08.02.2019

Die Bedienerschulung – ein mögliches Instrument für mehr Sicherheit?

Neue technische Möglichkeiten wie Augmented Reality verwischen die Grenzen zwischen althergebrachter Betriebsanleitung und Bedienerschulung immer mehr. Unsere Expertin Elisabeth Wirthmüller geht der Frage nach, wie die Maschinenrichtlinie eine spezielle Schulung des Bedienpersonals durch den Hersteller einordnet.

Humanoider Roboter Zukunftskonzept

Siamesische Zwillinge: Die zwei Säulen der Sicherheit in der EU

In der Europäischen Union gelten einheitliche Mindeststandards für die Produktsicherheit und für den Arbeitsschutz. Die Maschinenrichtlinie ist eine der europäischen Richtlinien für die Gewährleistung der Produktsicherheit.

Auf diesem Zwei-Säulen-Konzept ruhen die Sicherheit und die Gesundheit von Beschäftigten und Verbrauchern.

Produktsicherheit

Hersteller dürfen nur sichere Produkte im Markt bereitstellen. Wichtige Instrumente hierfür sind die Durchführung einer Risikobeurteilung und eine hinreichende Risikominderung. Die Risikominderung durch Benutzerinformation, d.h. durch Informationen auf dem Produkt selbst, auf dessen Verpackung und in der Betriebsanleitung, ist die dritte und schwächste Stufe im hierarchisch anzuwendenden Sicherheitskonzept eines Konstrukteurs.

Arbeitsschutz

Arbeitgeber dürfen ihren Beschäftigten nur sichere Produkte zur Verfügung stellen. Arbeitgeber müssen die zuvor vom Hersteller des Produkts geschaffene Sicherheit kontinuierlich aufrechterhalten. Zusätzlich müssen Arbeitgeber dafür sorgen, dass das in sich sichere Produkt auch in Verbindung mit der konkreten Einsatzsituation am Arbeitsplatz sicher verwendet werden kann.

Wichtige Instrumente hierfür sind die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes und eine hinreichende Risikominderung. Risikominderung durch die Betriebsanweisung ist die schwächste Stufe im Sicherheitskonzept des betrieblichen Arbeitsschutzes.

Nur wenn beide Säulen der Sicherheit regelkonform gelebt werden, haben Beschäftigte ein hohes Maß an Sicherheit und Gesundheitsschutz.

Gewusst wie: Das hierarchische Sicherheitskonzept der Maschinenrichtlinie

Die Maschinenrichtlinie definiert ihr hierarchisches Sicherheitskonzept in Anhang I, Kapitel 1.1.2. Grundsätze für die Integration der Sicherheit wie folgt:

  • Die Maschine ist so zu konstruieren und zu bauen, dass sie ihrer Funktion gerecht wird und unter den vorgesehenen Bedingungen – aber auch unter Berücksichtigung einer vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlanwendung der Maschine – Betrieb, Einrichten und Wartung erfolgen kann, ohne dass Personen einer Gefährdung ausgesetzt sind.Die getroffenen Maßnahmen müssen darauf abzielen, Risiken während der voraussichtlichen Lebensdauer der Maschine zu beseitigen, einschließlich der Zeit, in der die Maschine transportiert, montiert, demontiert, außer Betrieb gesetzt und entsorgt wird.
  • Bei der Wahl der angemessensten Lösungen muss der Hersteller oder sein Bevollmächtigter folgende Grundsätze anwenden, und zwar in der angegebenen Reihenfolge:
    • Beseitigung oder Minimierung der Risiken so weit wie möglich (Integration der Sicherheit in Konstruktion und Bau der Maschine);
    • Ergreifen der notwendigen Schutzmaßnahmen gegen Risiken, die sich nicht beseitigen lassen;
    • Unterrichtung der Benutzer über die Restrisiken aufgrund der nicht vollständigen Wirksamkeit der getroffenen Schutzmaßnahmen; Hinweis auf eine eventuell erforderliche spezielle Ausbildung oder Einarbeitung und persönliche Schutzausrüstung.
  • Bei der Konstruktion und beim Bau der Maschine sowie bei der Ausarbeitung der Betriebsanleitung muss der Hersteller oder sein Bevollmächtigter nicht nur die bestimmungsgemäße Verwendung der Maschine, sondern auch jede vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung der Maschine in Betracht ziehen. Die Maschine ist so zu konstruieren und zu bauen, dass eine nicht bestimmungsgemäße Verwendung verhindert wird, falls diese ein Risiko mit sich bringt. Gegebenenfalls ist in der Betriebsanleitung auf Fehlanwendungen der Maschine hinzuweisen, die erfahrungsgemäß vorkommen können. […]

Die Unterrichtung der Benutzer

  • über Restrisiken,
  • durch Hinweis auf eventuell erforderliche spezielle Ausbildung oder Einarbeitung,
  • durch Hinweis auf persönliche Schutzausrüstung

ist die dritte und schwächste Stufe im Sicherheitskonzept des Konstrukteurs. Warum? Weil die Kenntnisnahme und die Einhaltung der Benutzerinformation nicht in der Hand des Herstellers liegen. Der Benutzer kann die Sicherheitsinformation des Herstellers beachten – oder eben auch nicht.

Unterrichtung der Benutzer: Ein weites Feld – oder vielleicht doch nicht?

Das hierarchische Sicherheitskonzept der Maschinenrichtlinie fordert, dass der Hersteller den Benutzer über Restrisiken „unterrichten” muss. Und dass der Hersteller den Benutzer auf eine eventuell erforderliche spezielle Ausbildung oder Einarbeitung und persönliche Schutzausrüstung „hinweisen” muss.

WIE der Hersteller „unterrichten” und „informieren” muss, darüber sagt die Maschinenrichtlinie in Anhang I, Kapitel 1.1.2. Grundsätze für die Integration der Sicherheit nichts.

Das könnte der Hersteller grundsätzlich so verstehen, dass er frei nach Wahl von allen der heute vielfältig verfügbaren Methoden der Informationsübermittlung Gebrauch machen kann – und die für ihn ressourcenschonendste Variante wählen kann.

Der Spielraum, den die Maschinenrichtlinie lässt

Auch wenn die Maschinenrichtlinie in Anhang I, Kapitel 1.1.2. Grundsätze für die Integration der Sicherheit selbst nichts darüber sagt, WIE der Hersteller den Benutzer über Restgefährdungen „unterrichten” und auf eventuell erforderliche spezielle Ausbildung oder Einarbeitung und persönliche Schutzausrüstung „hinweisen” muss, so ist es der Leitfaden Maschinenrichtlinie in seinem Kommentar in § 174, der dem Hersteller dann doch den Weg weist:

Info: Der Leitfaden Maschinenrichtlinie kommentiert Anhang I, Kapitel 1.1.2. in § 174 Die 3-Stufen-Methode ausschließlich mit einem Verweis in Maschinenrichtlinie Anhang I, Kapitel 1.7. Informationen.

Damit schließt sich der Kreis – die Unterrichtungspflicht des Herstellers hat über Warnhinweise, Beschilderungen und Hinweise an der Maschine und – über die gute alte Betriebsanleitung zu erfolgen.

Die Maschinenrichtlinie greift die Unterrichtungspflicht des Herstellers über Restgefährdungen in Anhang I, Kapitel 1.7. Informationen detailliert auf.

In Kapitel 1.7.2. Warnung vor Restrisiken wiederholt sie die Unterrichtungspflicht des Herstellers über Restrisiken aus Anhang I, Kapitel 1.1.2.:

Bestehen trotz der Maßnahmen zur Integration der Sicherheit bei der Konstruktion, trotz der Sicherheitsvorkehrungen und trotz der ergänzenden Schutzmaßnahmen weiterhin Risiken, so sind die erforderlichen Warnhinweise, einschließlich Warneinrichtungen, vorzusehen.

Auch in Kapitel 1.7.2. Warnung vor Restrisiken sagt die Maschinenrichtlinie nicht, WIE die erforderlichen Warnhinweise vorzusehen sind.

Wir ziehen auch hier den Leitfaden Maschinenrichtlinie zurate:

§ 249 Warnung vor Restrisiken
Die Anforderung in Nummer 1.7.2. bezieht sich auf Restrisiken, also auf Risiken, die sich durch konstruktive Sicherheitsmaßnahmen nicht beseitigen oder in ausreichendem Maße vermindern lassen und die durch integrierte Schutzmaßnahmen nicht vollständig verhindert werden können – siehe § 174: Anmerkungen zu Nummer 1.1.2. Buchstabe b. An der Maschine angebrachte Warnungen über Restrisiken ergänzen die Informationen über die Restrisiken, die in der Betriebsanleitung des Herstellers enthalten sein müssen […]. Warnhinweise an der Maschine […] bieten sich auch an, um auf die Notwendigkeit der Verwendung persönlicher Schutzausrüstung hinzuweisen.

Genau wie in § 174 siedelt der Leitfaden Maschinenrichtlinie die Unterrichtungspflicht des Herstellers bei Warnhinweisen, Beschilderungen und Hinweisen an der Maschine und – bei der guten alten Betriebsanleitung an.

Info: Damit ist klar: Die meisten modernen Medien für die Informationsübermittlung kommen für die Erfüllung der Unterrichtungspflichten nach Maschinenrichtlinie nicht in Betracht.

Weitere Informationen zur Bedienerschulung finden Sie in unserem Praxismodul Maschinenverordnung.

 

Autor*in: Elisabeth Wirthmüller (ce konform GmbH. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Technische Dokumentation.)