11.01.2022

Kurzstreckenseeverkehr Nordrange immer wichtiger

Die Seidenstraße als Landalternative zum Seeverkehr – so etwas denken nur Chinesen. Ein Irrtum. Zumal im seezerklüfteten Europa konkurrieren seit langem See- mit Landverkehren. Und das immer erfolgreicher und mit potentiell gleichen Transportvolumina, wie eine neue Untersuchung zeigt.

Kurzstreckenseeverkehr Nordrange

Globale Schifffahrt und Kurzstreckenseeverkehr

Die globale Schifffahrt ist alternativlos im Sinne von: dort gibt es keine Verlagerungspotenziale. Ausnahme: die Seidenstraßenverkehre zwischen Asien und Europa. Diese weisen jedoch volumenmäßig Grenzen auf. Anders der Kurzstreckenseeverkehr. Dieser stellt einerseits mit dem herkömmlichen Straßen- und Binnenschiffsgüterverkehr eine Ausweichmöglichkeit zum europanahen Seeverkehr und vice versa andererseits dar. Er steht damit ganz oben auf der Liste der Verlagerungsmöglichkeiten von der Straße weg.

Ob der Handel z. B. mit Asien oder Amerika wächst und damit höhere Transportmengen einhergehen oder nicht, kann der Transportsektor nicht beeinflussen. Das gilt auch für den europäischen Markt. Trotzdem gibt es dort weiter Potenziale, auf die der Transportsektor Einfluss nehmen kann, da Wettbewerb besteht. Denn jede Lkw-Ladung ist grundsätzlich verlagerungsfähiges Potenzial, so Markus Nölke, Geschäftsführer des ShortSeaShipping Inland Waterway Promotion Center (SPC) beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur in Bonn.

Alternative Verkehrsträger in wirtschaftlicher Schwächephase

„Selbst in einer wirtschaftlichen Schwächephase besteht weiterhin die Möglichkeit, Fracht auf alternative Verkehrsträger zu verlagern“, so Nölke in seinem Eingangsstatement auf der Online-Veranstaltung des SPC „Entwicklung der Container- und RoRo-Märkte im Kurzstreckenseeverkehr“ vor Weihnachten.

Dabei stellte das Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) die Ergebnisse einer im Auftrag des SPC zu den Marktanteilen der deutschen Häfen in den verschiedenen Teilmärkten erstellten Studie vor. Es lohne sich dem Kurzstreckenseeverkehr hohe Aufmerksamkeit zu schenken, so Nölke mit Blick auf mögliche Überlegungen der Industrie, aufgrund von Lieferstörungen im globalen Handel, Produktionsstätten nach Europa zu verlagern.

Auf Basis von Daten aus dem „Containerverkehrsmodell Europa“ untersuchte das ISL nach Fahrtgebieten die Marktsegmente:

  • Transhipment
  • innereuropäischer Shortsea-Verkehr
  • Shortsea-Land
  • jeweils relevante Wettbewerbshäfen.

Containerumschlag der deutschen Häfen

Der Kurzstreckenseeverkehr könne mit starken Zahlen seine Bedeutung unterstreichen.

„Mehr als die Hälfte des Containerumschlags der deutschen Häfen hängt vom Shortsea-Verkehr ab“, so Dr. Sönke Maatsch vom ISL.
Der Containerverkehr mit europäischen Korrespondenzregionen hatte im Jahr 2020 einen Anteil von 33 Prozent am Containerumschlag der deutschen Seehäfen. In den Hub-Häfen ist laut ISL ein Teil des interkontinentalen Containerverkehrs namentlich mit Anteil aus Transhipmentverkehren von diesen innereuropäischen Verkehren abhängig. Bezieht man diese Verkehre ein, so sei mehr als die Hälfte des Containerumschlags der deutschen Seehäfen vom innereuropäischen Seeverkehr abhängig.

Europäische Korrespondenzregionen

Der Containerverkehr der deutschen Seehäfen mit europäischen Korrespondenzregionen lag den Angaben zufolge 2020 mit 4,7 Millionen nur leicht unter dem Vorjahreswert robust trotz Covid-19-Pandemie. Die rückläufige Tendenz davor seit 2016 führen die Marktforscher des ISL nicht auf ein negatives Marktwachstum zurück. Sie machen dafür vor allem Marktanteilsverluste der deutschen Nordseehäfen im Feeder-Verkehr an die Häfen Rotterdam und Antwerpen verantwortlich.

Europäische Korrespondenzhäfen

Der Containerverkehr zwischen deutschen Containerhäfen und europäischen Korrespondenzhäfen entfiel laut ISL 2020 zu etwa 96 Prozent auf die deutschen Nordseehäfen und dort wiederum vor allem auf Feederverkehre. Bei diesen fungieren deutsche Häfen als Hub für Transhipmentverkehre. Gleichzeitig sind deutsche Häfen Spoke-Häfen, das heißt Quelle oder Ziel von Transhipmentverkehren mit anderen europäischen Häfen als Hub. Die Begriffe Hub and Spoke, Speichenarchitektur und Nabe-Speiche verwendet man im Transportwesen für die Verbindung zwischen zwei Endknoten A und B nicht direkt, sondern über einen Zentralknoten Z, die Nabe (englisch: hub).

Das Volumen der Innereuropäischen Shortsea-Land-Verkehre – also der Transport von Waren zwischen europäischen Ländern per Seeschiff – betrug 2020 knapp eine Million Zwanzig-Fuß-Äquivalent-Container (Twenty-foot equivalent unit – TEU). In diesem Marktsegment sind neben den Containerhäfen in der Nordsee auch viele deutsche Ostseehäfen aktiv.

Europäische Feedermärkte

Im Feederverkehr stehen die deutschen Seehäfen im Wettbewerb mit Häfen in:

  • Frankreich
  • Niederlanden
  • Belgien
  • Polen.

Dabei ist der Marktanteil der deutschen Häfen in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen von 44 Prozent im Jahr 2016 auf 35 Prozent 2020. Der Gesamtmarkt wuchs in diesem Zeitraum von 7,8 Millionen TEU auf 8,9 Millionen TEU an. Der Feederverkehr ließ in den deutschen Nordseehäfen von 3,4 Millionen TEU auf 3,1 Millionen TEU nach. Sowohl in Hamburg als auch in Bremerhaven wirken sich die Tiefgangsbeschränkungen für Asien-Liniendienste zunehmend beschränkend auf die Ladungsmengen aus. Die Reedereien begegnen dem, so das ISL, dadurch, dass sie aus Asien kommend vor allem Transhipmentcontainer bereits in Rotterdam oder Antwerpen löschen. Die jüngste Fahrrinnenanpassung der Elbe und die geplante Weservertiefung könnten hier zu Rückholeffekten führen.

Die wichtigsten Transhipmentmärkte der Nordrange- und Ostseehäfen sind:

  • Ostseeraum 5,6 Millionen TEU
  • britische Inseln 1,2 Millionen TEU
  • Verkehre innerhalb der Nordrange 0,9 Millionen TEU
  • iberische Halbinsel und der Mittelmeerraum werden teilweise über Nordrange-Häfen versorgt.
  • Russland als größter Feedermarkt in Europa: 1,6 Millionen TEU trotz Rückgang durch die Handelssanktionen
  • Weitere Feedermärkte im Ostseeraum mit mehr als 500.000 TEU sind Finnland, Schweden und Polen.
Autor*in: Friedrich Oehlerking (Freier Journalist und Experte für Einkauf, Logistik und Transport)