22.08.2017

Ein Hundebiss ohne Folgen

Der Umwelt zuliebe mit dem Rad zum Finanzamt fahren und die Steuererklärung abgeben – das war die Idee, die mich veranlasste, das Auto stehen zu lassen und nach Kassel zu radeln. Die Radtour endete mit zwei Bisswunden, unerfreulichen Diskussionen mit der Polizei, stundenlangen Wartezeiten in der ärztlichen Notaufnahme und einem Ordnungsamt auf Tauchstation.

Hundebiss

Wie kam es dazu?

Bei herrlichem Wetter fuhr ich von Espenau in das rund 12 km entfernte Kassel mit dem Rad. Auf einem als Radweg ausgeschilderten Feldweg stand plötzlich hinter einer scharfen Kurve eine Hundehalterin mit zwei Schäferhunden an ungefähr fünf Meter langen Schleppleinen vor mir. Ich klingelte, bremste und schon biss mich ohne Vorwarnung bzw. Drohgebärde ein Schäferhund zweimal in den Oberschenkel.

Erst mit Mühe gelang es der Hundehalterin, den jetzt wie wild bellenden Schäferhund unter ihre Gewalt zu bringen. Eine Wunde blutete, die andere war von der Radlerhose verborgen. Ich bat die Hundehalterin um ihre Personalien. Ich sei selbst schuld, meinte sie und setzte ihren Weg mit den Hunden unbeirrt fort. Hätte ich früher geklingelt, wäre nichts passiert. Ich rief die Polizei zum Feststellen der Personalien der Hundehalterin.

Unsere Empfehlung

Ordnungsamtspraxis von A-Z online

Hier finden Sie Fallbeispiele, Arbeitshilfen sowie Rechtsgrundlagen zum Thema „Hunde“.

€ 669.00Jahrespreis zzgl. MwSt.

Online-Version

Die Uneinsichtige

Nach einem Kilometer Fußmarsch warteten wir an einer Bank. Nach rund 30 Minuten war immer noch keine Polizei vor Ort, obwohl das nächste Polizeirevier nur ungefähr einen Kilometer entfernt war. Die Hundehalterin meinte, ihre Hunde brauchten Wasser. Wir gingen in einen nahe gelegenen Wald. An einem Bachlauf konnten sich die Tiere erfrischen. Im Wald konnte uns die Polizei natürlich nicht finden. Die Hundehalterin wurde ungeduldig („Ich kann nicht ewig warten“) und wollte sich entfernen. Dass mich ihr Hund gebissen habe, hätte ich nur geträumt, argumentierte sie nun. Einen vorbeifahrenden Radler bat ich, die Polizisten an den Bachlauf zu schicken. Tatsächlich fuhr dann 45 Minuten nach dem Anruf ein Streifenwagen mit zwei Polizeibeamten vor.

Ich schilderte den Polizisten den Sachverhalt und zeigte auf die blutende Wunde. Ein Polizist, der offenbar das Sagen hatte, zog seine Stirn in Falten und fragte, ob es Zeugen gebe, denn so würde kein Hundebiss aussehen. Er habe selber einen Hund und er wisse genau, wie ein Hundebiss aussieht. Hundehalter unter sich halten zusammen wie Pech und Schwefel, schoss es mir durch den Kopf. Ich blieb aber ruhig und fragte, ob er glaube, dass ich mich vielleicht selbst gebissen habe? Ohne Zeugen, so die Antwort, würde keine Anzeige aufgenommen. Ich müsste mit der Hundehalterin zivilrechtlich klarkommen.

Nun stand ich da als Lügner, der mit dem Rad unterwegs war, um einer unschuldigen Hundehalterin (die ich vorher noch nie gesehen hatte) eine fahrlässige Körperverletzung anzuhängen.

Medizinische Versorgung

In der Stadt suchte ich nach einem praktizierenden Arzt, der die Wunde versorgt. Fehlanzeige, denn Mittwoch nachmittags haben in Kassel alle praktizierenden Ärzte geschlossen. Allein ein Zahnarzt hatte Bereitschaft. Also radelte ich mit blutendem Bein in die Notaufnahme eines Krankenhauses. Heute sei nur ein Notarzt da, wurde mir gleich eröffnet, und der wäre gerade im OP; es könne etwas länger dauern. Nach zwei Stunden mit ca. 10 anderen Patienten hatte das Warten plötzlich ein Ende: Nun habe der Notarzt noch eine zweiten OP, diese könne mehrere Stunden dauern. Verbrühungen, Verbrennungen, herausgerissene Fußnägel, Koliken sowie mein Hundebiss und andere Verletzungen blieben unbehandelt. Wir könnten morgen früh zur Sprechstunde gern wiederkommen, dann würde uns bestimmt geholfen. Mittlerweile war es nach 19 Uhr.

Zum Glück war der ärztliche Notdienst in Bereitschaft. Ich radelte mehrere Kilometer quer durch die Stadt. Sechs Stunden nach dem Beißvorfall wurde der Hundebiss endlich versorgt. Außerdem bescheinigte mir der Arzt schriftlich, dass es sich bei der Wunde eindeutig um einen Hundebiss handelt.

Nachdem über die Nacht der Schock der Ereignisse abgeklungen war, fuhr ich am nächsten Tag mit der ärztlichen Bescheinigung in der Hand zum Polizeirevier und erstattete Strafanzeige gegen die Hundehalterin. Auf diese Weise wurden mir auch ihre Personalien bekannt. Das Ordnungsamt der Stadt Kassel informierte ich telefonisch über den Beißvorfall. Leider war nur der Vertreter des zuständigen Sachbearbeiters erreichbar. Auf seine Bitte scannte ich die Durchschrift der Strafanzeige und die ärztliche Bescheinigung ein und versandte die Unterlagen per Mail an das Ordnungsamt.

Unsere Empfehlung

Problemfall Hund

Ordnungsrechtliche Grundlagen und Praxis

€ 79.44zzgl. € 3,95 Versandpauschale und MwSt.

Buch

Was ist danach geschehen?

  • Die Staatsanwaltschaft hat das Strafverfahren gegen die Hundehalterin wegen fahrlässiger Körperverletzung ohne Anhörung und Ermitteln des Sachverhalts eingestellt, weil „der Hundebiss weder durch die vor Ort eingesetzten Polizeibeamten noch durch das ärztliche Gutachten bestätigt werden konnte“ und „der Vorfall weder nach seinen Umständen noch nach seiner Bedeutung der Folgen zu einer über den Lebenskreis der Beteiligten hinausgehenden Störung des Rechtsfriedens“ geführt hat.
  • Zuerst wollte das Ordnungsamt keine Auskunft zum Stand des Verfahrens erteilen („Verwaltungsverfahren sind geheim“). Erst ein unsanfter Hinweis auf §§ 13, 25, 29 VwVfG überzeugte die Ordnungsbehörde davon, dass sie Auskunft erteilen muss.
  • Dann bekam ich die Auskunft, die Unterlagen zum Beißvorfall seien unauffindbar: „Eine Akte ist noch nicht angelegt, sonst wäre sie im Netzwerk einsehbar. Vielleicht hat sie der Chef? Der kommt aber erst in 14 Tagen aus dem Urlaub zurück. Dann können Sie gern noch einmal nachfragen“.
  • Der Chef hatte die Akte nicht. Es gab nämlich noch gar keine. Eine Akte wurde erst nach einem weiteren Anruf angelegt („Unsere Personaldecke ist zu dünn ….“). Nun soll mir in den nächsten Tagen ein Zeugenfragebogen zugehen. Zwei Monate nach dem Beißvorfall.

Sich totstellen scheint eine beliebte Handlungsmaxime zu sein. Am gleichen Tag wurde in Freiburg eine Frau von einem asiatischen Kampfhund angegriffen und getötet. Die Gefährlichkeit des Hundes war bekannt, niemand tat präventiv etwas dagegen. Muss der bissige Schäferhund erst einen Menschen schwer verletzen, bevor sich der Behördenapparat in Bewegung setzt?

Autor*in: Uwe Schmidt (Uwe Schmidt unterrichtete Ordnungsrecht, Verwaltungsrecht und Informationstechnik.)