29.02.2024

Räumung der Obdachlosenunterkunft wegen Verletzung der Selbsthilfeobliegenheit?

Kann eine Obdachlosenunterbringung beendet werden, wenn der Obdachlose sich nicht um eine Wohnung bemüht (VGH München, Beschl. vom 21.12.2023, Az. 4 CE 23.2170)?

Anordnung auf Räumung der Obdachlosenunterkunft

Eine obdachlose Frau und ihr vierzehnjähriger Sohn bewohnen seit dem Jahr 2019 eine gemeindliche Notunterkunft. Die Gemeinde forderte die Obdachlose unter Verweis auf die ihr zustehenden Sozialleistungen mehrfach auf, sich selbst eine Unterkunft zu beschaffen. Weil die Frau sich nicht bemühte, ordnete die Gemeinde unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Räumung der Unterkunft an und drohte ihr für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung den unmittelbaren Zwang an.

Die Obdachlose wandte sich mit Erfolg an das zuständige VG. Die unterlegene Gemeinde beschwerte sich danach beim VGH München.

Der VGH entschied:

  • Die durch das Fehlen einer eigenen Wohnung entstandene Obdachlosigkeit stellt einen die öffentliche Sicherheit und Ordnung störenden Dauerzustand dar.
  • Die zuständige Gemeinde bleibt so lange für die Gefahrenabwehr verantwortlich, wie sich die obdachlose Person in ihrem Ortsgebiet aufhält.
  • Die Gemeinde kann sich daher nicht darauf berufen, durch die erstmalige Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft im Jahr 2019 ihrer gesetzlichen Pflicht gegenüber der obdachlosen Person bereits abschließend nachgekommen zu sein.
  • Aus der Tatsache, dass bedürftigen Personen ein sozialgesetzlicher Anspruch auf Zahlung von Bürgergeld und auf Übernahme der Mietkosten einschließlich der Strom- und Heizkosten zusteht, folgt nicht, dass die zuständige Gemeinde untätig bleiben darf.
  • Sie kann den Obdachlosen darauf hinweisen, dass er im Rahmen der Selbsthilfe sich selbst um eine Wohnung bemühen muss, sofern es ihm rechtlich und tatsächlich möglich ist, sich aus eigener Kraft eine den wohnungsmäßigen Mindestanforderungen genügende Unterkunft zu verschaffen.
  • Es stellt dabei noch keine Verletzung der Selbsthilfeobliegenheit dar, wenn die Obdachlosigkeit auf einem früheren Eigenverschulden beruht, etwa wegen unzureichender aktiver Bemühungen um eine neue Wohnung.
  • Erst wenn von einer aktuell bestehenden Option der Beschaffung einer Unterkunft ohne sachlich nachvollziehbaren Grund kein Gebrauch gemacht wird, kann die dadurch eingetretene oder fortdauernde Obdachlosigkeit als „freiwillig“ angesehen werden, sodass auf ein weiteres Einschreiten verzichtet werden kann.

… und folgerte daraus:

Der obdachlosen Frau kann nicht die lediglich abstrakt bestehende Möglichkeit entgegengehalten werden, sich auf dem freien Mietwohnungsmarkt unter Verweis auf die ihr zustehenden Sozialleistungsansprüche eine eigene Wohnung zu verschaffen.

Ergebnis

Weil der Anspruch auf Obdachlosenhilfe nur ausgeschlossen ist, wenn der seit Jahren bestehende Zustand der Obdachlosigkeit auf einer freiwilligen Entscheidung beruht, dafür aber keine ausreichenden Anhaltspunkte von der Gemeinde vorgetragen wurden, wies der VGH die Beschwerde der Gemeinde ab.

Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)