangs elektronisch aufzuzeichnen und für mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Nicht erfasst der Entwurf Beamte und Richter.

Vertrauensarbeit will der Entwurf als flexibles Arbeitszeitmodell erhalten, bei dem Sie als Arbeitgeber im Einverständnis mit Ihrem Arbeitnehmer auf eine spezifische Fixierung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verzichten. Eine Vereinbarung einer Delegierung und eines Kontrollverzichts zwischen Ihnen als Arbeitgeber und Ihrem Arbeitnehmer bliebe weiter möglich, wenngleich die Restriktionen letztlich eine Neudefinition des traditionellen Verständnisses von Vertrauensarbeit als einvernehmlicher Verzicht der Arbeitszeitaufzeichnung zwischen Ihnen Arbeitgeber und Ihrem Arbeitnehmer herbeiführt.

Autor*in: Franz Höllriegel