20.01.2023

Krebsrichtlinie geändert: Erweiterung um reproduktionstoxische Stoffe

Die Krebsrichtlinie wurde überarbeitet. Erstmals werden die Vorgaben der Krebsrichtlinie auf reproduktionstoxische Stoffe erweitert. Außerdem gibt es 2023 neue Grenzwerte für Karzinogene und Mutagene. Alle Änderungen im Überblick lesen Sie hier.

Paragraphenzeichen

Die Krebsrichtlinie wurde 2022 zum vierten Mal angepasst. Auffällig ist der neue Titel der Richtlinie: „Richtlinie 2004/37/EG […] über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Exposition gegenüber Karzinogenen, Mutagenen oder reproduktionstoxischen Stoffen bei der Arbeit“ (CMRD). Mit dieser vierten Überarbeitung werden die Vorgaben der Krebsrichtlinie erstmals auf reproduktionstoxische Stoffe erweitert. Das bedeutet, dass in allen Texten bei der Erwähnung von krebserzeugenden oder mutagenen Stoffen die reproduktionstoxischen Stoffe hinzugefügt werden.

Neue Krebsrichtlinie enthält Arbeitsaufträge an die Kommission

Im neuen Artikel 18a „Bewertung“ werden Fristen festgelegt, innerhalb derer die Kommission eine Überprüfung bzw. Neuaufnahme von Grenzwerten für

  • alveolengängigen Quarzfeinstaub,
  • Cadmium und seine anorganischen Verbindungen (Kombination aus einem Luftgrenzwert und biologischem Grenzwert),
  • Cobalt und anorganische Cobaltverbindungen

einleiten muss. Außerdem soll die Kommission einen Aktionsplan vorlegen, um für mindestens 25 Stoffe, Stoffgruppen oder bei Verfahren erzeugten Stoffen Grenzwerte für die Exposition am Arbeitsplatz festzulegen oder zu ändern.

Für mutagene oder reproduktionstoxische Stoffe soll die Kommission eine (vorläufige) Liste von gefährlichen Arzneimitteln im Sinne dieser Richtlinie und der darin enthaltenen Stoffe erstellen. Für diese Stoffe sollen ein Aktionsplan für die sichere Zubereitung, Verabreichung und Entsorgung dieser Arzneimittel und entsprechende Leitlinien erstellt werden.

Schließlich sollen Unionsleitlinien für Methoden zur Festlegung risikobasierter Grenzwerte erstellt werden.

Bewertung

Diese Aufträge an die Kommission haben zwar keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Betriebe, in denen mit diesen Stoffen oder deren Gemischen umgegangen wird, sie zeigen jedoch, in welche Richtung bei der EU gedacht wird und welche Anforderungen demnächst möglicherweise auf die betroffenen Betriebe zukommen.

Neue bindende Grenzwerte

Unmittelbar wirksam wird jedoch die Änderung des Anhangs III Buchstabe A mit geänderten (Benzol) bzw. neuen bindenden Grenzwerten (BOELVs) für insgesamt 14 Stoffe bzw. Stoffgruppen, die bisher durch die Agenzien-Richtlinie mit einem Richtgrenzwert (IOELV) geregelt waren. Teilweise werden Übergangsfristen bis zum 18. Januar 2025 (Nickelverbindungen) oder bis zum 5. April 2026 (Acrylnitril) gewährt.

Diese Ergänzung macht eine Änderung der TRGS 900 bzw. der TRGS 910 (nach dem neuen Konzept – siehe oben) erforderlich.

Außerdem wird ein neuer Anhang IlIa mit biologischen Grenzwerten und Maßnahmen zur Gesundheitsüberwachung angefügt. Dies betrifft derzeit allerdings nur Blei und seine ionischen Verbindungen.

Neue Krebsrichtlinie macht Änderung der ArbMedVV erforderlich

Hinsichtlich der arbeitsmedizinischen Beratung und Überwachung muss auch der Anhang der ArbMedVV geändert und der Anwendungsbereich der TRGS 410 „Expositionsverzeichnis bei Gefährdung gegenüber krebserzeugenden oder keimzellmutagenen Gefahrstoffen der Kategorien 1A oder 1B“ entsprechend erweitert werden. Dabei schreibt die Richtlinie bei reproduktionstoxischen Stoffen eine Aufbewahrungsfrist von mindestens 5 Jahren (40 Jahre bei krebserzeugenden oder mutagenen Stoffen) vor.

Auch gefährliche Arzneimittel fallen unter die Krebsrichtlinie

Am Ende des Richtlinientexts findet sich noch eine „Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments und des Rates“ zum Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/37/EG: Danach teilen das EU-Parlament und der Rat das gemeinsame Verständnis, dass gefährliche Arzneimittel, die Stoffe enthalten, die die Kriterien für eine Einstufung als karzinogen, mutagen oder reproduktionstoxisch (jeweils Kategorie 1A oder 1B) gemäß der CLP-Verordnung erfüllen, in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/37/EG fallen. Alle Anforderungen dieser Richtlinie gelten folglich für solche gefährlichen Arzneimittel.

Umsetzungsfristen

Bis zum 5. April 2024 – zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der Richtlinie – haben die Mitgliedstaaten nun Zeit, die Vorgaben der geänderten Krebsrichtlinie in nationales Recht umzusetzen. In Deutschland wird dies durch die Gefahrstoffverordnung erfolgen.

Arbeitsplatzgrenzwerte für Karzinogene und Mutagene seit 2023

Bei einigen in der Richtlinie genannten Stoffen ist es – ggf. auch nur in bestimmten Anwendungsfällen – schwierig, die genannten Grenzwerte kurzfristig einzuhalten. Es werden daher Übergangszeiträume eingeführt, während derer höhere Grenzwerte gelten sollen.

Folgende Grenzwerte sind seit 2023 neu:

Stoff Grenzwert (mg/m³) Übergangswert Übergangswert anwendbar bis AGW / Toleranz-konzentration TRGS 900 / 910 (mg/m³)
Cadmium und anorgan. Cd-Verbindungen, carc.Cat. 1  0,001 (E) 0,004  11.7.2027 TK: 0,001 E
Beryllium und anorgan. Be-Verbindungen, carc.Cat. 1 0,0002 (E)  0,00006  11.7.2026 AGW (A): 0,00006
AGW (E): 0,00014
Arsensäure, ihre Salze und anorgan. As-Verbindungen, carc.Cat. 1 0,01 (E) gilt in der Kupferverhüttung ab 11.7.2023  TK: 0,0083 E
Formaldehyd  0,37  620 für Gesundheitseinrichtungen etc. bis 11.7.2024 AGW: 0,37
4,4‘-Methylen-bis(2-chloranilin)  0,01  –––

Hintergrund zur Krebsrichtlinie

Seit 2004 regelt die EU-Krebsrichtlinie (Richtlinie 2004/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene oder Mutagene bei der Arbeit) Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit diesen besonders besorgniserregenden Stoffen. Seitdem ist diese Richtlinie nicht mehr wesentlich überarbeitet worden.

Erste europäische Luftgrenzwerte BOELV

In ihrem Anhang III enthielt diese Richtlinie die ersten verbindlichen Luftgrenzwerte (BOELV) auf europäischer Ebene für krebserzeugende und mutagene Stoffe, und zwar für:

• Benzol,
• Vinylchloridmonomer und
• Hartholzstäube.

Darüber hinaus wurden in Anhang I fünf Arbeitsverfahren genannt, die als krebserzeugend im Sinne dieser Richtlinie gelten – ähnlich wie in der deutschen TRGS 906.

Die neue Richtlinie

Nach Jahrzehnten der Inaktivität wurde nunmehr im Amtsblatt der EU die Richtlinie (EU) 2017/2398 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2017 zur Änderung der Richtlinie 2004/37/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene oder Mutagene bei der Arbeit veröffentlicht (ABl. EU Nr. L 345 vom 27. Dezember 2017, S. 87).

Autor*in: Ulrich Welzbacher