24.01.2023

EU-Lieferkettengesetz: Kommt das böse Erwachen?

Viele Unternehmen konzentrieren sich bei ihren Nachhaltigkeitsbemühungen auf die deutsche Gesetzgebung und planen auf der Basis des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG). Dabei könnte sich das noch in diesem Jahr als Fehlkalkulation erweisen, denn auf EU-Ebene zeichnet sich eine deutlich schärfere Variante des Lieferkettengesetzes ab. Die EU-Länder haben sich im Europäischen Rat im Dezember 2022 auf einen Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz geeinigt. Lesen Sie hier alles über das neue europäische Lieferkettengesetz und auf welche Änderungen Sie sich einstellen müssen.

Symbolbild für das EU-Lieferkettengesetz: Erdkugel und Pakete des Handels

Noch in diesem Jahr wird sich das EU-Parlament zum Thema europäisches Lieferkettengesetz positionieren und schließlich ein EU-Lieferkettengesetz verabschiedet werden. Experten rechnen hier gegenüber der aktuellen deutschen Gesetzgebung mit deutlichen Verschärfungen. Dies zeigt bereits der vorliegende Vorschlag des EU-Rates, der in den Verhandlungen mit dem EU-Parlament noch nachgeschärft werden wird. Die wesentliche Änderung gegenüber dem bisher geltenden deutschen Recht: Es werden nicht nur die direkten Lieferanten, sondern die Lieferanten der gesamten Wertschöpfungskette einbezogen.

EU-Lieferkettengesetz: Das ist der aktuelle Stand

Bereits im Februar 2022 wurde von der EU-Kommission die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) vorgelegt. Nach monatelangem Ringen haben sich im Dezember 2022 die EU-Länder auf einen Kompromiss geeinigt, wie sie mit dem EU-Lieferkettengesetz die Einhaltung von Menschenrechten entlang der Lieferketten ihrer Unternehmen sicherstellen wollen.

Nun liegt der „Ball“ beim EU-Parlament: Im Mai 2023 wird von den EU-Parlamentariern eine Stellungnahme zum europäischen Lieferkettengesetz und mit ihr die Forderung nach einer deutlichen Verschärfung erwartet. Der Kompromiss, der dann gefunden werden muss, wird vermutlich noch im laufenden Jahr EU-Recht werden. Um vorbereitet zu sein, sollten sich Unternehmerinnen und Unternehmer schon heute mit dem Kompromiss der EU-Länder beschäftigen.

Ziele des EU-Lieferkettengesetzes nach den Vorstellungen des EU-Rates

EU-Firmen sollen sich nicht nur für die eigenen unternehmerischen Aktivitäten verantworten müssen. Vielmehr ist das Ziel des EU-Lieferkettengesetzes, dass sie sich mit den Auswirkungen ihres Handelns entlang der kompletten Wertschöpfungskette mit direkten und indirekten Lieferanten auseinandersetzen.

Das Ziel des europäischen Lieferkettengesetzes: EU-Menschenrechtsstandards und EU-Umweltschutzvorschriften sollen nicht nur innerhalb der EU, sondern weltweit gelten, sofern die Aufträge von EU-Unternehmen kommen. Dahinter liegt auch das wirtschaftliche Ziel, dass nicht auf Lieferanten außerhalb der EU ausgewichen wird, um den EU-Standards zu entgehen. Die EU-Kommission fordert, dass in der Europäischen Union nur Unternehmen aktiv sein sollen, die weder die Menschenrechte verletzen noch die Umwelt schädigen.

Für wen gilt das europäische Lieferkettengesetz?

Von dem neuen Regelwerk werden knapp 10.000 Unternehmen in der EU direkt betroffen sein: alle Firmen, die 500 oder mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen und gleichzeitig weltweit mehr als 150 Millionen Euro Umsatz erzielen. Auch Unternehmen, die ihren Firmensitz außerhalb der EU haben und innerhalb der EU tätig sind, werden von dem EU-Lieferkettengesetz betroffen sein.

Doch wer als kleines oder mittelständisches Unternehmen nun glaubt, aus dem Schneider zu sein, unterliegt einem Trugschluss. Denn wer an Unternehmen liefert, die dem europäischen Lieferkettengesetz unterliegen, muss dieses auch selbst einhalten, damit auch die eigene Wertschöpfungskette sauber halten und das auch so dokumentieren, dass die Nachweise von den Großkunden akzeptiert werden – oder man riskiert die Entfernung aus dem Lieferantenstamm.

Deshalb nützt auch die geplante Einschränkung auf Kapitalgesellschaften (vor allem AGs und GmbHs), regulierte Finanzunternehmen sowie Versicherungsunternehmen wenig: Wer auch nur einen betroffenen Kunden hat und diesen behalten will, wird sich mit den Regelungen des europäischen Lieferkettengesetzes auseinandersetzen müssen.

Pflichten für Unternehmen, die dem EU-Lieferkettengesetz unterliegen

Der Vorschlag des EU-Rates, der an das EU-Parlament ging, sieht folgende Pflichten vor:

  • Tatsächliche oder mögliche negative Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt sind zu ermitteln.
  • Sofern negative Auswirkungen ermittelt werden sind Maßnahmen zu entwickeln, wie diese beseitigt, abgeschwächt oder behoben werden können.
  • Die Sorgfaltspflichten sind in Managementsysteme zu integrieren.
  • Es muss ein Beschwerdesystem eingerichtet werden, zu dem alle Personen entlang der Lieferkette Zugang haben.
  • Über die Wahrnehmung der Sorgfaltspflichten ist zu berichten, z.B. in einem Jahresbericht.
  • Die Maßnahmen müssen kontrolliert und die Wirksamkeit überwacht werden.
  • Die Unternehmen sind verpflichtet, in einem Transformationsplan darzulegen, wie sie zum Erreichen der Ziele des Pariser Klimaabkommens beitragen wollen.
  • Aufsichts- und Verwaltungsräte sind verpflichtet, das Management ihrer Unternehmen auf die Einhaltung der Verpflichtungen hin zu kontrollieren und sich aktiv zu informieren.

Achtung: Diese Rechtsnormen konkretisieren das EU-Lieferkettengesetz

Wie immer bei neuen Gesetzen wird die Rechtsprechung im Lauf der Jahre zeigen, wie das EU-Lieferkettengesetz auszulegen ist. Darauf können betroffene Unternehmen nicht warten. Was also ist konkret mit „negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt“ gemeint? Unternehmen sollten dabei vor allem die grundlegenden internationalen Rechtsnormen im Auge haben:

  • Die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO): Sie definieren grundlegende Verbote von Zwangs- und Kinderarbeit sowie Diskriminierung und fordern die Achtung der Versammlungsfreiheit.
  • Hinzu kommen die grundlegenden Menschenrechte, zu denen z.B. das Recht auf Essen, Sicherheit, Gleichheit vor dem Gesetz, räumliche Freiheit und Privatsphäre gehören.
  • Beim Thema Umwelt können Unternehmen sich an europäischen Regelungen, z.B. zu Gewässern, Atemluft, Umwelt und Ökosysteme, orientieren.

Als grobe Richtschnur kann gelten: Was in der EU nicht erlaubt ist, soll auch entlang der gesamten Wertschöpfungskette weltweit nicht erlaubt sein.

Autor*in: Martin Buttenmüller