14.07.2020

BAG: Günstige Tarifregelungen müssen für alle gelten

Klare Ansage des BAG an alle Tarifvertragsparteien: Eine Regelung, wonach Ansprüche aus einem Tarifvertrag trotz beidseitiger Tarifgebundenheit nur dann bestehen, wenn im Arbeitsvertrag auf den Tarifvertrag Bezug genommen wird, ist unwirksam. Mit einer solchen Regelung überschreiten die Tarifvertragsparteien ihre Regelungsmacht.

Betriebsrat Tarifbindung

Worum geht es?

Arbeitsrecht. Eine Arbeitnehmerin, Mitglied in der Gewerkschaft IG-Metall, war seit 1999 bei einem Unternehmen beschäftigt. Im Mai 2015 schloss das Unternehmen einen Manteltarifvertrag und einen Entgeltrahmentarifvertrag mit der IG Metall ab. Beide Tarifverträge enthielten eine Klausel, nach der „tarifvertragliche Ansprüche aus diesem Tarifvertrag voraussetzen, dass die Einführung des Tarifwerks auch arbeitsvertraglich nachvollzogen wird.“ Dies bedeutet übersetzt, dass die tarifliche Einigung im Arbeitsvertrag in Form einer Bezugnahmeklausel Niederschlag finden muss, um wirksam zu sein. Der Arbeitgeber übersandte der Arbeitnehmerin im März 2016 einen neuen Arbeitsvertrag, der eine sogenannte dynamische Bezugnahmeklausel enthielt. Danach sollte sich das Arbeitsverhältnis nach dem jeweils für den Betrieb geltenden Tarifwerk in seiner jeweils gültigen Fassung richten. Die Arbeitnehmerin strich einige Klauseln des Arbeitsvertrages durch, bevor sie ihn unterzeichnete. Dazu gehörte auch die dynamische Bezugnahmeklausel. Dennoch forderte sie in der Folge die Zahlung der Differenz zwischen dem nach ihrem Arbeitsvertrag vereinbarten Gehalt und dem höheren Gehalt auf tarifvertraglicher Basis.

Das sagt das Gericht

Das BAG gab der Arbeitnehmerin Recht. Allein die beiderseitige Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien gemäß § 4 Abs. 1 TVG (Tarifvertragsgesetz) genüge, um Ansprüche aus den Tarifverträgen zu vermitteln. Dies bedeute, dass Regelungen aus einem Tarifvertrag bereits dann anwendbar seien, wenn der Arbeitnehmer Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft sei und der Arbeitgeber entweder Mitglied im tarifschließenden Unternehmensverband oder (beim Firmentarifvertrag) selbst Partei des Tarifvertrages sei. Demgegenüber sei es unzulässig, wenn die Tarifvertragsparteien – wie im Streitfall – die Ansprüche aus den Tarifverträgen von individualrechtlichen Umsetzungsmaßnahmen abhängig machten. BAG, Urteil vom 13.05.2020, Az.: 4 AZR 489/19

Das bedeutet für Sie als Betriebsrat

Als Betriebsrat haben Sie gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen, dass die zugunsten Ihrer Kolleginnen und Kollegen geltenden Tarifverträge durchgeführt werden. Merken Sie sich in diesem Zusammenhang, dass sich Ansprüche aus einem Tarifvertrag für Gewerkschaftsmitglieder automatisch ergeben, wenn auch der Arbeitgeber tarifgebunden ist. D. h., Tarifvertragsparteien (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) dürfen die Geltung eines Tarifvertrages im Falle beiderseitiger Tarifgebundenheit (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) nicht von einer Bezugnahme im Arbeitsvertrag abhängig machen.

Praxistipp: Tarifvertrag und Arbeitsvertrag prüfen

Es spricht einiges dafür, dass die vom BAG für unwirksam erachtete Regelung auch in anderen Tarifverträgen enthalten ist. Vor diesem Hintergrund sollten Arbeitnehmer, denen aufgrund ihrer ablehnenden Haltung bezüglich eines neuen Arbeitsvertrages die Anwendung eines Firmentarifvertrages bislang verwehrt wurde, sorgfältig prüfen, ob nicht auch in ihrem Fall eine unwirksame Einschränkung wie im Eingangsfall vorliegt. Sollte das der Fall sein, lohnt ein Vergleich zwischen den tatsächlich bezogenen sowie den laut Firmentarifvertrag vorgesehenen Leistungen. Die Chancen stehen aufgrund der BAG-Entscheidung gut, dass Arbeitnehmer in vergleichbaren Fällen auch ohne den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages die Vorteile eines Tarifvertrages beanspruchen können, die ihnen bislang vorenthalten waren.

 

Definition: Bezugnahmeklausel

Eine Regelung im Arbeitsvertrag, mit der außerhalb des Arbeitsvertrages bestehende (tarifvertragliche) Regelungen in den Arbeitsvertrag einbezogen werden, wird als arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel bezeichnet. Durch eine Bezugnahmeklausel werden tarifvertragliche Regelungen zum Bestandteil des Arbeitsvertrages von nicht tarifgebundenen Beschäftigten.

Autor*in: Daniel Roth (ist Chefredakteur des Beratungsbriefs Urteils-Ticker Betriebsrat.)