12.03.2018

EU: Deutschland handhabt Mehrwertsteuer zu großzügig

Deutsche Landwirte können ihre Vorsteuer pauschal abgelten – allerdings nur dann, wenn die normale Abgeltung sie bürokratisch überfordern würde. So will es ein EU-Richtlinie. Eigentlich. Doch in Deutschland legt man sie weiter aus. Mittlerweile rechnen auch große Agrarkonzerne pauschal ab. Die EU wirft Deutschland jetzt vor, mit der Mehrwertsteuer zu großzügig umzugehen.

Pauschale Mehrwertsteuer für die deutsche Landwirtschaft ist der EU zu großzügig.

EU-Vorwurf gegen Mehrwertsteuer in der Landwirtschaft

„Reicht man ihnen den kleinen Finger, nehmen sie den ganzen Arm.“ Auf diesen Punkt ließe sich der Vorwurf bringen, den die EU-Kommission jetzt gegen einen Teil der deutschen Landwirte erhebt. „Agrarheute“ berichtet. Laut diesem Bericht hat sich die EU offiziell an die Bundesregierung gewandt. In einem Schreiben greift sie die deutsche pauschale Mehrwertsteuer für Landwirte an.

Vor dem Wochenende hat die Brüsseler Behörde diese demnach schriftlich aufgefordert, sich zur Anwendung der Vorsteuerpauschale zu äußern.

Hier geht es zur Website von Agrarheute – Nachrichten für die Landwirtschaft.

Mehrwertsteuer: EU-Richtlinie gestattet pauschale Regelung

Zwar erlaubt die EU-Mehrwertsteuer-Richtlinie von 2006 den Mitgliedstaaten eine pauschale Regelung für Landwirte. Ihr zufolge sollen „die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, eine Sonderregelung anzuwenden, die zugunsten der Landwirte, die nicht unter die normale Regelung fallen, einen Pauschalausgleich für die Vorsteuerbelastung enthält“.

Diese Regelung sollte in ihren wesentlichen Grundsätzen festgelegt werden. Für die Erfordernisse der Erhebung der Eigenmittel sollte ein gemeinsames Verfahren für die Bestimmung des von diesen Landwirten erzielten Mehrwerts definiert werden, heißt es im Wortlaut der Richtlinie.

Ausgleich für die Belastung durch die Mehrwertsteuer

Nach Artikel 296 der Richtlinie können Mitgliedstaaten auf landwirtschaftliche Erzeuger, bei denen die Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung auf Schwierigkeiten stoßen würde, eine Pauschalregelung anwenden. Damit wollte man einen Ausgleich für die Belastung durch die Mehrwertsteuer, die auf die von den Pauschallandwirten bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen gezahlt wird, schaffen.

Diese Regelung sei jedoch, so die Kommission laut „agrarheute“, für Betriebe gedacht, die mit der normalen Mehrwertsteuerregelung administrativ überfordert wären. Ihr zufolge wendet Deutschland die Pauschalregelung jedoch standardmäßig auf alle Landwirte an, auch auf Eigentümer großer landwirtschaftlicher Betriebe, bei denen derartige Schwierigkeiten gar nicht aufträten.

Mitgliedstaat kann Gruppen ausnehmen

Tatsächlich führt der betreffende Artikel der Richtlinie hierzu aus, dass jeder Mitgliedstaat bestimmte Gruppen landwirtschaftlicher Erzeuger sowie diejenigen landwirtschaftlichen Erzeuger, bei denen die Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung oder gegebenenfalls der vereinfachten Bestimmungen des Artikels 281 keine verwaltungstechnischen Schwierigkeiten mit sich bringt, von der Pauschalregelung ausnehmen „kann“.

Zudem habe jeder Pauschallandwirt nach den von den einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten und Voraussetzungen das Recht, sich für die Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung oder der vereinfachten Bestimmungen zu entscheiden.

BRH: Vorteil übersteigt Steuerlast

Die Kommission zitiert demgegenüber den Bundesrechnungshof. Der hatte erst 2015 beanstandet, durch eine falsche Berechnung der Vorsteuerpauschale würden pauschalierende Landwirte ihren Abnehmern jährlich rund 200 Millionen Euro zu viel berechnen. Danach führe die Pauschalregelung dazu, dass Pauschalierer einen Ausgleich erhalten, der die gezahlte Vorsteuer übersteigt.

Das Bundesfinanzministerium habe die Vorsteuerpauschale falsch berechnet. Statt der geltenden 10,7 Prozent, die Pauschalierer auf ihre Waren und Dienstleistungen aufschlagen dürfen, betrage die Vorsteuerlast bei einer korrekten Berechnung nur 9,3 Prozent, so der Rechnungshof damals.

Regelbesteuerung bei wenigen Landwirtschaftsbetrieben

Die Differenz erklärt aus Sicht der Rechnungsprüfer, warum weniger als ein Drittel der Landwirtschaftsbetriebe die Regelbesteuerung anwenden, obwohl sie für die Einkommensteuer teilweise sogar Buch führen mussten. Insbesondere diese Betriebe wüssten ganz genau, ob die Regel- oder die Pauschalversteuerung für sie günstiger sei, stellte der Rechnungshof fest.

Das sei gemäß den EU-Vorschriften nicht erlaubt und führe zu „großen Wettbewerbsverzerrungen auf dem Binnenmarkt“, so die Kommission jetzt. Sie hat eine Frist gesetzt. Schafft Deutschland nicht binnen zwei Monaten Abhilfe, kann die Kommission in dieser Sache eine mit Gründen versehene Stellungnahme übermitteln. Das wäre laut „agrarheute“ der Auftakt zu einem formalen Vertragsverletzungsverfahren.

EuGH kritisiert „deutschen Formalismus“

Die Vorsteuer sorgt auch sonst bei den deutschen Finanzbehörden für Ungemach. Sie haben deren Abzug bei Angabe von Briefkasten-Adressen von dort gar nicht ansässigen Lieferanten versagt.

Diesmal mussten sie ein Veto vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) einstecken, wie „GmbH-Brief AKTUELL“ (04/2018) berichtet. Der hat demnach diesem deutschen Formalismus eine Absage erteilt. In wieweit dies eine gute Nachricht für heimische Steuerzahler sein könnte, dazu alles Wissenswerte in dem Newsletter für Steuervorteile.

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Autor*in: Franz Höllriegel