29.05.2020

Schließen von Tattoo- und Piercingstudios nicht länger gerechtfertigt

Das OVG Lüneburg setzt die Regelungen zum Schließen von Tattoo- sowie Piercingstudios in der Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus außer Vollzug.

Schließen von Tattoo- Piercingstudios

Körpernahe Dienstleistungen umstritten

Die Landesregierung in Hannover hat, wie andere Landesregierungen auch, zwar für zahlreiche Dienstleistungen das Verbot der Ausübung gelockert, nicht jedoch für Tattoo- und Piercingstudios. Das OVG Lüneburg musste auf Antrag von Studiobetreibern prüfen, ob die beibehaltenen Schließungen noch gerechtfertigt sind.

Verlangsamtes Infektionsgeschehen

Das Infektionsgeschehen, so das OVG, habe sich auch aufgrund der ergriffenen Maßnahmen verlangsamt. Die Zahl der Neuinfektionen, aber auch die Zahl der tatsächlich (noch) Infizierten ist deutlich zurückgegangen, stellte das Gericht fest. Auch wenn die Gefahr der Verbreitung der Infektion und die daran anknüpfende Gefahr der mangelnden hinreichenden Behandelbarkeit schwer verlaufender Erkrankungen wegen fehlender spezifischer Behandlungsmöglichkeiten und nicht unbegrenzt verfügbarer Krankenhausbehandlungsplätze fortbestehe, habe sich die Gefahr von Neuinfektionen deutlich vermindert, meint das OVG.

Ausreichende Maßnahmen zur Hygiene

Diese Gefahreneinschätzung liegt offenbar auch dem Plan der Landesregierung „Nach dem Lockdown – Neuer Alltag in Niedersachsen, Stufenplan“ vom 04.05.2020 und der darauf basierenden Corona-Verordnung vom 08.05.2020 zugrunde. Dieser Konzeption folgend sei die zuletzt verlängerte Untersagung der Erbringung von Dienstleistungen unter anderem durch Friseure, Tattoo-, Nagel- und Kosmetikstudios, Physiotherapeuten und Fahrschulen aufgehoben oder gelockert worden.

Den Regelungen sei die Einschätzung des Verordnungsgebers zu entnehmen, dass auch bei eigentlich „nicht dringend notwendigen Dienstleistungen, bei denen der Mindestabstand von 1,5 Metern von Mensch zu Mensch nicht eingehalten werden könne“, die zunächst vollständige Untersagung der Dienstleistung nicht mehr als notwendige Schutzmaßnahme zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 anzusehen sei, sondern die mit der Nichteinhaltung des Abstandsgebots fraglos weiterhin verbundenen erhöhten Infektionsgefahren hinreichend effektiv durch Hygienemaßnahmen vermindert werden könnten.

Ansteckungsgefahr über Blut nicht belegt

Diese Einschätzung ist nicht zu beanstanden, entschied das Gericht. Sie gilt aber in gleicher Weise für das Erbringen körpernaher Dienstleistungen in einem Tattoostudio. Denn insoweit ist weder ein nachvollziehbarer sachlicher Grund für eine abweichende Bewertung dargetan noch sei ein solcher Grund offensichtlich. Es sind auch keine belastbaren tatsächlichen Erkenntnisse dafür ersichtlich, dass das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 durch Blut oder Blutprodukte übertragbar sind.

Ergebnis

§ 7 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 8. Mai 2020 wird vorläufig außer Vollzug gesetzt, soweit damit die Erbringung von Dienstleistungen in Tattoo- und Piercingstudios untersagt ist (Beschlüsse vom 14. und 18.05.2020, Az. 13 MN 165/20 und 13 MN 169/20).

Aktueller Hinweis

Wie der Deutsche Richterbund mitteilt, sind bei den deutschen Verfassungs- und Verwaltungsgerichten seit Beginn der Einschränkungen durch Allgemeinverfügungen und Verordnungen wegen der Corona Pandemie rund 1.000 Eilanträge eingegangen. Die Gerichtsverfahren betreffen etwa die Maskenpflicht, Versammlungsverbote, Reisebeschränkungen, Auflagen für Gottesdienste oder Regelungen zum Schließen von Verkaufsstellen, Spielhallen, Campingplätzen, Tattoo-, Nagel- und Fitnessstudios u.v.m sowie die anschließenden teilweisen Geschäftsöffnungen. Die Flut von Klagen stellt nicht nur die Gerichte vor großer Herausforderungen, sondern auch die Redaktion.

Wir haben hierzu rund 100 veröffentlichte Gerichtsentscheidungen ausgewertet. Aus der Fülle der Gerichtsentscheidungen haben wir für die Veröffentlichung nur wenige heraussuchen können.

Weitere Informationen (Rechtsgrundlagen und Fallbeispiele) zum Thema Corona, die stetig erweitert werden, finden Sie im Produkt Gewerbeamtspraxis von A-Z online.

Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)