18.01.2024

Die Betriebsanleitung in der neuen Maschinenverordnung (EU) 2023/1230: ein Faktencheck

Die neue EU-Verordnung über Maschinen muss man besonders im Vergleich zur aktuell gültigen Maschinenrichtlinie betrachten, die noch bis 2027 gilt. Was ändert sich mit der neuen Maschinenverordnung bezüglich der Anforderungen an die Betriebsanleitung als Komponente der technischen Unterlagen bzw. der technischen Dokumentation und was bedeutet das für den Hersteller?

technische Dokumentation

Thema „Betriebsanleitung“ in MRL und MVO

Technische Dokumentation, technische Unterlagen, Betriebsanleitung – was ist der Unterschied?

Vielleicht sollte man zunächst klären, was mit „Betriebsanleitung“ gemeint ist, denn die Maschinenrichtlinie und die Maschinenverordnung verwenden folgende drei Begriffe:

  • technische Dokumentation
  • technische Unterlagen
  • Betriebsanleitung

Die Begriffe „technische Dokumentation“ und „technische Unterlagen“ bezeichnen alle Unterlagen zu einer Maschine einschließlich Betriebsanleitung, Konformitätserklärung, dokumentierter Risikobeurteilung, Prüfungsberichte usw. Diese Unterlagen sind nicht für den Kunden, sondern ggf. für die Marktaufsicht gedacht. Der Kunde erhält „nur“ die Betriebs- oder „Einbauanleitung“. Natürlich kann ein Hersteller mit seinen Kunden weitere Vereinbarungen über die bereitzustellende Dokumentation treffen.

„Betriebsanleitung“ ist der zusammenfassende Begriff für alle handlungsrelevanten Kundeninformationen für den gesamten Produktlebenszyklus des Produkts, einschließlich Übersichtszeichnungen (soweit handlungsrelevant) und Ersatzteilliste für sicherheitsrelevante Bauteile.

Die Betriebsanleitung in der Maschinenrichtlinie (Richtlinie 2006/42/EG)

Die wichtigsten Abschnitte der Maschinenrichtlinie zur Betriebsanleitung sind:

  • Artikel 5 Inverkehrbringen und Inbetriebnahme Abschnitt c): Grundsätzliche Forderung zur Bereitstellung einer Betriebsanleitung
  • Anhang 1, Abschnitt 1.7.4 Betriebsanleitung: Anforderungen wie Amtssprache des Verwenderlands, Kennzeichnung als „Originalbetriebsanleitung“ bzw. „Übersetzung der Originalbetriebsanleitung“ sowie detaillierte Anforderungen an die Inhalte (diese Anforderungen werden für bestimmte Maschinentypen in weiteren Abschnitten ergänzt)

Als detaillierte Erläuterung der Vorgaben gibt es zur Richtlinie einen offiziellen Guide. Der Guide wurde mehrfach aktualisiert und die aktuelle deutsche Version ist der „Leitfaden für die Anwendung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG – Auflage 2.2“ von 2019.

Die Betriebsanleitung in der Maschinenverordnung (EU) 2023/1230

Im Vergleich zur Maschinenrichtlinie betont die Maschinenverordnung die gemeinsame Verantwortung von Hersteller und Distributor bis hin zum Händler, dem Kunden zum technischen Produkt eine Betriebsanleitung bereitstellen zu müssen. Die neue Maschinenverordnung soll ebenfalls einen Guide erhalten, ein Veröffentlichungstermin ist jedoch noch nicht angekündigt.

Die wichtigsten Abschnitte der neuen Maschinenverordnung zur Betriebsanleitung sind:

  • Artikel 10 Pflichten der Hersteller von Maschinen und dazugehörigen Produkten, insbesondere Absatz 7. Der Absatz enthält die Erlaubnis der alleinigen digitalen Veröffentlichung einer Betriebsanleitung, diese wird allerdings eingeschränkt durch zahlreiche Bedingungen bis hin zur Papierpflicht für nichtprofessionelle Anwender.
  • Anhang III 1.7.4. Betriebsanleitung (Forderungen an einzelne Inhalte). Diese generellen Anforderungen werden wie in der bisherigen Maschinenrichtlinie in weiteren Abschnitten für bestimmte Maschinentypen ergänzt.

Fragen und Antworten zur Maschinenverordnung (EU) 2023/1230

Im Folgenden werden in Frage-Antwort-Szenarien die wichtigsten Fakten der neuen Maschinenverordnung mit Blick auf die Betriebsanleitung aufgezeigt.

Kann ich nach der neuen Maschinenverordnung die Betriebsanleitung digital bereitstellen?

Maschinenverordnung, Artikel 10 Absatz 7 (Auszug):

Die Betriebsanleitung kann in digitaler Form bereitgestellt werden, es gilt aber eine Ausnahme:

„Bei Maschinen bzw. dazugehörigen Produkten, die für nichtprofessionelle Nutzer bestimmt sind […], muss der Hersteller die Sicherheitsinformationen […] in Papierform bereitstellen.“

Der lang ersehnte Satz, die alleinige Bereitstellung einer digitalen Betriebsanleitung zu erlauben, ist endlich in die Verordnung aufgenommen worden. Es wird aber eine wichtige Ausnahme betont: Für nichtprofessionelle Nutzer müssen wesentliche Sicherheitsinformationen auf Papier ausgedruckt vorliegen.

Welche Detailvorgaben an ein digitales Format für die Betriebsanleitung nennt die Maschinenverordnung?

Die Maschinenverordnung macht keinerlei Vorgaben über eine gebrauchstaugliche Gestaltung der digitalen Anleitung. Als einzige Usability-Kriterien wird die „Downloadbarkeit“ und die „Druckbarkeit“ genannt.

Die jetzt schon übliche Bereitstellung von PDF-Anleitungen erfüllt jedenfalls voll die Maschinenverordnung. Aus Sicht der Kunden wäre es sicher besser, eine HTML5-Anleitung im Responsive Design, kombiniert mit einer Google-ähnlichen Volltextsuche anzubieten und ergänzend die PDF-Anleitungen zum Download bereitzustellen. Dass man bei einer Bereitstellung im Sinne einer digitalen Benutzerassistenz die Anleitungen noch viel weitgehender in Topic-orientierte kontextbezogene Frage-Antwort-Szenarien umsetzen könnte, das verbietet die Maschinenverordnung zumindest nicht, solange die Ausdruckbarkeit der Informationen auf Papier weiterhin ermöglicht wird.

Die Bereitstellung einer Anleitung in unterschiedlichen Formaten kostet Geld. Darf ich den Aufwand dem Kunden in Rechnung stellen?

Die Maschinenverordnung enthält zu dieser Thematik im Gegensatz zur bisherigen Maschinenrichtlinie eine äußerst fragwürdige Formulierung:

„Auf Verlangen des Nutzers zum Zeitpunkt des Kaufs stellt der Hersteller die Betriebsanleitung […] kostenlos in Papierform bereit.“

Kein einziges weiteres Sicherheitsbauteil einer Maschine, obwohl als unbedingte Pflichtkomponente enthalten, muss der Hersteller als kostenlos kennzeichnen, nur die gedruckte Betriebsanleitung. Man könnte allerdings die Formulierung auch so interpretieren, dass der Hersteller eine digitale Betriebsanleitung durchaus kostenpflichtig planen darf. Denn im Hinblick auf die Informationslogistik der Technik-Dokumentation ist eines sicher: Eine gedruckte Anleitung wird niemals mit dem aktuellen Stand eines Produkts mithalten können und eine Nachlieferung einer aktuellen gedruckten Anleitung erfordert weit höheren Aufwand als eine durchgehende digitale Informationslogistik. Das hatte bereits der Guide zur bisherigen Maschinenrichtlinie erkannt.

Die Maschinenrichtlinie gilt noch mehr als drei Jahre. Darf ich als Hersteller mit Blick auf die neue Maschinenverordnung mit meinen Kunden eine rein digitale Betriebsanleitung vertraglich vereinbaren?

Das ist eine wirklich spannende Frage, die viele Rechtsanwälte und Experten meist lapidar beantworten: natürlich nicht! Diese Behauptung entbehrt aber jeglicher Logik des Gesetzes. Die Befürworter der Papierpflicht betonen immer den § 255 des Guides zur Maschinenrichtlinie, der folgende Formulierung enthält:

255 (Auszug): „Der allgemeine Konsens lautet, dass sämtliche Anleitungen, die für Sicherheit und Gesundheitsschutz relevant sind, in Papierform mitgeliefert werden müssen, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Benutzer Zugang zu einem Lesegerät für das Lesen einer in elektronischer Form oder auf einer Website zur Verfügung gestellten Betriebsanleitung hat. Häufig ist es jedoch hilfreich, die Betriebsanleitung in elektronischer Form und im Internet sowie in Papierform zur Verfügung zu stellen, da der Benutzer damit die elektronische Fassung bei Bedarf herunterladen und sich wieder ein Exemplar der Betriebsanleitung beschaffen kann, falls das Papierexemplar verloren gegangen ist. Diese Vorgehensweise erleichtert auch gegebenenfalls erforderliche Aktualisierungen der Betriebsanleitung.“

Zu diesem Text gibt es folgende Überlegungen: Der „allgemeine Konsens“ wurde vor 2010 festgestellt, im Jahr 2023 ist dieser längst nicht mehr vorhanden. Wenn ein Hersteller einem Kunden vor dem Kauf mitteilt, dass mit der Bereitstellung der Maschine ein elektronisches Gerät zur Nutzung der digitalen Anleitung zur Verfügung stehen muss, dann widerspricht dieses Vorgehen nicht der Richtlinie und auch nicht dem Guide. Die weiteren Formulierungen des Guides zeigen, dass elektronische Anleitungen bei Updates explizit erlaubt sind, was im völligen Widerspruch zu einer „unbedingten Papierpflicht“ stehen würde!

Fazit: Auch heute unter der Maschinenrichtlinie kann ein Hersteller für einen Kunden eine rein digitale Betriebsanleitung bereitstellen, vorausgesetzt der Kunde ist einverstanden und die elektronische Bereitstellung bedeutet gemäß Risikoanalyse keinen Nachteil in puncto Sicherheit.

Muss ein Hersteller nach der Maschinenverordnung künftig mehr dokumentieren als bisher gemäß der Maschinenrichtlinie?

Das werden sicherlich viele behaupten. Aber nicht irgendwelche Spiegelstriche in der Verordnung bestimmen die Dokumentationspflicht, sondern die Ergebnisse der firmenindividuellen Risikoanalyse. Die Maschinenverordnung nennt bei den zu dokumentierenden Inhalten folgende neue Details zu Mindestangaben:

  • Internetadresse oder maschinenlesbarer Code, die oder der die EU-Konformitätserklärung inhaltlich wiedergibt und Einzelangaben der Maschine enthält, die aber nicht zwangsläufig auch die Seriennummer und die Unterschrift enthalten müssen
  • Angabe der Masse (bisher wurde der Begriff „Gewicht“ verwendet)
  • Bei geräuschmindernden Maschinen oder dazugehörigen Produkten muss in der Betriebsanleitung gegebenenfalls angegeben werden, wie diese Geräte, Maschinen und dazugehörigen Produkte ordnungsgemäß zusammenzubauen und einzubauen sind.
  • Informationen über die erforderlichen Vorkehrungen, Geräte und Mittel für die sofortige und schonende Rettung von Personen
  • Sind aufgrund der Bauart der Maschine oder des dazugehörigen Produkts Emissionen gefährlicher Stoffe aus der Maschine oder dem dazugehörigen Produkt möglich, die Eigenschaften der Auffang-, Filterungs- oder Ableitungseinrichtung, wenn diese nicht mit der Maschine oder dem dazugehörigen Produkt geliefert wird, und eine der folgenden Angaben:
    • Durchsatz der Emission gefährlicher Werkstoffe und Substanzen aus der Maschine oder dem dazugehörigen Produkt
    • Konzentration der gefährlichen Werkstoffe oder Substanzen, […], die zusammen mit der Maschine oder dem dazugehörigen Produkt verwendet werden, in der Umgebung der Maschine oder des dazugehörigen Produkts
    • Wirksamkeit der Auffang- oder Filtervorrichtung und die Bedingungen, die zu beachten sind, damit ihre Wirksamkeit im Zeitverlauf erhalten bleibt

Fazit

Die in der Verordnung genannten Aspekte nach Druckbarkeit und Offline-Nutzbarkeit bedürfen eigentlich weitergehender Überlegungen. Beide Aspekte sind pauschal nur dann nachvollziehbar, wenn man die Papieranleitung immer noch als Maße aller Dinge ansieht.

Ausgangspunkt aller inhaltlichen Überlegungen ist immer die gesetzlich verankerte, individuelle Risikoanalyse zum Produkt, aus der sich die sicherheitsrelevanten Inhalte einer Betriebsanleitung erst ableiten lassen. So kann man zusammenfassend sagen: Dokumentiert werden müssen alle sicherheits- und handlungsrelevanten Informationen über den gesamten Produktlebenszyklus eines Produkts, soweit diese Informationen für die Zielgruppe nicht als selbstverständlich angesehen werden.

Den kompletten Fachbeitrag mit weiterführenden Informationen finden Sie in unserem Praxismodul „CE von A bis Z“.

Autor*in: Dieter Gust (Senior Consultant und Leiter Forschung und Entwicklung bei der itl AG)