11.03.2020

EuGH-Urteil vs. HOAI – Wie geht es weiter? (Interview mit Dr. Richard Althoff)

EuGH-Urteil gegen die HOAI vom 4. Juli 2019: Die Mindest- und Höchstsätze der HOAI verstoßen gegen Europarecht! Die deutsche Rechtsprechung ist sich derzeit uneinig, ob die HOAI bis zum Inkrafttreten einer Novelle gilt. Im Mai 2020 wird der Bundesgerichtshof dazu verhandeln. Wie schätzt ein Experte die aktuelle Situation ein?

HOAI EuGH-Urteil

Aktuelle Meldung: Der BGH verhandelte am 14. Mai 2020 über die Folgen des EuGH-Urteils zur HOAI und fasst einen sogenannten Vorlagebeschluss: er bezieht den EuGH in dieses Verfahren ein und legt ihm konkrete Rechtsfragen zur Prüfung und Beantwortung vor. Eine endgültige Entscheidung zu der Rechtsfrage bleibt damit vorerst noch aus.

Aktuell besteht viel Unklarheit: Welche Auswirkung hat das EuGH-Urteil auf die HOAI? Welche Folgen hat das Urteil für bestehende und neue Verträge? Wie geht es nun weiter? Wir haben diese Fragen an unseren Experten Dr. Richard Althoff weitergegeben. Was Architekten und Ingenieure jetzt beachten müssen, lesen Sie in unserem Beitrag.

Dr. Richard AlthoffDr. Richard Althoff

ist Anwalt für Bau- und Architektenrecht und Verwaltungsrecht und Gründungspartner der Bau- und Immobilienkanzlei Althoff Kierner RAe PmbB.

Seit 2014 ist Dr. Althoff Herausgeber und Mitautor des WEKA-Praxiskommentars HOAI 2013. Honorarrecht sicher anwenden.

 

Der EuGH (Europäische Gerichtshof) hat am 4. Juli 2019 gegen die Mindest- und Höchstsätze der HOAI entschieden. Kam dieses Urteil überraschend?

Das Urteil kam nicht überraschend. Mit dem Ergebnis hatte man so gerechnet – überraschend war die Begründung. Man hatte damit gerechnet, dass der EuGH der Argumentation der EU-Kommission folgt, dass es sich nicht darstellen lässt, über ein Preisrecht die Sicherung von Qualität, Verbraucherschutz, Baukultur und Umweltschutz zu gewährleisten. Der EuGH hat sinngemäß gesagt:

Wenn ihr ein schlüssiges System zur Sicherung von Qualität, Umweltschutz, Baukultur und Verbraucherschutz hinbekommen wollt, dann schafft bitte erst mal ein Berufszugangsrecht, sodass nämlich nur wirklich ausgebildete Ingenieure und Architekten Planungsleistungen gegen Geld erbringen dürfen. Wenn ihr das habt, dann ist es konsequent und schlüssig, die Qualität schließlich auch noch über den Preis abzusichern. Aber ohne den ersten Schritt hängt der zweite in der Luft – und das ist unschlüssig und funktioniert nicht. Und deswegen verstößt euer Preisrecht dann doch im Ergebnis gegen EU-Recht!

Begründung EuGH HOAIDie Begründung war ein Paukenschlag. Das war eine totale Überraschung. Damit hat niemand gerechnet. Denn in der Tat: Es gibt in Deutschland kein Berufsrecht! Ein Berufsrecht einzuführen, kann man machen, sollte man auch machen – aber dafür braucht man viel Zeit, und die hat man nicht als unterlegene Prozesspartei Bundesrepublik.

Das EuGH-Urteil zur HOAI muss unverzüglich (das heißt ohne schuldhaftes Zögern) umgesetzt werden. In der Praxis hat sich dabei eine Frist von einem bis anderthalb Jahren herausgebildet. In so einer Frist ist das mit dem Berufsrecht nicht machbar. Deswegen bleibt im ersten Schritt nichts anderes übrig, als sich tatsächlich mit der HOAI und dem Preisrecht zu befassen.

Welche Auswirkung hat das EuGH-Urteil auf die HOAI?

Die Bundesrepublik ist nun verpflichtet, die Folgen des EuGH-Urteils zur HOAI gesetzgeberisch umzusetzen. Interessanterweise ist dazu bislang nichts geschehen – und das ein Dreivierteljahr nach Erlass des Urteils. Es gibt noch keine konkreten Ansatzpunkte für eine Novelle.
Im Moment sieht alles ein bisschen danach aus, als würde man es darauf ankommen lassen wollen und die Sache der Rechtsprechung und der Anwendung der HOAI überlassen, der Auslegung und anderen Interpretationen im Sinne des Urteils. Wie diese aber zu erfolgen hat, ist im Moment hoch streitig.

Die Bundesrepublik ist zu gesetzgeberischen Maßnahmen binnen eines bis anderthalb Jahren verpflichtet. Andernfalls könnten erhebliche Zwangsgelder drohen. Es müsste eigentlich eine Novelle der HOAI geben!

Was müsste nun konkret an der HOAI 2013 geändert werden, um sie europarechtskonform nach dem EuGH-Urteil gegen die HOAI auszulegen?

EuGH HOAI Mindest- und Höchstsätze EmpfehlungWichtig: Die HOAI als solche steht nicht in Frage.

Nur die Regelungen in der HOAI, die ein zwingendes Preisrecht darstellen, die also Mindestsätze und Höchstsätze regeln, müssen abgeändert werden.

Genauer gesagt muss die Verbindlichkeit des Preisrahmens der HOAI in Konsequenz des EuGH-Urteils aufgehoben werden:
Es dürfte keine verbindlichen Mindest- und Höchstsätze mehr geben, es dürfte allenfalls eine Empfehlung sein.

Der BGH (Bundesgerichtshof) verhandelt im Mai 2020 über die Folgen des EuGH-Urteils zur HOAI. Wie geht es nun weiter?

Im Kern stellt sich derzeit eine Reihe von Fragen:

  • Ist die HOAI, solange sie nicht novelliert ist, mit ihrem verbindlichen Preisrahmenrecht weiterhin anzuwenden wie bisher – oder eben nicht?
  • Ist die HOAI sofort unabhängig von einer Novelle EU-konform auszulegen – in der Anwendung durch die Gerichte auf bestehende und jetzt neu abzuschließende Verträge, mit der Folge, dass die Verbindlichkeit des Preisrahmenrechts nicht mehr gilt, sondern nur als eine Empfehlung anzusehen ist?
  • Erfasst das dann auch die Formvorschriften in § 7 Abs. 1 für eine gültige Honorarvereinbarung oder sind diese vom Preisrecht zu trennen?
  • Komme ich also bei einer vorhandenen mündlichen oder formunwirksamen Honorarvereinbarung über § 7 Abs. 5 doch noch zu einem Anspruch auf ein Mindestsatzhonorar? Oder werden diese Formvorschriften, wenn ich die HOAI EU-konform sofort anwenden muss, von diesem Gebot dann auch erfasst und sind damit faktisch nicht mehr existent?

Zu diesen Fragen erhoffen wir uns Klarheit. Es ist nicht gesichert, dass wir zu allen diesen Detailfragen Klarheit bekommen. Wir sind dann auch gespannt, inwieweit sich der BGH – vielleicht in einem obiter dictum – doch zumindest am Rande dazu äußert, und damit Signale gibt, wie er das sieht.

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Ist die HOAI 2013 in ihrer derzeitigen Form mit dem Preisrahmenrecht noch gültig?

Meine persönliche Auffassung hierzu ist wankelmütig. Ich hatte zunächst die Meinung vertreten, dass die HOAI nach dem EuGH-Urteil gilt, so wie sie ist, bis sie geändert wird.

Nachdem ich mich dann mit dem europarechtlichen Problem befasst habe, habe ich festgestellt, dass die Europarechtler uns Baurechtler scheinbar für extraterrestrische Wesen halten: Sie verstehen nicht, wie wir überhaupt auf die Idee kommen können, diese Frage aufzuwerfen, denn selbstverständlich sei die HOAI sofort im Sinne des EuGH-Urteils auszulegen und das verbindliche Preisrecht deshalb nicht mehr anzuwenden. EuGH HOAI BGH

Ich habe daher meine Hoffnungen auf eine Fortgeltung des Preisrechtes bis zur Novelle beerdigt – bis ich im Januar einen europarechtlichen Artikel eines Professors für Europarecht zu diesem Thema gelesen habe:

Dieser widerspricht  den anderen Europarechtlern und sagt: Nein, erstmal weiter so. Das gibt wieder neue Hoffnung.

Was denn nun aber richtig ist, weiß der Himmel – und der Himmel ist im Zweifel der BGH und von dort wird dann hoffentlich ein weiser Spruch zu uns herniedergehen, sodass wir da klarer sehen, was derzeit gilt. Die Situation ist im Moment natürlich schlichtweg unerträglich.

Welche Folgen hat das EuGH-Urteil auf bestehende Verträge?

Die Situation ist total zersplittert. Man hängt im Moment nicht nur davon ab, welches Gericht entscheidet, sondern auch welche Kammer oder welcher Senat an einem Gericht entscheiden. Es haben sich infolge des EuGH-Urteils zur HOAI zwei Lager gebildet (siehe auch Abbildung).

  • Zeitstrahl HOAI EuGHLager A sagt: Das Urteil ist auf Parteien des privaten Rechtsverkehrs (keine öffentlichen Auftraggeber!) nicht anzuwenden und es bleibt alles, wie es ist – solange die HOAI so bleibt, wie sie ist! Der Gesetzgeber muss erst tätig werden. Wir haben nicht das Recht, als Gerichte dieses Urteil, welches sich primär an die Bundesrepublik richtet und dort eine Handlungspflicht setzt, jetzt so anzuwenden, dass wir quasi zu einer Normverwerfung kommen und bestehendes, eigentlich geltendes innerdeutsches Recht nicht mehr anwenden dürfen.
  • Lager B sagt: Wenn ich eine formwirksame Vereinbarung habe, dann gilt diese – egal ob sie die Mindestsätze einhält oder nicht! Aber was ist, wenn ich keine formwirksame Vereinbarung habe? Angenommen, ich habe nur eine mündliche Abrede. Oder ich habe eine schriftliche Vereinbarung, die aber nicht bei Auftragserteilung unterschrieben wird, sondern erst, wenn ich schon in Leitungsphase 3 angekommen bin (was in der Praxis sehr häufig vorkommt). Oder ich habe eine Vereinbarung, die von beiden unterschrieben, aber immer nur per Fax oder E-Mail hin- und hergeschickt wurde und damit nicht die Voraussetzungen der gesetzlichen Schriftform erfüllt. Damit sind dies formunwirksame Vereinbarungen.
    Die Frage lautet nun: Was gilt dann? Diese Gerichte aus Lager B, die das EuGH-Urteil direkt anwenden, sagen, dass es jetzt nicht möglich ist zu argumentieren: Na ja, dann hätte ich ja jetzt einen Fall des § 7 Abs. 5: keine wirksame Vereinbarung; also muss ich den Vertrag so behandeln, als hätten die Parteien wirksam Mindestsatzhonorar vereinbart.
    Diese Gerichte entgegnen: Das geht nicht, da laufe ich von hinten durch die Brust ins Auge. Infolge des EuGH-Urteils muss ich den § 7 als in sich geschlossenes System sehen, ich kann die Formvorschriften nicht vom Preisrecht abkoppeln. Und deswegen erfasst das Urteil des EuGH auch die Formvorschriften. Das heißt, die Formvorschriften gelten nicht mehr. Jedenfalls dann, wenn ich eine Absprache habe – in irgendeiner Form (sei es auch mündlich), dann gilt diese.
    Nur, wenn ich überhaupt keine Vereinbarung habe, wenn man sich über das Honorar gar nicht unterhalten hat, dann komme ich dahin, dass nach § 7 Abs. 5 oder ersatzweise, quasi „Argumentationsschiene B“, nach § 632 Abs. 2 BGB „übliche Vergütung“ ein Mindestsatzhonorar verlangt werden kann.

Welche Folgen hat das EuGH-Urteil auf die HOAI und das Vergaberecht, also auf Fälle, in denen der Staat Auftraggeber ist?

Fälle, in denen der Staat Auftraggeber ist, sind anders zu behandeln, weil sich der Staat auf jeden Fall an das EuGH-Urteil zur HOAI halten muss. Darüber besteht Einigkeit, das steht nicht zur Diskussion. Das heißt, für die Vergabe von Planungsleistungen gilt das Mindestpreisrecht nicht mehr!

Aber darf das dazu führen, dass es sich zum Nachteil des Planers als Privatperson auswirkt – und dieser jetzt keinen Mindestsatz mehr geltend machen kann, wenn er eine Vereinbarung mit einem staatlichen Auftraggeber unterhalb des Mindestsatzes hat? Das wäre ja völlig absurd.

Das Landgericht Dresden hat einen Vorlagebeschluss an den EuGH geschickt. Hat der EuGH nun mehr Klarheit über die Folgen seines Urteils gegen die HOAI geschaffen?

Wir hatten gehofft, Klarheit zu bekommen durch eine zweite Entscheidung des EuGH, nämlich auf den Vorlagebeschluss, den das Landgericht Dresden 2018 an den EuGH geschickt hat. Noch vor Erlass des EuGH-Urteils zur HOAI vom Juli 2019 wurde gefragt, wie das auszulegen ist. Der EuGH hat aber die Sache nicht geklärt. Er hat einfach nur wörtlich die Frage beantwortet. Er hat sinngemäß gesagt:

Ja, die EU-Dienstleistungsrichtlinie ist so auszulegen, dass sie der Anwendung eines Preisrechts entgegensteht. Klammer auf – habe ich ja in meinem Urteil letztes Jahr gesagt – Klammer zu. Wenn ihr wissen wollt, ob sich das jetzt auf einen konkreten Rechtsstreit von Privatpersonen und auf die Ansprüche auswirkt – dazu kann ich nichts sagen. Genau danach habt ihr in der Vorlage nicht gefragt. Ich weiß zwar, dass ihr das gemeint habt, aber ihr habt nicht gefragt, also kann ich dazu nichts sagen.

Er hat uns also keinen Schritt weitergebracht und damit schauen jetzt alle Augen nach Karlsruhe, wo nun im Mai 2020 die Revisionsverhandlungen sind. Konkret geht es um die konträren Entscheidungen der beiden großen Lager der Oberlandesgerichte. Wir können im Moment nur darüber Klarheit bekommen.

Der Arbeitskreis aus der Bundesarchitektenkammer und anderen Planungsorganisationen hat der Bundesregierung ein Modell vorgeschlagen, wie die neue HOAI europarechtskonform ausgestaltet werden könnte.
Wie sieht dieses Modell aus?

Modell HOAI europarechtskonformDas Modell ist wohl schon wieder Geschichte.
Es hätte eine Anpassung der HOAI an die Struktur der StBVV (Steuerberatervergütungsverordnung), der Implementierung einer Angemessenheitsklausel und der Geltung des Mittelsatz als Regelsatz beinhaltet. Wie ich gehört habe, soll diese Richtung wohl nicht weiterverfolgt werden.

Wird es eine Novelle der Honorarordnung geben – eine HOAI 2020 bzw. eine HOAI 2021?

Ob und wann kann ich definitiv nicht sagen, weil wir im Moment noch keine Ansatzpunkte sehen, dass daran gearbeitet wird. Ich hätte gedacht, dass sich da zumindest ab Anfang dieses Jahres etwas tut, das scheint meiner Einschätzung nach im Moment jedoch nicht der Fall zu sein.

Die zweite Entscheidung des EuGH hat nun keine neuen Erkenntnisse gebracht, möglicherweise wartet man noch auf die BGH-Entscheidung. Doch auch die Möglichkeit besteht, dass der Bundesgerichtshof gar nichts entscheiden wird und es noch mal an den Europäischen Gerichtshof weiterspielen wird. Das heißt, es wird vielleicht auch noch einige Zeit vergehen, bis wirklich eine Entscheidung fällt.

Würde es sich anbieten, in der HOAI mal durchzuscannen, was man sonst noch mit regeln kann?

Die Frage ist, ob man die Möglichkeit ergreift – oder um es nicht unnötig kompliziert und langwierig zu machen, sich erstmal nur auf das Thema Mindest- und Höchstsätze beschränkt, um möglichst schnell handeln zu können und neue Klarheit zu schaffen. Das wäre auch denkbar.

Was müssen Architekten und Ingenieure aktuell nach dem EuGH-Urteil zur HOAI bei ihren Verträgen beachten, um ihre Honorare wirksam und rechtskonform zu vereinbaren?

HOAI vertragliche FormulierungenDen vertraglichen Formulierungen kommt eine immer größere Bedeutung zu, das gilt ganz besonders auf der Leistungsseite. Ich habe bei jedem Vertrag zwei Seiten: Die eine Seite des Vertrages ist die, auf der die Leistung definiert wird. Auf der anderen Seite wird das Honorar definiert, welches ich für die Leistung, die auf der ersten Seite steht, bekomme.

Je unklarer, allgemeiner und weiter gefasst die Leistung beschrieben wird, desto geringere Chancen habe ich, Nachtragshonorar geltend machen zu können – und desto höher ist mein Risiko, für das vereinbarte Honorar einen großen Leistungsumfang erbringen zu müssen, auch weit mehr als das beispielsweise die Leistungsbilder der HOAI eigentlich vorsehen. Ein sorgfältiges und kluges Vertrags- und Honorarmanagement ist geboten, und zwar über die gesamte Projektzeit hinweg – vom Beginn der Vertragsverhandlungen bis zur Erarbeitung der Schlussrechnung.

Vielen Dank, Herr Dr. Althoff, dass Sie sich die Zeit genommen haben, unsere Fragen zu beantworten!

Wie Sie Ihre Honorare auch nach dem EuGH-Urteil wirksam vereinbaren:

Autor*in: WEKA Redaktion